SüdenWeltenbummler

“Ich bin eine Kokosnuss”

9. November 1989: Deutschland liegt sich in den Armen, Namibia hält zum ersten Mal freie Wahlen ab. Und für Peter, Elvis und Thompson bricht eine Welt zusammen.

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DDR KinderNoch nie hatte Elvis einen Eimer Wasser auf dem Kopf getragen. Nun spürte er den schwappenden Ballast, krallte seine Hände in ihm fest. Das Wasser schwappte nach links, nach rechts, er bekam den Eimer wieder gerade balanciert – und dann fiel das Ding doch runter. “Wenn das die anderen können, kannst du das ja wohl auch”, schrie sein Onkel, “denk ja nicht, dass du was Besonderes bist, nur weil du aus Deutschland kommst!” Manchmal sei der Eimer zwei Meter vor dem Haus runtergefallen, erinnert er sich an diese Tage. Die Tage, als er nach Namibia kam.Der 28-jährige Computertechniker sitzt mit Peter und Thompson im Windhoeker Park-Café. “Ich bin eine Kokosnuss”, sagt Elvis – außen schwarz und innen weiß. Elvis, Peter und Thompson sind in der ehemaligen DDR aufgewachsen.Als in den 1970er-Jahren die South West Africa People’s Organisation (SWAPO) für die Unabhängigkeit der südafrikanischen Provinz Namibia kämpfte, darbten ihre Eltern in den Flüchtlingslagern. Peters und Elvis’ Mütter hatten ihre Babys in die Arme geklemmt und waren mit ihnen nach Angola geflüchtet, Thompson erlebte die ersten Jahre seines Lebens in einem Lager in Sambia.

ddr22Die SWAPO war sich einig, dass die Kinder ausgebildet werden sollten. Als neue Elite sollten sie eines
Tages das Land aufbauen. Sam Nujoma, der Revolutionsführer, konnte einige Staaten dafür gewinnen, die Kinder zu betreuen und auszubilden. Neben Kuba und Jugoslawien hatte auch die DDR eingewilligt.Elvis weiß nur noch eins von dem Moment, in dem er mit fünf Jahren ins Flugzeug gesetzt wurde: “Ich habe gekotzt, weil ich so Angst vorm Fliegen hatte.” Seine nächste Erinnerung ist, dass sie vor einem Schloss standen. Einem Schloss mit so vielen Zimmern, dass man sich darin verlaufen konnte, mit glitzernd weißem Schnee auf dem Dach und einem Park drum herum: Schloss Bellin in Mecklenburg. Ihr zu Hause für die nächsten Jahre, und ihr Gefängnis. Zur Schule wurden sie mit dem Bus gefahren, Ausflüge unternahmen sie unter sich – zu groß die Gefahr, Südafrika könne erfahren, was hier vor sich geht. Wenn sie doch mal unter Weiße kamen, riefen die Kinder laut: “Mami, schau mal, Schokomänner!” Dann kamen die Mütter, befühlten das krause Haar der Namibier, und knufften die “süßen Negerküsse” in die Wangen.

Die “süßen Negerküsse” marschierten auf ihren Kinderbeinen durch die Mecklenburger Landschaft, lernten, durch den Wald zu kriechen und mit einer AK auf Zielscheiben zu schießen. “Die Trommeln, die Musik, die schönen bunten Kleider, das war Spaß”, sagt Elvis. Dass die schönen bunten Kleider Uniformen in den SWAPO-Farben waren, wusste er noch nicht.Und dann kam der 9. November 1989. Die Mauer fiel, und zur gleichen Zeit wählte Namibia Sam Nujoma zum Präsidenten. Auf einmal wusste niemand, was aus den Namibia-Kindern werden sollte. “Deutschland wollte, dass wir unsere Ausbildung zu Ende bringen”, sagt Thompson, “aber die namibische Regierung hatte Angst, dass wir dann nicht mehr wiederkommen würden.”
Eines Tages stürmten die Erzieher in die Zimmer und befohlen, zu packen, in zwei Wochen müssten sie nach Hause. “Das ging nur schnell, schnell, schnell, man hat uns gar keine Wahl gelassen”, sagt Elvis. Und dann saßen sie im Flieger, und Elvis hat wieder gekotzt, und die Stewardess hat seine braunrot gesprenkelte Decke mitgenommen und ihm eine neue gebracht.Irgendwann lag unter ihnen die Savanne, bis zum Horizont brauner Sand, hin und wieder ein Busch. “Hier ist es ja gar nicht grün”, rief ein Mädchen, das noch nicht angefangen hatte, zu weinen. Immer tiefer sank das Flugzeug hinab, dann flimmerte der Schatten über den Sand, ein Holpern, Landebahn. Mitten im Nirgendwo. Das Empfangskommitee stand bereit, mit dem Präsidenten des unabhängigen Namibias, Stammestänzen auf dem Flughafen, und ihnen als Staatsgästen.

KinderUnd dann war die Party vorbei und irgendwelche Menschen brachten sie in die Grundschule im Township, einem Steinbau zwischen Wellblechhütten und Sandstraßen. Hier hockten die DDR-Kinder, die mittlerweile Teenager waren, auf ihrem Gepäck und warteten. Darauf, dass jemand sie abholen würde.
Elvis hatte keinen Vater mehr, seit er drei war. Thompson hatte mit elf einen Brief von seinem Vater erhalten: seine Mutter sei gestorben. Jemand stupste Peter an und zeigte auf einen Mann: “Das ist dein Vater”. Peter fing an zu heulen.

Irgendwann gingen sie alle mit fremden Menschen mit, auch Elvis. Im Ovamboland sollte er leben, einer sehr traditionelle Region im Norden des Landes.Seine Sandalen machten ihn von Anfang an zum Verlierer. Wenn er durch das Dornengestrüpp stapfte und aufschrie, sobald sich ein Stachel in seinen Fuß bohrte, war er für seine Familie eine “Tussi”. Auf einer fremden Sprache lachten sie über ihn. Er versuchte es mit den paar Worten Oshivambo, an die er sich noch erinnerte. Sie lachten noch lauter. Er hasste sie. “Die aßen mit den Fingern”, sagt Elvis, “manchmal wuschen sie sich noch nicht einmal die Hände vorm Essen, ich hab’s gesehen!” Er habe oft geweint, sagt Elvis, “aber heimlich”. Ein Mann, der weine, gehöre bei den Ovambo zum Schwächsten der Schwächsten.”Viele sind von zu Hause weggelaufen”, sagt Thompson. Jetzt, mit 33 Jahren, läuft auch er weg – diesmal, so hofft er, für immer. Er hat in Frankfurt eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert und jetzt eine Stelle in Düsseldorf gefunden. Elvis möchte sich zum Computeringenieur weiterbilden lassen, und Peter führt jetzt deutsche Urlauber durch’s Land. Mit dem gewissen Extra: Zwanzig Jahre sind vergangen, und trotzdem kann er sie immer und immer wieder damit überraschen, dass ein Schwarzer fließend ihre Sprache spricht.

(Text und Fotos: Stefanie Helbig)

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