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Das Schönheitsideal im Nordwesten Afrikas entspricht so gar nicht unseren westlichen Vorstellungen. Dort ist man noch nicht dem Schlankheitswahn verfallen. Sondern fast noch schlimmer: Dem Zwang zur Fettleibigkeit.
Schön ist, wer viel isst. Diesem Motto beugen sich die Frauen in der islamischen Republik Mauretanien. Wohlgenährte Frauen symbolisieren Wohlstand in Mauretanien. Deshalb gelten sie als besonders attraktiv und verkörpern eine reiche Mitgift. Die schönsten Zierden sind feinstes Fett und Dehnungsstreifen am ganzen Körper. Um dieses Ziel zu erreichen werden schon Mädchen im Alter von vier Jahren gemästet – oft von der eigenen Großmutter.
Gestopft wie Gänse mit 10.000 Kalorien täglich
Um das Wunschgewicht zu erreichen, wird nicht gespart: Während der Mästung liegt die Tagesration für ein neunjähriges Mädchen bei 10.000 Kalorien. Zum Vergleich: Der Normalbedarf eines erwachsenen Menschen liegt bei 2.000 Kalorien. Um diese Masse in sich hineinzustopfen, werden die Kinder mit fetthaltiger Kamelmilch, Reis, Bohnen, Zucker und Fett gemästet. Dazu kommen manchmal sogar tierische Hormone, die illegal und höchst schädlich sind. Die Medikamente waren ursprünglich als Tiermastmittel gedacht. Unter der Ladentheke werden sie aber auch für die Zwangsfütterungen verkauft. Dickmacher in der Monatspackung gibt es schon für neun Euro.
Erbrochenes muss zur Strafe wieder gegessen werden
Kaum vorzustellen, wie so viel Essen in ein so kleines Kind passen soll. Wie schaffen sie das? Die Prozedur gleicht einer regelrechten Folter: Jede Stunde gibt es eine Mahlzeit, sogar nachts werden die Kinder geweckt, um Nahrung zu sich zu nehmen. Weigert das Mädchen sich, wird es mit Gewalt dazu gezwungen. Dazu werden meist die Finger oder Zehen in einer Holzzange eingeklemmt und zusammengedrückt. Selbst Erbrochenes müssen die Mädchen zur Strafe wieder essen.
„Ich konnte nicht mehr sprechen, stehen oder laufen”
Mit zwölf Jahren müssen sie mindestens 80 Kilogramm wiegen. Erst kurz bevor den Mädchen vor lauter Fettleibigkeit die Knie brechen, oder sie nicht mehr laufen können, wird die Zwangsfütterung beendet. Dann sind sie bereit für die Heirat – nicht selten mit einem Mann, der ihr Großvater sein könnte. Eine heute 60-jährige Frau berichtete in einer TV-Reportage von ihrer Zwangsfütterung: „Ich wurde zwölf Monate gemästet, dann war ein Monat lang Pause. Nach drei Jahren war dann Schluss. Ich konnte weder sprechen, stehen noch laufen.”
Fitnessstudios ersetzten XXL-Wahn?
“Glück” hat, wer arm ist. Denn hier fehlt das Geld um dick zu werden. Was ihnen damit erspart bleibt, ist den Mädchen oft gar nicht bewusst. Denn in ihren Augen ist man nur mit Rundungen rundum glücklich. Angeblich nimmt der XXL-Wahn aber langsam ab. In der Hauptstadt Nouakchott steigt der Anteil von Frauen in Fitnessstudios. Manche lassen sich von der westlichen Welt beeinflussen, andere merken einfach, wie sich ihr eigener Körper wehrt. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieser Trend durchsetzt. Denn, was da nur wenige Flugstunden von Deutschland vor sich geht, ist unfassbar.
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(Text: Julia Jung / Foto: Gabriele Planthaber by pixelio.de)