Äthiopien Anna Luther

Für einen Freiwilligeneinsatz der Caritas gingen wir zu viert in eine kleine Stadt im Osten Afrikas, um kulturellen Austausch zu erleben.[divide]

Äthiopien Anna LutherSie legen die bunten Filzdecken auf den grauen Boden und setzen sich meist im Schneidersitz darauf. Ihre dunkelbraunen Augen glänzen wie geröstete Kaffeebohnen und bringen mich zum Lachen, wenn sie nach meinen Blicken heischen. Für drei Monate begleite ich diese Kinder als Volunteer der österreichischen Caritas im Kindergarten der NGO Meki Catholic Secretariat (MCS).

61 Kinder werden von zwei Lehrerinnen Tag ein, Tag aus betreut. Eine davon heißt Aynadis und ist 21 Jahre alt. Obwohl sie ein Jahr jünger ist als ich, kam mir gerade anfangs vor, dass sie mir in vielem voraus ist. Schüchtern saß ich in ihrer Klasse auf einen von den kleinen Stühlen. Die Kinder brüllten das Alphabet in Englisch und Amharisch, der Amtssprache Äthiopiens. Sie stand mit ewig gleichem Blick vor ihnen und zeigte mit dem Stab in ihrer Hand auf die jeweiligen Buchstaben oder Silben an der Tafel.

Kindergarten in Aethiopien

 

Ohne ihre Klasse allzu oft mit Schlägen in Zaum zu halten, zog sie die Kinder in ihren Bann. Dann sprach sie mit großen Augen in der mir fremden Sprache und die Kleinen sogen wissbegierig ihre Worte auf oder reckten begeistert die Hände in die Höhe, um auf die Frage zu antworten. Amharisch, Englisch, Mathematik, Geografie, Kunst, Musik, Sport. All diese Fächer sind mehr oder weniger Teil des Programms. Vor allem auf Amharisch, Englisch und Mathematik legen die Lehrerinnen Wert. In meiner Klasse gibt es keinen fixen Stundenplan, sie ist einer der seit zwei Jahren eingeführten, so genannten Montessori-Klassen. Und tatsächlich kann ich ansatzweise Elemente von Maria Montessoris Pädagogik im Unterricht finden.

Montessori in Afrika

Anna in Äthiopien

Das eigenständige Lernen mit kleinen Zeichenkarten in Kleingruppen, das Fehlen eines Stundenplans und der lockere Umgang mit eigenwillig oder fehlerhaft erbrachter Leistung bringt die Einstellung und Motivation der Lehrkräfte zum Vorschein. Montessoris Gedanke, die Selbstständigkeit der Kinder und die freie Arbeit zu fördern, hat die äthiopischen Kindergärtnerinnen inspiriert. Auch wenn die individuelle Förderung von 61 Kindern nicht in vollem Ausmaß ausgeschöpft werden kann, darf jedes Kind sich seine Eigenartigkeit bewahren – ohne die Klassengemeinschaft und den gewöhnlichen Tagesablauf durcheinander zu bringen.

Bei der täglichen Wiederholung des Lernstoffs schweifen die Kleinen in ihren Köpfen manchmal ab. Sie starren gedankenversunken durch die Luft, knabbern an losen Fäden, stupsen den Sitznachbarn oder schlafen ein. Die Lehrerinnen kennen Kinder nur zu gut und sind nachsichtig.

Im Vergleich zu Europa

Der Umgang mit Kindern in diesem äthiopischen Kindergarten ist für mich als Europäerin nicht leicht zu verstehen. Wenige Ressourcen zwingen zu großen Klassengrößen und schlecht bezahlten Lehrerinnen. Gewalt gehört zum Alltag. Dass Kinder geschlagen werden, ist kein Grund zum Aufstand vonseiten der Eltern, sondern tradierter Teil der Erziehung. Kindern wird hier mehr zugetraut, die besten Schüler dürfen mit Schlagstöcken für Ruhe in der Klasse sorgen. Die Vier- bis Sechsjährigen nehmen sich ihr Mittagessen in Pausenboxen selbst mit. Wer seine verliert, isst nichts.

Als Volunteers aus Österreich stellten wir uns bald die Frage, ob diese Einrichtung in Europa nicht eher als Vorschule gelten würde. Freies Spielen gibt es nur in der Pause, während es in europäischen Kindergärten fester Bestandteil des Programms ist.

Kein Mobbing

Egal ob Kindergarten oder Schule, jeder trägt in Äthiopien eine Schuluniform. Die Kinder fühlen sich wohl in dieser Welt. Was für mich Armut ist, ist für sie vielleicht bloß Straßenstaub an den Füßen und ausgelatschte Schuhe daran. Sie kennen es nicht anders und sind Teil dieser Gemeinschaft. Auch wenn sich die Buben liebend gern prügeln und sogar die Mädchen ab und zu ihre Hand ausholen, schließen sie andere nicht aus. Dass ihr Urteil über jemand anderen, Schande über ihn bringen könnte, daran denken sie nicht.

In den Pausen sahen die Lehrerinnen gelegentlich zu uns Volunteers herüber, als uns die Kinder nicht loslassen wollten oder sie sich um die wenigen von uns mitgebrachten Spielsachen stritten. Ihr Blick war anfangs oft belustigt und etwas missbilligend. Doch wir haben uns schätzen gelernt. Nun wissen wir wie schimpfen. Und sie wissen, dass uns ihre Kultur wirklich interessiert. Wenn wir etwas nicht verstehen und sonderbar finden, aber nicht als Schlechtes zu verurteilen, hilft Bewunderung mehr als Missbilligung.

Autor

Von AnnaL

Schreibe einen Kommentar