back view-Autorin Anna Franz berichtet für uns aus Kamerun. Dort muss sie feststellen, dass sie sich erst mal von ihren Vorurteilen verabschieden muss. Denn ihr Leben in Afrika ist gar nicht so fremd, wie sie es erwartet hatte.
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Ich betrat keine andere Welt, als ich aus dem Flugzeug stieg. Ich betrat lediglich ein anderes Land, das sich in einigen Dingen von meinem Heimatland unterschied. In den ersten Tagen und Wochen hakte ich die Vorstellungen, die ich von Afrika gehabt hatte, gedanklich ab oder strich sie durch.
Blutrote Sonnenuntergänge, wie ich sie von kitschigen Afrika-Gemälden kannte, gab es in Kamerun nicht, zumindest nicht in den Städten und am Strand (allerdings gab es am Strand kitschige Afrika-Gemälde mit blutroten Sonnenuntergängen zu kaufen…). Die Sonne ging viel zu schnell unter und außerdem war der Himmel oft verhangen – ein Gruß von der Regenzeit.
Obst, Bonbons und Waschmittel an der Straße
Verkaufsstände an der Straße gab es allerdings, wie ich erwartet hatte. Kaum trat ich aus dem Haus, pries mir die bunt gekleidete Mamma an der Hauptstraße gegrillte Kochbananen an, daneben wartete eine Frau mit einem kleinen Kind auf dem Arm auf Abnehmer für ihren Berg Erdnüsse. Ein paar Schritte weiter stand ein Mann mit einem Tante-Emma-Bauchladen und verkaufte Kakao und Waschmittel in Tütchen, Kekse, Zigaretten und Bonbons. Ein paar Schritte weiter hatte die nächste Mamma unter ihrem Sonnenschirm einen Stand aufgebaut, der sich auf Süßigkeiten spezialisiert hatte – auf die sogenannten „bonbons alcoolisés”, alkoholisierten Bonbons, die meistens weiß-blau-rot meliert sind. Sie enthalten kein bisschen Alkohol (laut gewisser Freunde und eigener Tests), sondern heißen nur so. Angeblich sind sie aber unschlagbar im Alkoholspiegel-Abbauen.
Kurz hinter der Boulangerie (Bäckerei), die französische Baguettes, (Schoko-) Croissants und die sehr beliebten Krapfen verkaufte, standen die Obst-Frauen. Auf ihren Paletten stapelten sich Papayas, Mangos, Bananen, Ananas, Wassermelonen und Orangen (die hier allerdings grün sind). Manchmal stand vorne auch noch ein Eimer mit Litschis oder es lagen ein paar Courosol herum (Früchte mit einer stacheligen Schale, etwa so groß wie drei große Äpfel. Das Fruchtfleisch ist schneeweiß und sehr weich, mit großen, schwarzen Kernen. Am besten lutscht man sie aus – sie schmecken ein wenig wie Litschis, sehr erfrischend und säuerlich).
Straßenbild
Auf den Straßen waren wenige Fußgänger unterwegs. Die meisten Leute nahmen lieber eins der gelben Taxen, die ständig vorbeifuhren. Nur auf den Märkten war viel los – da konnte man als auffallende Weiße schon mal Platzangst bekommen.
Ich hatte erwartet, mehr Bettler zu sehen. Tatsächlich fragten mich hin und wieder mal Menschen nach einem „cadeau”, Geschenk. Aber erst in den letzten Wochen sah ich zwei Bettler, die an einer Stelle auf und ab gingen und darauf warteten, dass jemand ihnen Geld gab.
Slums oder Dörfer?
Auch Slums prägten das Stadtbild weniger als angenommen. Es gab die „Dörfer”, aber ist „Slum” das richtige Wort dafür? „Slum” klingt für mich nach Armut, Schmutz, Krankheiten, menschenunwürdigen Lebensbedingungen, Kriminalität. Das Dorf bei uns im Hof etwa beherbergte natürlich keine reichen Leute. Es gab Brunnen und Toiletten-Häuschen (wahrscheinlich ohne fließend Wasser). Der Boden der Häuschen, die oft nicht mehr als ein Zimmer hatten, bestand aus Erde. Die Wände waren aus Brettern zusammengenagelt. Gegen Regen schützte ein Wellblech-Dach, das oft sehr kreativ ausgebessert war. Aber meiner Beobachtung nach achteten die Bewohner sehr auf Hygiene – gerade weil es sonst sehr schnell sehr schmutzig würde. Jeden Morgen wuschen sie Kleidung und fegten die Hütten aus. Ob es viele Krankheiten und Straftaten gab, kann ich nicht beurteilen. Zu mir waren die Bewohner immer sehr nett und zuvorkommend. Ich denke, sie wünschten sich zwar ein besseres Leben mit einem höheren Lebensstandard, aber da dies nicht in Aussicht war, gaben sie sich mit dem zufrieden, was sie hatten.
Gefährlich, dort zu leben, war es allerdings schon: Einmal sahen wir von der Terrasse ein riesiges Feuer im Hof lodern und laute Schreie wehten zu uns herüber. Eine der Hütten hatte Feuer gefangen und brannte lichterloh. Ich hatte Angst, das Feuer könne schnell auf die benachbarten Behausungen übergreifen, da sie so dicht zusammenstanden. Doch sofort waren die Nachbarn zur Stelle und bildeten einen Löschzug mit Wassereimern. Plötzlich knallte es laut – der Gasherd war explodiert. Mein Mitbewohner alarmierte die Feuerwehr, doch die kam erst lange nachdem sich selbst der Rauch wieder verzogen hatte.
Die eigene Wohnung
Mein eigenes „Zuhause” war entsprach nicht meinen schlimmsten Erwartungen. Ich musste kein Wasser aus Brunnen schöpfen, mich nicht aus dem Eimer waschen und über einem offenen Feuer kochen. Auch schlief ich nicht auf einer Bastmatte auf dem roten Lehmboden. Im Gegenteil. Ich wohnte mit einem Mitbewohner in einer kleinen, gemütlichen, sauberen Zweizimmer-Wohnung in einem Haus, wie man es auch bei uns kennt. Es gab fließendes Wasser (abgesehen von den zwei Wochen Wasserrohrbruch), mit dem man sogar gefahrlos Zähne putzen konnte. Auch das Bett hätte ebensogut in Deutschland stehen können. Der einzige Unterschied war, dass über dem Bett ein Mückennetz hing und auch vor den Fenstern Mückengitter angebracht waren. Die Fenster waren übrigens nie geschlossen, so wehte immer eine frische Brise durch die Wohnung. In der Küche stand ein kleiner Gasherd; Herdplatten, wie es sie oft in Deutschland gibt, habe ich in meiner ganzen Zeit in Kamerun nicht gesehen.
Ich hatte mich also seelisch und moralisch auf sehr einfache Bedingungen eingestellt, war aber durch eine Lebensqualität, die der in Deutschland sehr nahe kam, überrascht worden. So war vieles ähnlicher, als ich angenommen hatte. Aber es gab auch genug Unterschiede – wie etwa die Markfrauen, das ständige Verkaufen an der Straße und Dörfer mitten in der Stadt – die jeden Tag zu einem Erlebnis werden ließen.
(Text und Fotos: Anna Franz)