„Wow, schau dir mal das Brett an!” Irritiert bleibe ich vor einem riesigen Werbebanner stehen. Abgebildet sind knapp ein Dutzend Männer mit durchtrainiertem, nacktem Oberkörper und laszivem – nahezu perfektem – weißem Lächeln. Es ist das Plakat zur Chippendales-Tour. Nächste Woche sind sie in der Stadt und in meinem Kopf stehe ich schon längst mit einer Freundin in der ersten Reihe und kreische.
Genauso vergesse ich mich und meine Umwelt bei all diesen Werbespots mit Männern, deren Körper perfekter nicht sein könnten. Wofür geworben wird, ist spätestens beim Zählen der Muskelpakete reine Nebensache.
Das Waschbrett – früher und heute
Hätte das Wort Waschbrett früher schon die heutige Bedeutung gehabt, hätten die Waschfrauen damals wahrscheinlich mit größerer Begeisterung ihre alltägliche harte Hausarbeit verrichtet.
Am Anblick vermeintlich „perfekter” Männer mit Waschbrettbauch kann sich Frau heutzutage nicht nur im Fernsehen, sondern auch im normalen Leben erfreuen. Schwimm- und Freibäder, zuletzt natürlich auch Fitnessstudios bieten die perfekte Möglichkeit, hin und wieder ein Exemplar zu erblicken.
Meist sind das diese mächtigen, adonisgleichen Männer, die einen dazu veranlassen, den eigenen Körper ganz schnell unter einem Handtuch zu verstecken. Schönen Menschen schreibt man automatisch überwiegend positive Attribute zu – dass sie möglicherweise einen furchtbaren Charakter haben, erfährt man in der Regel nie, da man nicht einmal nach vier Bier den Mut hätte, so einen Mann anzusprechen.
Nachdem aber jede Frau – und das müssen wir nun zugeben – sich bei solch einem Anblick mindestens eine halbe Minute überlegt, wie es wäre, über diesen festen, braungebrannten Bauch zu streicheln, stellt sie ernüchternd fest, dass es wahrscheinlich Nichts gäbe, über das sie sich mit ihm unterhalten könnte. Außer die Schale Rosenkohl, die er zu Mittag hatte, oder den Eiweisshake, den er zum Nachtisch vernascht hat.
Über Geschmack lässt sich nicht streiten
Die Chronik der Exfreunde enthält im Normalfall keinen Adonis, außer man trägt einen bekannten Nachnamen wie Klum oder Bündchen. Das liegt daran, dass die Durchschnittsfrau sich zwar einen ansehnlichen Mann wünscht, aber die Vorrausetzung hierfür nur in Ausnahmefällen in der Beschaffenheit dessen Bauchmuskeln liegt.
Beim gemeinsamen Filmeabend legt Frau ihren Kopf schließlich auch eher ungern auf ein Bügelbrett, nur weil es schön ist. Sich auf einen weichen Bauch zu legen, der nachgibt, wenn man seinen Kopf darauflegt, gibt einem das unbezahlbare Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit.
Wirklich perfekt ist sowieso niemand von uns und vor allem als Frau kennt man jede eigene Bauchfalte, die nicht an der richtigen Stelle sitzt – wer hat dann schon Lust auf das permanente Gefühl, selbst nicht durchtrainiert genug zu sein? Das Bewusstsein darüber, dass auch der Partner nicht perfekt ist, schafft eine enorme Bindung.
Liebe geht durch den Magen?!
Es ist wohl davon auszugehen, dass jemand, der penibel auf seinen Sixpack achtet, sich eher selten einen Burger oder Ähnliches gönnt. Resultiert daraus nicht schlussendlich, dass der hochgelobte Adonis ein großes Stück Männlichkeit verliert, indem er lieber wie ein kleines Kaninchen an einer Karotte knabbert?
Beim gemeinsamen Abendessen mit dem „Nicht-Adonis” heimlich auf den definierten Bauch des biertrinkenden Sexsymbols in der Werbung zu schielen ist vollkommen menschlich – und somit in Ordnung. Es ist ja nicht so, dass das männliche Geschlecht sich nicht auch ab und zu Appetit holt – gegessen wird aber zu Hause!
Am Liebsten sind uns schlussendlich aber doch die Männer, die bei „Sixpack” eher an sechs Flaschen Bier denken – denn bekanntlich spielen nur Hunde mit Knochen.
(Text: Laura Gassner / Foto: Lina Mardo by jugendfotos.de)