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Kunst als Spiegel des Ideals

Sie steht leichtfüßig, fast schwebend in einer überdimensionaler Muschel vor einem Meerespanorama. Ihr wallendes Haar weht im Wind um sie herum. Ihr Blick schweift ruhig, gelassen und ein wenig abwesend in die Ferne. Die Venus von Botticelli gilt als Inbegriff der idealisierten Schönheit in der europäischen Kunst.


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Sandro Botticelli lässt im Gemälde „Die Geburt der Venus” die antike Tradition wiederaufleben und repräsentiert somit Stil und Idee der Epoche der Renaissance. Denn zu dieser Zeit lag der Fokus wieder auf dem Menschen und das zeigte sich auch in den künstlerischen Darstellungen. Das Gemälde „Die Geburt der Venus” ist denn auch der erste monumentale weibliche Akt der nachantiken Kunst und gilt als Meilenstein der Bildkünste.

Auch Symmetrie und Perspektive tragen zu einem Empfinden von Schönheit bei und diese werden in der Renaissance immer mehr ausgearbeitet. Zur Hochrenaissance haben die Künstler, wie da Vinci, Michelangelo, Raffael und Tizian Porträts geschaffen, deren ausgeklügelte Farb- und Lichtkompositionen einen weichen, warmen, idealisierten Typus schufen. Grazile Darstellungen vor allem mythologischer Figuren waren äußerst beliebt, wie zum Beispiel „Die drei Grazien” von Raffael.

Ganz anders sah es im Manierismus, um Mitte des 16. Jahrhunderts, aus. Die harmonischen, idealisierenden Kunstdarstellung wurden zu dieser Zeit abgelöst. Im Manierismus war die Darstellung nicht mehr so realistisch, Proportionen wurden verändert und Gliedmaßen überlängt dargestellt. Die Intention der Darstellung war wichtiger als die realistische Abbildung. Rückschlüsse auf das Schönheitsideal dieser Zeit lassen sich auch hier aus der Kunst ziehen: schlanke und in die Länge gezogene Gliedmaßen und sich windende und drehende Körper wurden in der Kunst als schön empfunden. Nicht umsonst entstehen Bilder wie Parmigianinos Gemälde „Madonna mit dem langen Hals”. Im Gegensatz zur realitätsnahen Renaissance-Malerei wurden die Darstellungen im Manierismus wieder von der Wirklichkeit weggerückt.

Rundungen und Perücken: Schönsein im Barock
Das Schönheitsideal, das die Barockmalerei vermittelt, ist wiederum ganz anders. Je üppiger, desto ästhetischer hätte das Motto jener Epoche lauten können und steht sowohl für die Körperfülle der abgebildeten Personen als auch für die Dekoration. Prunk, Pracht und Protz – das sind die Begriffe, die sich vor allem mit dem Barock verbinden lassen. Die Wohlgenährtheit sollte vor allem Reichtum und eine hohe gesellschaftliche Position widerspigeeln. Die starken Licht- und Schattenkontraste, die so typisch für den Barock sind. Wichtig sind in diesem Zusammenhang die Werke des Malers Peter Paul Rubens. Dessen berühmte Gemälde mit beleibten Frauen führten zu dem noch heute verwendeten Ausdruck “Rubensfigur”.

Ein gesteigerter Wert auf das Äußere wurde im Rokoko zu Beginn des 18. Jahrhunderts gelegt. Die typischen Perücken mit akkurat aufgedrehten Locken. Passend dazu wurde ein möglichst bleich gepuderter Teint, mit Rouge gerötete Wangen und kohlengeschwärzten Augenbrauen bevorzugt, wie wir sie heute nur noch aus Historienfilmen kennen. Um die Jahrhundertwende entwickelt sich dazu der klassizistische Stil, der wiederum die Tradition der Antike wiederbelebt. Besonders Jean Auguste Dominique Ingres führte seine Malerei zurück zum klassischen Ideal der Natürlichkeit und Schönheit.

spiegel kunst_textFotografie als genaueres Abbild?
Mit der Erfindung der Fotografie um 1839 wurde diese Entwicklung langsam abgelöst. Auch, wenn es noch dauern sollte, bis sich die Fotografie als Kunstform etablierte, so bot sie doch neue, wirklichkeitsgetreuere Chancen der Abbildung. Die Porträtmalerei gibt in den darauffolgenden Jahrzehnten nur noch wenig Aufschluss über die gängigen Schönheitsideale. Parallel zur Weiterentwicklung der Fotografie wirken die künstlerischen Darstellungen – wie etwa die fauvistischen oder expressionistischen Porträts – immer abstrakter und weiter entfernt von der Wirklichkeit. Nicht zuletzt sind die Gemälde Pablo Picassos zu erwähnen, die mit ihren maskenhaften, zersplitterten Formen abseits des Schönheitsideals zu stehen scheinen.

Ob die auf den Renaissance-Gemälden abgebildeten Damen wirklich so schön und makellos waren und ihre Entsprechungen in den Barockbildern so üppig, wissen wir natürlich nicht. Die Darstellungen in der Malerei spiegelten auch immer ein Stück weit das Selbstverständnis der Epoche und den Geschmack der Zeit – nicht zuletzt des Auftraggebers – wieder.
Dennoch liefert dieser Zeitgeschmack auch Anhaltspunkte dafür, was der Großteil der Gesellschaft als schön erachtete. Eventuell sogar viel mehr als es die vielfältigere und individuellere Kunst in unserer heutigen Zeit leisten könnte. Vielleicht können die Gemälde von damals deshalb eher mit den Werbeaufnahmen von heute verglichen werden: Ist die schöne, idealisierte Venus aus der Renaissance dann so ähnlich wie die hübsche Dame aus der Margerine-Werbung? Das muss (glücklicherweise) heute jeder selbst entscheiden.

(Text: Julia Radgen / Foto: Apolonia Specht by jugendfotos.de)

Julia R.

Julia lebt in Mainz und schreibt am liebsten über Kultur- und Gesellschaftsthemen - und interessante Menschen. Sie ist Social Media-süchtig und verzichtet nur freiwillig auf Internet und Handy, wenn sie zu einem Festival fährt. Wenn sie groß ist, will Julia mal Journalistin werden.

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