Bereits unmittelbar nach der Katastrophe legte die Regierung Japans ihre Pläne zum weiteren Ausbau der Atomenergie zunächst auf Eis. Das war im März 2011. Die aktuelle Berichterstattung lässt nun keinen Zweifel mehr an einer Energiewende.
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Wie fast kein anderes Land vertraute Japan bisher auf die eigene und unabhängige Versorgung durch Kernenergie. Das Land bezieht seinen Strom zu fast einem Drittel aus den mehr als 50 japanischen Reaktoren. Nach den USA und Frankreich steht Japan damit auf Platz drei im Bereich Atomkraft. Bereits im Jahre 1966 wurde der erste kommerzielle Reaktor in Betrieb genommen. Die Forschungen liefen auf Hochtouren, nachdem in den USA in den 1950ern das erste Atomkraftwerk erbaut worden war.
Danach trieb vor allem die Ölkrise die Entwicklung an: Wegen der steigenden Ölpreise und dem immer stärker werdenden Bewusstsein über das Fehlen eigener Rohstoffe, wollte sich das Land unabhängig von externen Energiequellen machen. Dass in Japan Erdbeben zur Tagesordnung gehören, wurde zu dieser Zeit und seither wenig bedacht.Jetzt, nachdem die Folgen der Katastrophe vom 11. März 2011 immer deutlicher werden, macht sich bei den Japanern ein grundsätzliches Umdenken bemerkbar. Waren es anfangs nur Dutzende, so sind es mittlerweile Tausende, die auf die Straße gehen, um gegen Atomkraft zu demonstrieren. Eine Entwicklung, die für das Land eher untypisch ist.
Auffallend ist auch die Solidarität, die die Bevölkerung untereinander beweist. So kaufen viele Japaner gerade nach dem Erdbeben Lebensmittel aus der betroffenen Region Fukushima ein. Der Verkauf dieser Lebensmittel soll jetzt sogar höher sein denn je.
Ohnehin ist die Weltbevölkerung von der Mentalität der Japaner in den letzten Monaten gefesselt. Viele Japaner denken gar nicht erst daran, ihr Land zu verlassen. Sie leben wie selbstverständlich in provisorisch eingerichteten Papphäusern und nehmen die Situation schlicht so hin, wie sie ist. Trotzdem sind laut einer Umfrage über 50 Prozent der japanischen Bevölkerung unzufrieden mit dem Krisenmanagement der Regierung. Ein Zwiespalt zwischen Heimatliebe und Entrüstung.
Die Regierung hat nun eindeutig erklärt: „Wenn wir Atomkraft nutzen, müssen wir immer an die Sicherheit denken.” Schon die Stilllegung des 170 Kilometer südlich von Tokio gelegenen Atomkraftwerks Hamaoka – aufgrund von Erdbebenwarnungen – lässt auf verstärkte Sicherheitsmaßnahmen schließen. Erst vor einigen Jahren gab es bereits eine Erderschütterung in Niigata, die einen Brand und eine Serie von 50 Defekten auslöste.
Die Liberaldemokratische Partei regierte in Japan fast ununterbrochen von 1955 bis 2009. Sie hatte lange Zeit zum Ziel bis 2010 die Energieversorgung zu 40 Prozent aus atomaren Quellen zu beziehen. Auch der Plan der neuen Regierung sah dann weiterhin vor, die Atomenergie auszubauen und im Jahr 2030 50 Prozent des Stroms durch Kernenergie zu erzeugen. Und nun? Soll auch in Japan die Solar-, Wind- und Biomasseenergie ein Thema werden?
Offensichtlich bietet sich gerade in und um Japan eine Vielzahl von Quellen erneuerbarer Energien. Die Studie „Energy Rich Japan” aus dem Jahr 2003 beweist, dass Japan durchaus ein Land ist, das seine Stromversorgung auf erneuerbare Energien umstellen könnte, sogar bis auf letztlich 100 Prozent.
Aktuell machen die alternativen Energien aber noch einen verschwindend geringen Teil der Stromversorgung aus. Zu sehr lag die Konzentration der vergangenen Jahrzehnte auf der Atomenergie. Der stellvertretender Direktor der Abteilung für Energie und Umwelt Yoshiro Owadano vom National Institute of Advanced Industrial Science and Technology (AIST), in dem der Einsatz alternativer Energien untersucht wird, bleibt jedoch kritisch. Er glaubt nicht, dass sich viel ändern wird.
Bis dahin sei es „ein langer Prozess, mit vielen, kleinen Schritten.” Außerdem seien die Bedingungen, sowohl klimatisch als auch geografisch in Japan nicht so ideal wie in Europa. Daher sei zum Beispiel Windkraft wegen der häufig auftretenden Taifune problematisch. Erdwärme sei aufgrund der zahlreichen Vulkane in Japan eine mögliche Lösung, doch hier sei vor allem die Politik gefragt, die künftig die Gesetze ändern müsse.
Genau diese Bewegung ist nun spürbar: Auf einem Forum zum 50. Geburtstag der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) erklärte der japanische Premierminister Naoto Kan, dass infolge der Atomkatastrophe in Fukushima bis 2020 der Anteil an erneuerbaren Energien auf ein Fünftel steigen solle. Zu diesem Zweck sollen die Kosten für die Produktion von Sonnenergie bis 2030 auf ein Sechstel des derzeitigen Niveaus gesenkt werden.
Die Kernenergie soll zwar weiterhin – unter verschärften Sicherheitskontrollen – eine Säule der japanischen Energieversorgung bleiben, doch eine Neuausrichtung ist nun offiziell angekündigt. Kan schlägt neben den bisher bestehenden Säulen – Kernenergie und fossile Energien – vor, zwei weitere Quellen in Betracht zu ziehen: Einerseits die erneuerbaren Energien Sonne, Wind und Biomasse und andererseits das Energiesparen. Außerdem soll ein Ausschuss gegründet werden, der „unabhängig, offen und vollständig” alle Fragen der Kernenergie beleuchtet. Somit hat die Katastrophe von Fukushima in Tokyo scheinbar einen Sinneswandel ausgelöst, der die japanische Energiepolitik grundlegend und nachhaltig verändern wird.
(Text: Martina Gewehr)