Jogi Löw hat Erfolg. Und er hat einen Plan. Bei der Kadernominierung verfolgt er eine Strategie, er formt eine Einheit. Auch eine Einheit von Klonen. Denn die derzeitige Auswahl ist reich gespickt an Mainstreamkickern, die integer und devot sind. Provokateure und Querulanten sind nicht willkommen. back view stellt Euch die Spieler vor, die keine Chancen bei Löw haben.
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Tor
Roman Weidenfeller. Der BVB-Torwart stand in den letzten beiden Jahren in den Top-4 der kicker-Torwart-Rangliste. Von den Noten her belegte er in der abgelaufenen Saison mit einem Schnitt von 2,80 den vierten Platz, und 2011 mit 2,76 wurde er gar Zweiter. Weidenfeller hatte damit auch entscheidenden Anteil am Doublesieg seiner Borussia. Er stand in den letzten beiden Jahren damit jeweils vor Manuel Neuer, und doch führte für ihn kein Weg in die Nationalelf.
Weidenfeller gilt als Provokateur. Er tritt vor wichtigen Spielen gerne mal verbal aufs Gaspedal. Und schießt dabei auch ebenso gerne übers Ziel hinaus. Da sei nur sein Ausraster samt Beleidigung gegen Asamoah genannt. Der Torwart sollte den damaligen Schalker als „schwarzes Schwein” beschimpft haben. Der DFB räumte die Geschichte wenig überzeugend aus der Welt, indem man sich auf „du schwules Schwein” einigte. Die Bekämpfung von Homophobie war dem Fußballbund damals noch nicht so wichtig.
Abwehr
Ein weiterer Querulant, der sicherlich keine hohen Aktienkurse bei Löw verzeichnen kann, ist der Fußball-Rowdy Maik Franz. Der Berliner konnte in dieser Saison lediglich sieben Einsätze für sich verbuchen, damit fiel auch seine Anzahl an Unsportlichkeiten ins Bodenlose. Normalerweise tritt, schubst und provoziert Franz auf dem Platz, und bewirbt sich damit für den Titel des unbeliebtesten Spielers der Bundesliga. So steht er dann auf Löws hate-List auch ganz weit oben.
Wie ein Rudiment aus einer fremden Zeit wirkt der Hamburger Heiko Westermann. Zwar wurde der Abwehrspieler von Löw in der Vergangenheit immer mal wieder nominiert, passt aber spätestens seit der neuen Zeitrechnung nicht mehr ins spielerisch galante System der Nationalelf. Der oftmals steif wirkende Westermann symbolisiert mehr die ur-deutschen Tugenden, die unter Löw immer mehr verblassten. Zwar stehen Kampf und Ausdauer immer noch hoch im Kurs, doch sind sie bei weitem nicht mehr alleiniges Phänomen der Nationalelf.
Gonzalo Castro spielte mit 17 Jahren bereits in der Bundesliga, war damals der jüngste Kicker aller Zeiten. Als er 2005 in Leverkusen debütierte, war die Entwicklung beim DFB noch nicht derart weit, dass man in so einem jungen Alter schon nominiert werden würde. Während heute Draxler und Götze als Jungspunde auftauchen, musste Castro sich stets gedulden. Erst Ende 2007 wurde er erstmals von Löw nominiert und nur im letzten unbedeutenden Spiel gegen Wales mit einer 1-b-Elf durfte er ran.
Seitdem verschwand er immer weiter in der Versenkung und konnte trotz guter Anlagen nicht mehr konstant auf sich aufmerksam machen. Und wenn Löw dann mal – wie zum Ende dieser Saison – in Leverkusen war, um ein Spiel von ihm zu beobachten, enttäuschte Castro auf voller Linie.
Mittelfeld
Der Kapitän der Anti-11 ist der alte Kapitän der Auswahl von Jogi Löw: Michael Ballack. Es ist eine doch irgendwie traurige Geschichte, dass ein derart verdienter Nationalspieler auf so ein Ende zurückblicken muss. Beide Seiten haben sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, am Ende lehnte Ballack auch das als Abschiedsspiel getarnte Match gegen Brasilien ab.
