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“Heute wird entschieden, wie die Welt morgen aussieht”

Mit Lippenpiercing und feuerrotem Haar als Abgeordnete durch den Deutschen Bundestag. Gibt es doch gar nicht? Gibt es sehr wohl! Das beweist Agnes Malczak seit der letzten Bundestagswahl 2009. Die gebürtige Polin zeigt und steht zu dem was sie ist: Jung. Genauer gesagt ist sie 24 Jahre und somit die jüngste Frau in ihrer Partei Bündnis90/Die Grünen, sowie im gesamten Bundestag. Mit back view spricht sie über Authentizität im Parlament, ihr Verständnis von „Politik mit Herz und Verstand” und welche Reaktionen ihr Aussehen bei Kollegen hervorruft.
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agnesDas authentische Energiebündel studiert seit 2004 Politikwissenschaft, Philosophie und Öffentliches Recht an der Universität Tübingen mit den Schwerpunkten Außen-, Friedens- und Sicherheitspolitik. Dies sind auch jetzt ihre Themengebiete als Fachpolitikerin.
Ihre politische Karriere begann ebenfalls 2004, als sie der Grünen Partei beitrat. Dass ihr Hobby zum Beruf wurde, war so allerdings nicht geplant. Für den Bundestag kandidiert habe sie, um zu zeigen, „dass sich eben auch junge Menschen, gerade bei den Grünen, für ihre Interessen und Ideen stark machen”.

Von den „alten Politik-Hasen” wurde sie herzlich aufgenommen und erhielt „sehr viele positive Rückmeldungen”. Dass sie bei ihrer politischen Arbeit auch von älteren und erfahreneren Politikern ernst genommen und unterstützt wird, begrüßt die 24-Jährige sehr, denn „im Parlament braucht es Vielfalt: Jung und Alt – davon können beide Seiten nur profitieren”. Auch wenn sie noch ab und an in eine „Schublade gesteckt wird”, zeigt sie was in ihr steckt und dass sie „einiges zu sagen” hat.

malczak_agnieszkaback view: Fühlen Sie sich als jüngste Abgeordnete im Bundestag ganz besonders für die Durchsetzung der Interessen der jungen Generation verantwortlich?
Agnes Malczak: Ich bin mit 24 Jahren die jüngste Frau im Bundestag. Ich habe angefangen, mich politisch zu engagieren, weil ich mich über viele Politiker und Politikerinnen geärgert habe und etwas verändern wollte. Heute wird entschieden, wie die Welt morgen aussehen wird, in der wir und unsere Kinder einmal leben werden. Dabei denken viel zu viele Menschen, die in unserer Gesellschaft „etwas zu sagen haben”, viel zu kurzfristig und nicht nachhaltig. Ob es um Themen wie Klimaschutz, Kinderarmut, Bildungspolitik oder Rente geht, die Stimme der jungen Generation ist häufig nicht stark genug. Natürlich ist man im Bundestag auch Fachpolitikerin, aber eben nicht nur. Ich möchte mich auch für die Interessen der jungen Generation einsetzen und ihr eine Stimme im Parlament verleihen. Umgekehrt ist es mir aber auch wichtig zu zeigen, dass es sich lohnt, sich als junger Mensch einzubringen. Nur Meckern hilft eben auch nicht und so hoffe ich, dass ich auch andere junge Menschen begeistern kann, sich politisch oder gesellschaftlich zu engagieren.

Mit Piercing und feuerroten Haaren durch den Bundestag. Sie bringen zumindest schon einmal äußerlich frischen Wind ins Parlament. Sind Sie auch in politischer Hinsicht eher ausgefallener und welche Reaktionen ruft Ihr Auftreten bei Kollegen hervor?
Ich finde es schrecklich, wenn junge Menschen in der Politik versuchen mit ihrer Sprache und mit ihrem Aussehen zu verbergen, was sie eben doch sind: Jung. Das hat auch etwas mit Authentizität zu tun. Ob ich politisch ausgefallener bin, kann ich schwer einschätzen. Im Vergleich zu anderen KollegInnen stelle ich vielleicht die eine oder andere Frage grundsätzlicher oder radikaler und bin sehr leidenschaftlich bei vielen politischen Themen. Ich finde es auch wichtig, dass man eine Idee davon hat „wo es mal hingehen” soll und sich nicht im Klein-Klein der Fachpolitik verliert. Gleichzeitig muss man sich aber auch pragmatisch der Frage stellen, wie man Visionen umsetzen will.
Einige KollegInnen sind, glaube ich, etwas überrascht von mir. Auf den ersten Blick sind sie wegen der Piercings und dem Aussehen irritiert und stecken mich in eine Schublade. Oft sind sie dann doch erstaunt, dass ich so einiges zu sagen habe und das auch mit Argumenten und Zahlen unterfüttern kann.

