Tagelang beherrschte der Castor-Transport ins Zwischenlager nach Gorleben die Medien. Die heftigsten Anti-Atom-Proteste seit Jahrzehnten sorgten dafür, dass sich die Ankunft insgesamt um einen ganzen Tag verspätet hat, was die Kosten auf über 20 Millionen Euro anstiegen ließ. Für was die Demonstranten kämpfen und was sie mit dem Ausbremsen der Transporte erreichen wollen, erklärt Jan Becker, Sprecher der Anti-Atom-Organisation contrAtom, im Gespräch mit back view.
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back view: Was ist Ihr persönliches Fazit der Proteste anlässlich des letzten Castortransport nach Gorleben?
Jan Becker: Die Proteste haben für den weiteren Kampf gegen die Laufzeitverlängerungen der Kraftwerke Biblis, Brunsbüttel und Neckarwestheim und die endgültige Abschaltung aller Atomanlagen ein deutliches Zeichen gesetzt. Mehr als doppelt so viele Menschen als beim letzten Transport vor zwei Jahren protestierten im Kontext der Endlagermisere in Asse-II und Morsleben, den Ankündigungen von CDU/CSU und FDP, den Atomkonsens zu kippen und der ungelösten Endlagerfrage, die sich insbesondere an den Castortransporten verdeutlicht.
Von einem „letzten Aufbäumen” der Anti-Atombewegung (so CDU/CSU) kann also keine Rede sein, vielmehr wird deutlich, womit zu rechnen ist, sollten es nach der Bundestagswahl 2009 tatsächlich zur Aufkündigung des Atomkonsens oder weiteren Verzögerungen bei der Abschaltung der deutschen Atomkraftwerke kommen. Bereits Gorleben 2008 war ein erstes Zeichen: Der bislang längste und teuerste Castortransport seit Beginn der Einlagerungen in Gorleben.
Können Sie uns bitte kurz erläutern für was Ihre Organisation contrAtom steht?
contrAtom setzt sich für den sofortigen Ausstieg aus der Nutzung der Atomenergie ein. Wir informieren über die Kehrseite einer Energieform, die nur für wenige Jahrzehnte existieren kann und uns großen Gefahren aussetzt. Wir recherchieren und veröffentlichen Informationen, die von den Betreibern und Verantwortlichen in der Atomindustrie bewusst verschwiegen oder verschleiert werden, organisieren Proteste und treiben die Vernetzung aller aktiven Atomkraftgegner in Deutschland und darüber hinaus voran. Zentrales Mittel dieser Arbeit ist unsere Webseite http://www.contratom.de/
Wie und wann hat sich contrAtom gegründet?
contrAtom gründete sich im November 2001 anlässlich des fünften Castortransports nach Gorleben. In Buchholz (Nordheide), das an einer der möglichen Transportstrecken nach Gorleben liegt, fand die erste Demonstration und Mahnwache statt. Damals fuhren zudem in regelmäßigen Abständen von ca. 6 Wochen Transporte mit ausgedienten Brennstäben aus den Atomkraftwerken um Hamburg durch Buchholz in die Wiederaufarbeitungsanlagen in Frankreich und Großbritannien. Jeder Zug, bis zu deren Einstellung im Juli 2005, wurde mit Protesten begleitet. Im November 2005 organisierten wir eine erste Demonstration in Winsen (Luhe) und seit Mitte 2008 arbeiten wir sehr eng mit der Bürgerinitiative Uelzen gegen Atomanlagen zusammen, die seitdem unter dem Namen „contrAtom Uelzen” firmiert.
Warum genau wollen Sie einen Transport möglichst ungemütlich ablaufen lassen?
Atomtransporte sind die Lebensader der Atomindustrie. Würden keine Transporte von Nuklearmaterial mehr stattfinden können, müssten alle Atomanlagen abgeschaltet werden. Hierbei geht es nicht nur um die medial sehr hervorgehobenen „Castor”-Transporte nach Gorleben, sondern auch um Urantransporte in die Anreicherungsanlage in Gronau bzw. von dort ins Ausland. Künftig werden wir uns zudem der Transporte von Brennelementen und Uranerz, die im Hamburger Hafen anlanden, annehmen und Proteste organisieren.
