Die Grüne Insel Europas – was macht sie so unverwechselbar? Ist es die Musik, die mit Gitarre, Harfe und Flöte, die Lebensfreude ihrer Bewohner ausdrückt? Sind es die authentischen Pubs, in denen man bei einem Guinness mit einem Einheimischen immer ins Gespräch kommt? Oder gar die atemberaubenden Landschaftsszenen, die vielseitiger nicht sein können? Was es auch ist, in ihrem Zusammenklang inspirieren sie jeden, der nach Irland kommt.
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Meine Reise beginnt in Killarney, einer Kleinstadt im County Kerry im Südwesten Irlands. Alles, was ich zuvor wusste, war, dass hier neben Englisch, das Gälische noch viel gesprochen wird und die Stadt an einem Nationalpark liegt. Für alles weitere Unbekannte ließ ich mich überraschen.
Ich stehe am winzigen Kerry Airport. Mein azurblauer Trekkingrucksack ist hinter mir an einem Zaun angelehnt. Meinen linken Arm halte ich gestreckt zur Straße hin und der Daumen schaut nach oben. Es ist ein herrlicher Tag für Irland. Wolkenlose und milde 20°C heißen mich willkommen und der Regen, für den Irland ja schließlich bekannt sein soll, lässt auf sich warten. An den Linksverkehr gewöhne ich mich schnell, doch ist es zunächst ein komisches Gefühl, in die Beifahrerseite einzusteigen, wo ich normalerweise ein Lenkrad erwarte.
„Ich möchte nach Killarney“, erkläre ich meinem Fahrer, der mich nach nur vier Minuten Warten aufgesammelt hat. „Ich komme aus Deutschland und ich werde für drei Monate im Killarney Youth Hostel wohnen und arbeiten.“
„Ich kenne das, ungefähr 20km von hier. Ich bringe dich direkt dorthin“, schlägt er mir vor und erzählt mir auf der Fahrt von Kerry.
Trampen funktioniert hier äußerst gut, denke ich, nachdem mich der freundliche Herr vor dem Hostel absetzt. Kaum angekommen, begrüßt mich bereits John, der Manager, ein waschechter Ire, der einem vielleicht etwas ungepflegt erscheinen mag. Bei ihm werde ich für die nächste Zeit mit zehn anderen Studenten ein Praktikum machen. Diese sind alle schon länger dabei, studieren aber auch Englisch wie ich. Leider kommen fast alle aus Deutschland und sogar von meiner Universität. Nur zwei Französinnen befinden sich in der Gruppe. Das habe ich mir anders vorgestellt, will aber nicht herumnörgeln. Immerhin bin ich in Irland.
Ich habe Zeit zum Akklimatisieren. Mein erster Arbeitstag soll erst vier Tage später beginnen. So nutze ich die Gelegenheit nach Killarney zu fahren, welches ca. 5km vom Hostel entfernt liegt. Busse in die Stadt fahren nur vier Mal täglich und Taxen sind teuer. So versuche ich es wieder per Anhalter. Und siehe da, ich treffe an der Bushaltestelle einen Backpacker und frage ihn, ob es einen Bus nach Killarney gibt. Er weiß es nicht genau und so schlage ich ihm vor zu trampen. Drei Minuten später sitzen wir bei zwei Irinnen im Auto, die uns direkt im Zentrum absetzen.
In der 13000 Einwohner kleinen Stadt befinde ich mich in einer beschaulichen, traditionellen Kulisse, die mir gleichzeitig ein touristisches und geschäftliches Leben zeigt. Im klassischen Grün gekleidete Souvenirläden, kleine Boutiquen und Musikgeschäfte, aus denen muntere Akkordeontöne zu hören sind, sowie gemütliche Galerien ergeben eine irische Kleinstadt, wie man sie von Bildern kennt. Wenn ich durch die Straßen laufe, treffe ich zahlreiche internationale Gäste an. Doch ich kann mir sicher sein, dass ich in einem Irish Pub, der an fast jeder Ecke ist, auch sehr leicht mit einem Einheimischen in Kontakt komme.
Es ist wunderbar zu sehen, wie ausgelassen die Iren feiern. An jedem Tag gibt es irgendwo in einem Pub Live-Musik. Das möchte ich ausnutzen und nehme mir vor, das Nachtleben auszukosten. Gesagt, getan! An einem sonnigen Samstagabend treffe ich mich mit der Couchsurferin Coco aus China. Sie reist momentan durchs ganze Land und bleibt drei Tage in Killarney, bevor sie nach Sligo weiterfährt. Wir beschließen nach Rosscastle zu laufen und danach etwas trinken zu gehen.
