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Grenzenlose Welt

Die Welt hat sich verändert. Grenzen erlöschen scheinbar und fast der ganze Planet ist für Reiselustige zugänglich. Wir sind immer und überall unterwegs, eine These, die Oma und Opa in Staunen versetzt. Die Mobilität wird von den verschiedenen Generationen unterschiedlich wahrgenommen. Und dabei verstehen sie nicht immer sofort die jeweils andere Perspektive.

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Extrempunkt DDR
Mobilität war wohl eines der am häufigsten auftretenden Begriffe in der DDR-Geschichte. Denn weil sie so weit entfernt war, galt sie als eine der größten Sehnsüchte der Ostdeutschen. Sie definierte gesellschaftspolitische Bewegungen. Zahlreiche Bürger ergriffen die Iniative und versuchten, zu flüchten. Mobil sein, hieß Freiheit erleben. Nicht mehr „gefangen“ sein, Grenzwächtern zu entkommen und dorthin zu fahren, wohin man wollte.

Auch wenn die DDR ein Extremfall war. Eine Gegenüberstellung zwischen ihr und der heutigen Welt stellen die verschiedenen Perspektiven klar. Ich wurde etwa vier Monate nach dem Mauerfall geboren und bin im Osten Deutschlands , aufgewachsen. Eerzogen von Eltern, die jahrelang einer Immobilität ausgesetzt waren, höre ich immer wieder ihre Geschichten und denke mir, dass ich es heute einfacher nicht haben kann.

„Früher hätte es das nicht gegeben!“
Mein Großvater bekam einen Trabant. Es war sein erstes eigenes Auto. Sein ganzer Stolz, den er nach langer Wartezeit endlich ausleben konnte. Er war nun mobiler als vorher. Welch ein Traum, der endlich in Erfüllung ging! Wollte man weit reisen, was durch die Mauer ohnehin eingeschränkt war, brauchte man ein kleines Auto, das einen sicher zum Urlaubsort brachte. Wollte man ein Auto, musste man 13 Jahre warten.  Zug und Bus waren zwar billig, aber keine gute Alternative, um wirklich weit zu kommen.

Das Auto wurde zum Statussymbol. Ein Symbol, das den Menschen endlich Mobilität und Flexibilität bescherte. Das bedeutete aber auch die deutschen Grenzenzu verlassen, reisen zu können, in fremde Länder jenseits der Mauer. Daran hatten die wenigsten gedacht, man kümmerte sich eher um andere Dinge. Man wuchs eben so auf und kannte es nicht anders.

Grenzen überschreiten
Doch junge Studenten, wie meine Mutter in den 1980er Jahren, waren begierig, mehr zu sehen. Und, weil nicht viel Geld zur Verfügung stand, trampten sie. Ein Freiheitsgedanke war also schon immer im Hinterkopf. Nur blieb es meistens bei Polen, Tschechien oder Ungarn. Die restliche Welt war den meisten weitestgehend unbekannt.

Sprachen wurden gelernt, doch Austauschprogramme existierten nicht. Soziale und ökologische Dienste in Entwicklungsländern waren ausgeschlossen. Von konkurrierenden Reiseanbietern für Pauschalurlaub hatte man nie etwas gehört. Dinge, die heute selbstverständlich sind. Dinge, die meine Familie zunächst für unmöglich hält. Zum Beispiel, wenn ich ihnen erzähle, dass ich heute praktisch ein Visum beantragen, morgen nach Kanada fliegen und ab übermorgen dort arbeiten und reisen kann.

„Heute ist ja alles so einfach!“
Ja, ich reise viel, weil ich es liebe. Und weil ich die Chance dazu habe. Ich suche mir einfach aus, wohin ich will. Ich kann fast überall hin. Ich nehme an einer Sprachreise in England teil. Ich fliege mit einer Jugendgruppe nach Tunesien und lerne die Kultur kennen. Ich fahre mit einem Freund nach Südfrankreich per Anhalter. Ich absolviere ein Praktikum in Paris und in Irland. Nichts kann mich aufhalten.

Vieles ist so unkompliziert geworden. Als junger Mensch möchte ich nichts verpassen. Meine Umgebung ist dekoriert mit sämtlichen Angeboten von Organisationen, Vereinen, Instituten, Universitäten. Alle bieten Reisen oder Auslandsaufenthalte an. Praktisch in fast jedes Land auf jedem Kontinent. Ich habe die Qual der Wahl.

“Wohin geht’s diesmal?”
Meine Eltern fragen mich mittlerweile nur noch aus Gewohnheit: „Und wohin geht es diesmal?“ Ich erzähle ihnen von meinen Plänen und mache mich auf den Weg. In fremde Länder, zu anderen Kulturen, um neue Sprachen zu lernen, um meine Grenzen auszukosten. Um mich kennen zu lernen und wertvolle Lebenserfahrungen zu sammeln.

Die Mobilität hat sich gewandelt. Neue Technologien und politische Entscheidungen, die in den letzten Jahrzehnten entstanden sind, machten neue Reiseformen möglich. Man kann nun viel weiter, schneller und spontaner reisen. Die Welt scheint grenzenlos zu sein. Zumindest Europa. Ich profitiere immens vom Schengen-Raum.

Von Portugal bis Kroatien kann ich theoretisch fahren, ohne einmal meinen Personalausweis vorzeigen zu müssen. Ich durchkreuze ein Haufen Länder, bewege mich von A nach B nach C und zurück, ohne jedes Mal an ein Visum denken zu müssen. Ausgenommen für Russland und Weißrussland kann ich zu jeder Zeit unangemeldet an die europäischen Haustüren klopfen. Ob mit Zug, Flugzeug, Schiff, Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß. Grenzen kann ich auf jede Art überschreiten. Und das ist der Reiz des Mobilseins. Wenn ich diese Gelegenheiten sehe, nutze ich sie. Für junge Leute steht die ganze Welt offen.

Schwieriges Nachempfinden
Ich sitze am Strand und lausche den Wellen des Atlantiks. Eine leichte Brise streift an mir vorbei. Es ist etwas kühl, aber das stört mich nicht. Ich bin in Irland und genieße die Berge um mich herum, die wie Wächter auf die Bucht herabschauen. Eine beeindruckende Landschaft, die mich immer wieder inspiriert.

In solchen Momenten mache ich mir bewusst, dass ich froh bin, in einer solchen Zeit zu leben. Diese möchte ich nicht missen. Und trotzdem fällt es mir schwer, das Leben meiner Eltern in der DDR nachzuvollziehen. Es gibt Dinge, die ich nicht verstehe, die ich mir nie richtig vorstellen kann. Das Gefühl einer Einschränkung einer Isolierung, vielleicht einer „Gefangenschaft“. Ein Leben mit Regeln, die es verbieten, bestimmte Länder zu betreten. Ich hätte wohl Angst davor, auf eine von mir derart gewünschte Mobilität verzichten zu müssen.

(Text: Tom Pascheka)

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