Spiegelbild der Politik
Russland und das Problemfeld FuĂball
Als FIFA-Boss Joseph Blatter im Dezember 2010 verkĂŒndete, dass Russland 2018 Gastgeber eines der gröĂten Sportereignisse der Welt sein wird, ging ein Raunen durchs Universum. Eine FuĂball-WM im No-mans-land – wer braucht etwas Derartiges? Doch diese Frage wird der Problematik nicht gerecht, denn die Lage in Putins Hoheitsgebiet ist brenzlig, auch und vor allem rund um den FuĂballplatz.
1500 aktive Hooligans in Moskau
Es ist keine vier Monate her, dass Lokomotive Moskau gegen Sturm Graz in der Europa-League antrat und im Anschluss an das Spiel rund 50 Hooligans einer unterlegenen Anzahl von Ăsterreichern auflauerte und drei von ihnen ins Krankhaus prĂŒgelte. Immerhin zwei der SchlĂ€ger konnten festgenommen werden.
Doch dieses Bild ist keines mit Seltenheit. Insbesondere bei Moskauer Lokalderbys geht es heiĂ und brutal her. Im November 2008 wurden beispielsweise gut 130 Hooligans festgenommen, nachdem unter anderem ein Grenzgitter im Stadion eingedrĂŒckt und zahlreiche Fans verletzt wurden.
Insgesamt sollen alleine die Hauptstadtklubs circa 1500 aktive Hooligans zÀhlen. Da sind Ausschreitungen vorprogrammiert. Besonders pikant erscheint die Verbundenheit von Politik und Hooligans. Die SchlÀger sollen in der Vergangenheit gegen Demonstranten und angebliche RevolutionÀre eingesetzt worden sein. Hooligans als Instrument der Politik?
Auch in Italien halten sich GerĂŒchte, dass faschistische Fans von Lazio Rom bei rechtsradikalen Demonstrationen fĂŒr eine fragwĂŒrdige Form der Sicherheit sorgen. FuĂballfans und Politik, das schlieĂt sich bei weitem nicht aus. Wie auch die Ultras Ahlawy beweisen, die aktiv am Umsturz von Ăgyptens PrĂ€sident Mubarak beteiligt waren.
Die Politik ist ĂŒberfordert
Doch dass prĂŒgelnde FuĂballfans auch zum Problem fĂŒr die Vertreter des Staates werden können, offenbarte sich spĂ€testens Mitte Dezember 2010. Der Fan von Spartak Moskau Jegor Swiridow wurde bei Unruhen von einem Nordkaukasier ermordet. Um diese Tat zu rĂ€chen, zogen unter anderem zahlreiche Spartak-Hooligans auf die StraĂen, pöbelten und schlugen auf alles, was nicht weiĂ und ârein“ ausschaute.
Putin legte Blumen am Grab nieder und die Krawalle gingen weiter. Jeder, der wie ein Nordkaukasier aussah, konnte Opfer der rassistischen Rache werden. Ein Armutszeugnis fĂŒr die Politik: Die prĂŒgelnde Meute, die zuvor noch instrumentalisiert wurde, war nun aus allen Fugen geraten. Die Politik verlor die Kontrolle und griff zum einzig gĂ€ngigen Mittel: zur Repression.
Auch in den Stadien selbst sind die Fronten zwischen AnhĂ€ngern und Polizei und Staat mehr als verhĂ€rtet. Von Fanbeauftragten trĂ€umen nicht einmal die kĂŒhnsten Optimisten. Stadtdessen dominieren massive Polizeiaufgebote die Stadionbilder. Wer auf Dialog hofft, wird mit Konfrontation geerdet. So steuert der russische FuĂball sechs Jahre vor der WM ins Chaos.
Der destabilisierte Nordkaukasus
Dass Gewalt meist Gegengewalt provoziert, erlebt die russische Gesellschaft fast tĂ€glich. Die Nordkaukasusregion kĂ€mpft seit Jahren blutig um eine UnabhĂ€ngigkeit. Putin scheint auch in dieser Frage ĂŒberfordert, und so muss wieder die Gewalt brutale Worte sprechen.
Die schockierende Antwort folgte am 24.01.2011. Am Moskauer Flughafen Domodedowo riss ein kaukasischer SelbstmordattentÀter mehr als 35 Menschen mit in den Tod. Das Land war paralysiert. Doch die Ohnmacht lieà viele in der russischen Gemeinde wie einen angeschossenen BÀren toben.
Die AuslĂ€nderfeindlichkeit stieg in den letzten Jahren in ungeahnte Höhen. Gewalt und eine vollkommen planlose Politik prĂ€gen das Bild. Und eben jenes Bild spiegelt sich in den Stadien wider. Russische Hooligans verprĂŒgeln vorzugsweise Fremdartiges in und um den Stadien. Ohnmacht diktiert das Geschehen. Ein Spiegelbild der Politik.
Oligarchen ziehen die FĂ€den in der Premjer-Liga
Und rein sportlich gesehen ist die Premjer-Liga ein interessantes, aber irgendwie auch trauriges Objekt. PrĂ€sidenten und Oligarchen bestimmen auch hier das Bild. So ist es beispielsweise Suleiman Kerimow, der mehrfacher MilliardĂ€r ist, einst in der Politik die FĂ€den zog und nun den neureichen Klub Anschi Machatschkala aus Dagestan im Nordkaukasus mit Scheinen ausrĂŒstet. Bei Anschi spielen nun mit Roberto Carlos und Samuel Eto’o zwei ehemalige Weltklassespieler. Wichtige AushĂ€ngeschilder fĂŒr eine geschundene Region.
Der Klub Rubin Kasan wird vom Gouverneur der Republik Tatarstan unterstĂŒtzt. Zudem greift das Staatsunternehmen Gazprom Zenit Sankt Petersburg gewaltig unter die Arme. Wie auch in anderen LĂ€ndern sind Wirtschaft und Sport hier eng miteinander verwoben. Doch nirgendwo sonst herrscht eine derart enge, regionale Bindung zwischen Klub und EigentĂŒmer vor. In der englischen Premier League sind es Ăl-Scheichs oder US-MilliardĂ€re, die die Klubs regieren.
Teure Stars als Werbung und Allheilmittel
Um die hitzige Region im Kaukasus zu beruhigen, soll die hohe Politik die kaukasischen Kapitalisten gebeten haben, dass sie doch bitte ein paar mehr Geldscheine in den Sport investieren sollen. Ehemalige Weltstars sollen das gesellschaftliche Elend dieser Region ĂŒberstrahlen. Robert Carlos reist als bunter Hund durchs Land, er ist eine Attraktion zusammen mit Eto’o. Doch die Politik wird durch diese Form der Sportpropaganda nicht mehr als an der OberflĂ€che kratzen. Die SĂŒddeutsche Zeitung sprach vor lauter Oligarchentum und Eingriffen ins Sportgeschehen von einer âBerlusconisierung des Kaukasus“.
Als Kevin Kuranyi, einst NationalstĂŒrmer und nun Kicker bei Dynamo Moskau, kurz nach seinem Wechsel zum Training kam, erlebte er eine Ăberraschung. Dynamo-PrĂ€sident Juri Issajef schickte sein Team zu einem nahegelegenen MilitĂ€rgelĂ€nde. Dort wurde Kuranyi eine scharfe Kalaschnikow in die Hand gedrĂŒckt. Es wurde munter auf Zielscheiben geschossen. Russlands FuĂball ist derzeit geprĂ€gt von Oligarchen, Gewalt und Chaos. Ein Spiegelbild der Politik.
(Text: Jerome Kirschbaum)
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