Rosscastle ist eine wunderschöne Burgruine am Lough Leane, dem größten See im Nationalpark, mit einem grandiosen Blick auf die Bergkette. Ich bin überwältigt von den Gipfeln, die in den blauen Himmel ragen und an deren Füßen sich die tiefgrünen Wälder erstrecken. Einige Fotos später treffen wir uns mit Sam und seiner irischen Frau. Beide wohnen in Killarney, nur gerade machen sie eine kleine Radtour mit Bear, ihrem schwarzen Rottweiler, und zeigen uns die Waldwege, an denen immer wieder kleine Lichtungen hervorkommen und wir einen unvergessenen Blick in die Ferne des Nationalparks erhaschen können. Sam ist ebenfalls Couchsurfer. Ursprünglich stammt er aus Indien. Doch schon seit Langem lebt er in Irland und zeigt mit seiner sehr gastfreundlichen Art, jungen Reisenden sein Zuhause.
Am späten Abend begegnen Coco und ich in der Stadt zufällig den beiden Franzosen Antoine und Marlène. Sie waren gerade zwei Monate im Osten des Landes und verbringen ihr letztes Wochenende in Killarney. Beide kennt Coco aus ihrem Zimmer in dem Hostel, wo sie übernachtet. Da wir alle keine Pläne haben, suchen wir gemeinsam einen Pub auf und finden schließlich „The Grand“. Dieser ist ziemlich belebt und es spielt, wie jeden Samstag, eine Live-Band. Wir genießen unser Guinness und bewegen uns enthusiastisch zu der irischen Folklore mit, auch wenn uns die meisten Lieder völlig unbekannt sind. Nachts um ein Uhr tummeln sich zahlreiche Gäste in den Nachtclub, der direkt hinter den Pub anschließt. Ein ausgelassener Abend geht in den frühen Morgenstunden für uns zu Ende. Mein Fazit: Egal wo du in Irland bist, zu feiern findest du immer etwas.
Rezeption, Verkauf, Küche und Reinigung gestalten meinen Arbeitsalltag im Hostel. Immer im Wechsel übernimmt man verschiedene Schichten. Drei Tage in der Woche hat man frei. Genug Zeit, um das Land zwischendurch besser kennenzulernen.
Es ist meine zweite volle Woche in Irland. Die Sonne scheint ununterbrochen, was einen gewöhnlichen kühlen Sommer im Lande eher widerspricht. Camille, meine französische Kollegin, und ich wollen den Carrauntoohill besteigen, den höchsten Berg Irlands. 1039 Meter sollen nach einem 4-Stunden Marsch erreicht werden. Ich schaue in meinen Wanderführer nach. Die Route soll anspruchsvoll sein. Steinwege und loses Geröll charakterisieren den Wanderweg, der teilweise äußerst steil ist. Bei Nässe wird einem abgeraten dort hinauf zu steigen. Es sind vor Kurzem zwei Menschen ums Leben gekommen, die sich verirrten und erfroren sind.
Doch wir sind guter Dinge und nehmen morgens um 9 Uhr ein Taxi zum Startpunkt. Mit Rucksack, Wasser und Lunchpaket beginnen wir unsere Tour auf den höchsten Punkt der Macgillycuddy’s Reeks, dem einzigen Gebirge über 1000m in Irland, welches direkt an den Nationalpark angrenzt. Das Wetter meint es gut mit uns. Konstanter Sonnenschein begleitet uns, während wir den Weg entlang laufen. Wir befinden uns mitten in einem Talbecken, in dem ein Bach parallel zu unserer Strecke auf das Gebirge zufließt. Hier gibt es zwei Seen, an denen wir vorbeilaufen müssen. Ganz am Ende: Die Devil’s Ladder!
Der schwierigste Teil der Wanderroute. Zuvor haben wir eine Gruppe getroffen, dessen Guide uns kurz erklärt hat, wie der Weg zum Gipfel verläuft. „Ihr kommt genau auf die Devil’s Ladder zu, wenn ihr oben angekommen seid, haltet euch rechts, um den letzten Aufstieg zum Gipfel zu erklimmen.“ Die Teufelsleiter trägt ihren Namen zu Recht. Es ist dermaßen steil, dass man eher von Klettern sprechen müsste. Manchmal lösen sich Steine. Ich muss vorsichtig sein. Camille befindet sich um die 10 Meter hinter mir. Eine ganze Stunde brauchen wir dafür. Zwischendurch drehe ich mich zum Tal hin und genieße die Aussicht. Die beiden Seen ähneln von oben zwei Augen, zwischen die wir hindurch gewandert sind. Davon muss ich ein paar Fotos machen.
Auf den letzten Metern zum Gipfel begegnen wir immer wieder Wanderern. Es ist selbstverständlich, dass man sich freundlich begrüßt. Irgendwann sehe ich das Kreuz, was seit 50 Jahren auf dem Gipfel steht. Voller Stolz erreichen wir den höchsten Punkt des Landes und rasten lange, um die grandiose Aussicht auf den Südwesten zu genießen. In weiter Ferne erkenne ich Killarney. Der Lough Leane ist von der Bergkette verdeckt. Sie steht so still und friedlich da, dass man denken würde, es gäbe nichts anderes in Irland.
(Text und Fotos: Tom Pascheka)