In Ihrem Blog „Flammendes Grün” liefern Sie den Lesern Ihren persönlichen „grünen Faden durchs Politik-Labyrinth”. Welche Rolle spielt für Sie das Internet als Kommunikationsmittel mit dem Wähler?
Das Internet als Kommunikationsmittel spielt eine große Rolle, gerade auch in der Politik. Viele Menschen, besonders auch die jüngeren, die man mit den klassischen Methoden wie Infostand oder Abendveranstaltung nicht erreichen kann, informieren sich heute über das Internet. Ich habe diese neuen Kommunikationsformen wie Blogs oder Soziale Netzwerke auch in den letzten Jahren sehr genutzt. Besonders wichtig finde ich dabei, dass neue Medien auch viel mehr Möglichkeit geben, in den Dialog zu treten und Transparenz zu ermöglichen. Gerade habe ich leider noch nicht die Zeit dazu, Blogartikel zu schreiben oder meine Homepage zu aktualisieren. Wir sind jetzt dabei, eine neue Internetpräsenz zu erstellen. In den ersten Monaten war ich neben der politischen Arbeit, die direkt losgegangen ist, rund um die Uhr mit den Umzügen und dem Büroaufbau sehr beschäftigt. Aber bald hört man im Internet wieder mehr von mir.

Sie wollen „Politik mit Herz und Verstand” machen. Was möchten Sie dabei bewegen oder vielleicht sogar besser machen als andere?
Ich möchte ehrlich und authentisch sein. Ich will nicht nur in Fachwörtern und Bürokratiedeutsch reden, obwohl sich das ab und zu schon einschleicht, wenn ich nicht aufpasse. Politik mit Herz heißt für mich, dass man auch mit Leidenschaft bei der Sache ist, das gern macht und Spaß daran hat. Dazu gehört, von Ideen überzeugt zu sein und auch Lust an der Auseinandersetzung zu haben, statt nur technokratische Debatten zu führen oder wegen des Geldes oder Ansehens Abgeordnete zu sein. Unter Politik mit Verstand verstehe ich, dass man bei aller Leidenschaft auch klug vorgeht und weiß, wie man seine Ideen auch umsetzen kann. Dass man nicht ideologisch wird und sich in etwas verrennt. Schließlich braucht man gute Argumente, um auch andere von seinen Ideen zu überzeugen und sie mitzunehmen.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft? Wo sehen Sie sich in 20 Jahren?
Meine Vision für die Zukunft ist eine friedliche, nachhaltige, solidarische und gerechte Welt, in der man selbstbestimmt leben kann – davon sind wir heute leider weit entfernt. Meinen bescheidenen Beitrag möchte ich dazu leisten. Ich persönlich weiß nicht, wo ich in zwanzig Jahren bin. Ich bin ein sehr spontaner Mensch, der sich gerne neue Herausforderungen sucht und nicht Jahre im Voraus plant. Das Leben bietet unheimlich viele Chancen, vielleicht mache ich in zwanzig Jahren noch Politik oder aber was ganz anderes.

„In der Jugend liegt unsre Zukunft”, wie es so schön heißt. Wie versuchen Sie andere junge Menschen für Politik zu begeistern?
In erster Linie ist es wichtig authentisch zu sein. Niemand würde mir doch das „Jung sein” abnehmen, wenn ich jetzt versuchen würde im Kostüm wie ein 60jähriger Politiker zu reden. Und dann ist es auch ganz wichtig, aktiv auf junge Menschen zuzugehen, sei es im Internet oder bei Schulbesuchen und sie nach ihren Sorgen und Wünschen an die Politik zu fragen. Im Wahlkampf habe ich viele Veranstaltungen zu „Jugendthemen” organisiert: von der Podiumsdiskussion zu Jugend und Alkohol bis zur ErstwählerInnenparty. Die Resonanz war groß. Wenn man junge Menschen ernst nimmt und ihnen zuhört, merkt man schnell, dass sie in der Regel doch politisch interessiert sind. Und mit meinem Engagement möchte ich eben auch zeigen, dass es sich für junge Menschen lohnt, sich einzubringen. Auch das macht schon einiges aus.

Sie verkörpern die erfolgreiche, emanzipierte und direkte junge Frau und haben den Sprung in den Bundestag geschafft. Jedoch sind Frauen wie Sie immer noch in der Politik und in anderen Führungspostionen unterrepräsentiert. Was ist hierzu ihre Zukunftsprognose?
Ich glaube, dass hier noch einiges passieren muss. Immer noch dominieren in einigen Köpfen überkommene Rollenbilder. Gleichzeitig erlebe ich auch in meinem persönlichen Umfeld, dass es viele junge, selbstbewusste Frauen gibt, die Karriere machen wollen und sich durchsetzen können. Es bleibt noch einiges zu tun. Frauenquoten in Parteien, aber auch in der freien Wirtschaft, Frauennetzwerke, eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind hier wichtige Maßnahmen. Viele Menschen, ob männlich oder weiblich, haben heutzutage ein sehr modernes Familienbild. Sie wollen beides: Karriere und Kinder.

Junge Wilde Teil 1:
Niema Movassat, jüngster Bundestagsabgeordneter der Linksfraktion
Junge Wilde Teil 2:
Daniela Kolbe, jüngste Bundestagsabgeordneter der SPD
Junge Wilde Teil 3:
Florian Bernschneider, der jüngste Abgeordnete des Deutschen Bundestages (FDP)
Junge Wilde Teil 4:
Nadine Müller, die jüngste Abgeordnete der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
Junge Wilde Teil 5:
Nadine Agnes Malczak, die jüngste Abgeordnete der GRÜNEN-Bundestagsfraktion

(Text: Julia Jung / Zeichnung: Christina Koormann / Foto: Agnes Malczak)

Julia J.

Hauptberuflich ist Julia Weltenbummlerin, nebenberuflich studiert sie Politik. Wenn sie nicht gerade durch Australien, Neuseeland, Südafrika oder Hongkong reist, schreibt sie ein paar Zeilen für back view und das schon seit 2009.

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