DeutschlandPolitik

Wikipedia stiehlt Taktik deutscher Politiker

Nichts sagen. Einfach mal abtauchen. Und dennoch gewinnen. Wikipedia machte in der vergangenen Woche vor, wie groß die Welle einer Selbstzensur sein kann. Doch ein Blick in die deutsche Politik zeigt: So neu ist dieses Modell der Selbstzensur gar nicht.


Am Mittwoch schaltete Wikipedia seine amerikanische Webseite ab, um gegen einen Gesetzentwurf in den USA zu protestieren. Google setzte einen schwarzen Zensurbalken über sein Logo – im ganzen Netz schlossen sich Blogs und Websites dem Protest an.
Ein Weltunternehmen wie Wikipedia schaltet tatsächlich für 24 Stunden die eigene Homepage ab – unglaublich. Die ganze Welt war in Aufruhr. Aber warum? In der deutschen Politik ist die Selbstzensur schon lange Mode.

Senf der WocheSeit Wochen hat sich Bundespräsident Christian Wulff selbst einen Balken auf seine Zunge gelegt. Möglichst totschweigen und über nichts reden, dass nicht schon bekannt ist. Eine Taktik, die Wulff besser nur 24 Stunden hätte verfolgen sollen. Denn die aufgeplusterte Selbstzensur hat sich scheinbar bis in die Gehirnbahnen durchgefressen.
So wurde aus dem mundtoten Wulff ein fehlgeleiteter Mann mit überspitzter Selbsteinschätzung. Er hat sich zu lange hinter seinem bellevueischen Pfeiler des Schweigens versteckt. Ein Pfeiler, der eigentlich eine Stütze der deutschen Politik sein soll. Ein Pfeiler, der große Risse bekommen hat.

Dennoch spricht dieses negative Beispiel nicht dafür, dass die Wikipedia-Taktik der 24-stündigen Selbstzensur nicht aufgeht. Auch eine übermäßige Nutzung des kurzfristigen Erfolgsmodells kann zu einem positiven Ergebnis führen; stellt man – oder besser gesagt Frau – es nur konsequenter an als Wulff.
Eine wahre Meisterin des demonstrativen Nichtssagens und einer sturen Ignoranz der eigenen gesellschaftlichen Umwelt ist Angela Merkel. Die Bundeskanzlerin hat während der vergangenen zweieinhalb Jahre nur in absoluten Ausnahmefällen hinter ihrem Zensurbalken hervorgespitzt, um kurz Luft zu schnappen und ein leises „Hallo” durch Deutschland zu flüstern.

Vielleicht sollten wir das Modell der Selbstzensur mal von unseren politischen Vordenkern übernehmen? Wie hätte sich Deutschland 2011 verändern können, wären wir an den richtigen stellen einfach abgetaucht? Wäre niemand mehr in die sowieso viel zu kalte – wahlweise auch zu heiße – Bahn gestiegen, die DB wäre ohne Kundschaft. Und wer würde dann heute noch Milliarden in einen Neubau des Hauptbahnhofs in Stuttgart stecken wollen? Würde niemand mehr Rindfleisch oder Milch kaufen – wir bräuchten keine Kühe mehr füttern, die unsere Ozonschicht furzend zerstören.

Wir können Problemen und Streitigkeiten immer erst mal aus dem Weg gehen. Aussitzen und hoffen, dass Gras drüber wächst. Abtauchen hilft aber auf Dauer nicht. Klar, das mag zwar in der deutschen Politik häufig funktionieren – deshalb ist es Wulff vielleicht auch gar nicht übel zu nehmen, dass er die Taktik „Zensur des eigenen Lebens” fährt und sicherheitshalber so wenig wie möglich ausplaudert. Und den Problemen erst einmal davon läuft. Mit dem realen Leben hat das aber wenig zu tun. Da ist Selbstzensur einfach nur im Weg.

(Text: Konrad Welzel / Zeichnung: Christina Koormann)

Konrad W.

Konrad hat back view am 06. April 2007 gegründet - damals noch in diesem sozialen Netzwerk StudiVZ. Mittlerweile tobt sich Konrad ganz gerne im Bereich SEO aus.

Schreibe einen Kommentar