Die Kritik an Atomtransporten ist vielfältig: Allein die Sicherheitsfragen halten wir für mangelhaft gelöst, denn Castorbehälter sind für unrealistische Unfallbedingungen ausgelegt und würden etwa terroristischen Anschlägen nicht standhalten. Ein schwerer Unfall wie die Kollision mit einem Kesselwagen, anschließender Explosion und mehrstündigem Brand mit Temperaturen über 800 Grad Celsius würde kein Behälter überstehen. Da diese Transporte durch dicht besiedeltes Gebiet rollen, wären die Folgen dramatisch. Neben tausenden Strahlenopfern, die zum Teil tödlich erkranken würden, wären große Flächen für Jahrzehnte unbewohnbar. Eine weitere Gefahr, die aktuell für große Verunsicherung sorgte, ist die von den Castor-Behältern ausgehende Strahlung, die technisch nicht abgeschirmt werden kann. Eine Direktive der Polizei sollte in Gorleben dafür sorgen, dass kein Begleiter des Transports näher als sechs Meter an die Castoren heran darf. Frauen ist es seit Jahren untersagt, einen Castor im Nahbereich zu begleiten.
Was passiert mit den Castor-Behältern in Gorleben?
Die Behälter werden in einer Leichtbauhalle abgestellt, wo sie 40 Jahre lang an Wärme verlieren sollen. Was dann tatsächlich mit ihnen geschieht, weiß heute niemand. Das Forschungsbergwerk Gorleben halten wir als Endlager für hochradioaktiven Müll für nicht geeignet. Damit müssten alle Behälter wieder von dort abtransportiert werden – vermutlich unter vergleichbarem Aufwand. Damit ist jeder weitere Castortransport nach Gorleben eine inakzeptable Vorfestlegung für das Endlager im Wendland.
Was können Sie uns von Ihren Aktionen anlässlich des diesjährigen Castortransports erzählen?
contrAtom hat mehrere Veranstaltungen in Hamburg, die der Mobilisierung dienten, unterstützt. Auf der Demonstration in Gorleben nahmen wir mit einem Lautsprecherwagen teil und konnten aktuell von den Geschehnissen auf der Castorstrecke berichten. Neben diversen Informationsmöglichkeiten konnte der genaue Standort und Fahrzeiten sowie Prognosen auf unserer Webseite eingesehen werden, mithilfe von Newsletter- und SMS-Vetreiler und Infotelefon konnten hunderte Menschen davon direkt profitieren.
Ausgangspunkt unserer Protestaktionen war das von uns mitorganisierte Camp in Gorleben. Von dort aus erreichte eine Gruppe von Aktivisten um contrAtom in der Nacht des Straßentransports die Strecke zwischen Laase und Gorleben und konnte für kurze Zeit den Konvoi mit den elf Tiefladern stoppen. Offiziell gab es auf der Straßenstrecke keine Störungen – das wissen wir besser.
Betrachten Sie Ihren Einsatz gegen Atomenergie insgesamt als erfolgreich?
Der Zuspruch und die Menge an zahlenmäßigem Protest muss in diesem Jahr als großer Erfolg gewertet werden. Laut BI Lüchow Dannenberg hatten zuletzt in den 70er Jahren so viele Menschen in Gorleben gegen die menschenverachtende Atomenergie demonstriert. Auch auf der persönlichen Ebene finde ich immer mehr Menschen, die sagen „Jetzt erst recht!”.
Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Argumente gegen Atomenergie?
Es gibt definitiv noch kein Endlager. Mit jedem Tag des Weiterbetriebes der Atomkraftwerke wächst der Berg an radioaktiven Müll – und davon ist bislang kein Kilogramm sinnvoll entsorgt. Im Kontext dieses Faktums über Laufzeitverlängerung zu diskutieren, halten wir für fahrlässig.
Es gibt keine 100%-ige Sicherheit. Ein Super-GAU, wie 1986 in Tschernobyl geschehen, lässt ganze Landstriche von der Landkarte verschwinden und löscht Generationen aus. Das Leid der betroffenen Menschen ist gegenüber des – unserer Ansicht nach – vergleichsweise geringen Nutzen nicht zu relativieren. Ein Super-GAU ist überall möglich, das belegen schwere Unfälle in Reaktoren auch mit westlicher Sicherheitstechnik, sogar in Deutschland.
Zudem zerstört der Uranbergbau Leben. Damit in Deutschland Atomkraftwerke laufen können, verlieren Menschen in Namibia, Australien oder Kanada ihre Gesundheit oder Lebensgrundlage. Riesige radioaktiv verseuchte Halden werden bei der wenig effektiven Uranerzgewinnung hinterlassen. Der Wind trägt den verseuchten Staub in die angrenzenden Städte und Dörfer.