An der Seite von Ballack spielte einst Tim Borowski, der stolze Hahn im Mittelfeld. Er galt vor Jahren als eines der größten Talente im deutschen Fußball, trumpfte vor allem bei Werder Bremen groß auf. Doch je länger seine Erfolgsgeschichte wurde, desto mehr stolzierte er durchs defensive Mittefeld oder über die Außenbahnen. Nun stoppten vor allem langwierige Verletzungen die Karriere des einstigen Hoffnungsträgers.
Ballack dominiert das Mittelfeld – auch bei Sergio Pinto. Als der Capitano kurz nach seiner Verletzung zurück aufs Feld kam, rutschte nämlich jener Sergio Pinto mit beiden Beinen in Ballack rein und trat diesen damit nicht nur vom Feld sondern auch wieder zurück ins Krankenhaus. Es ist – neben den limitierten Möglichkeiten – vor allem dieses Giftzwerg-Dasein, das Pinto niemals in Löws Notizbuch führen würde. Pinto ist das Gegenteil eines Mainstreamkickers, wie Löw ihn bevorzugt. Bad news are bad news. Der Bundesjogi duldet keine schlechten Schlagzeilen – sein Haufen wirkt wie weichgespült, aber absolut homogen dabei.
Wer einen schlechten Witz erfahren möchte, der stelle sich einmal vor, Albert Streit würde mit ins Teamhotel reisen und dem EM-Kader angehören. Der Egomane wäre wohl der isolierteste Spieler der DFB-Geschichte. Selbst an der X-Box würde er wohl als letztes gewählt werden. Streit hatte in den letzten Jahren vor allem seinen gut dotierten Vertrag bei Schalke abgesessen und auf eine sportliche Zukunft beinahe komplett verzichtet – des Geldes wegen.
Sturm
Er stand angeblich kurz vor einer Nominierung nach seiner famosen Saison mit Borussia Mönchengladbach – Mike Hanke. Der Stürmer, der schon bei Schalke, Wolfsburg, Hannover und nun Gladbach spielte, wurde zweimal für je 400.000 Euro transferiert. Eine stattliche Summe für einen, der erst jetzt konstant seine Leistung zeigen konnte. Doch insgesamt wohl zu unstabil und launisch für Jogi Löw.
Wenn Heiko Westermann als Rudiment aus einer fremden Zeit gilt, dann stammt Stefan Kießling wohl aus dem neolithischen Zeitfenster der DFB-Geschichte. Kießling stand bei der WM 2010 nur 26 Minuten auf dem Feld. Seitdem hat er keine Minute mehr für Löws Elf absolviert. Kießling, der in Leverkusen eine recht gute Saison spielte, passt nicht in Löws System. Technisch zu minderbemittelt und auch mit zu wenig Konstanz. Außerdem führt kein Weg an Gomez und Klose vorbei. Auch den Schwabenbonus, wie ihn der Stuttgarter Cacau genießt, kann Kießling nicht für sich beanspruchen.
Abgerundet wird die Anti-11 vom Zweitligariesen Sascha Rösler. Ein Mann der lauten Worte, wer auch sonst soll den Abschluss machen. Ein Mann, der dadurch niemals den Weg in die Bundesadler-Auswahl schaffen würde. Doch seine beste Zeit hat der Düsseldorfer ohnehin hinter sich. Der prädestinierte Zweitligaspieler hatte seine große Stunde beim skandalösen Relegationsspiel in Düsseldorf, als er die Fans massiv beruhigte und beherzt einschritt. Das reicht aber noch nicht für eine Nominierung bei Löw.
Titelthema zur Europameisterschaft vom 30. Mai 2012
Über Titelverteidiger Spanien
Ein politischer Boykott der Europameisterschaft
Massentiertötungen in der Ukraine
Kommentar zum “Fansein”
(Text: Jerome Kirschbaum)