Was sagen Sie zu der Aussage einiger Politiker, dass Atomenergie klimafreundlich sei?
Atomkraft kann das Klima nicht schützen. Für effektiven Klimaschutz müssten weltweit innerhalb weniger Jahre etwa 1.000 Atomreaktoren zugebaut werden. Diese würden etwa 10 Prozent der fossilen Energieträger ersetzen. Die neuen Standorte wären nicht nur in Deutschland stark umstritten, sondern müssten auch in instabilen Ländern gefunden werden, für die die zivile Nutzung der Kernspaltung zur Stromerzeugung den Weg zur Atombombe ebnen würde. Einem Vergleich bezüglich des CO2-Ausstosses gegenüber den Erneuerbaren Energien hält die Atomkraft nicht stand – würden sämtliche Verarbeitungsschritte wie Uranbergbau, Anreicherung, Brennelementeherstellung oder Transporte berücksichtigt werden.
Aber sind Sie wirklich dafür, die Kraftwerke sofort abzustellen? Wie soll das deutsche Stromnetz dann ausreichend versorgt werden?
Jeder Mensch kann sofort seinen eigenen Atomausstieg machen und Ökostrom beantragen. Das dauert keine fünf Minuten und kostet wenige Euro im Monat mehr: http://www.atomaustieg-selber-machen.de/ .
Mal angenommen, es würde nur die Hälfte der Deutschen diesen Schritt wagen – so viel Ökostrom kann doch im Moment noch gar nicht aufgebracht werden?
contrAtom sieht seine Aufgabe nicht darin, Ausstiegszenarien für Deutschland zu erarbeiten. Denn das haben in der Vergangenheit andere bereits getan, wir empfehlen z.B. das Buch von Hermann Scheer „Energieautonomie”.
Und grundsätzlich bestimmt in einer freien Marktwirtschaft die Nachfrage das Angebot. Würden also entsprechend viele Menschen Ökostrom haben wollen, dann würden die Verantwortlichen auch an eine schnellen Lösung arbeiten. In kleinem Stil geschieht ja auch mehr oder weniger: Vattenfall, E.ON & Co. investieren zum Beispiel bereits in Offshore-Windparks.
Dennoch gehen die Stromkonzerne bisher noch nicht auf die breite Förderung regenerativer Energien ein.
Großkraftwerke wie Atomkraftwerke und auch Kohlekraftwerke zementieren eine zentralisierte Struktur, die den Endverbraucher abhängig macht. Die Energiekonzerne können gar kein Interesse an einer dezentralisierten Energieversorgung haben, da ihnen damit Milliarden-Gewinne verloren gehen würden.
Wie kann der derzeitige Konflikt um die Atomenergie gelöst werden, um beide Seiten zufriedenzustellen?
Mit Sicherheit nicht, in dem der Atomkonsens mit fadenscheinigen Argumenten und Versprechungen wie sozialen Stromtarifen in Frage gestellt wird. Nur wenn tatsächlich ein AKW nach dem anderen planmäßig vom Netz geht, kann dieser Konflikt befriedet werden. Anderenfalls rechnen wir mit Protesten von heute noch ungeahnter Größenordnung, mit Sicherheit würde sich der Widerstand auch wieder radikalisieren, weil sich immer mehr Menschen von ihrer Regierung für dumm verkauft fühlen.
Hat sich die Zahl der Atomgegner und der Demonstranten in den vergangenen Jahren erhöht?
Im Vorfeld des diesjährigen Castortransportes meldeten sich wieder Menschen zu Wort, die seit Jahren keine öffentliche Position mehr bezogen hatten. Die Anti-Atombewegung bekommt derzeit wieder Zulauf aus allen Alterklassen, vor allem junge Menschen begreifen, dass sie das Thema direkt betrifft.
Am 11.11.2006 demonstrierten etwa 6.000 Menschen in Gorleben gegen den erwarteten Castortransport. Insofern kann mit Bezug auf dieses Jahr – 16.000 Menschen vor den Toren des Zwischenlagers – eine deutliche Steigerung des Protestes festgestellt werden. Was zudem von öffentlicher Relevanz ist: Die Polizei musste zugeben, dass in diesem Jahr die Gewaltbereitschaft des Widerstandes deutlich zurückgegangen ist.
Vielen Dank für das Interview.
(Text: Konrad Welzel)