9. November 1989: Deutschland liegt sich in den Armen, Namibia hält zum ersten Mal freie Wahlen ab. Und für Peter, Elvis und Thompson bricht eine Welt zusammen.
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Tages das Land aufbauen. Sam Nujoma, der Revolutionsführer, konnte einige Staaten dafür gewinnen, die Kinder zu betreuen und auszubilden. Neben Kuba und Jugoslawien hatte auch die DDR eingewilligt.Elvis weiß nur noch eins von dem Moment, in dem er mit fünf Jahren ins Flugzeug gesetzt wurde: “Ich habe gekotzt, weil ich so Angst vorm Fliegen hatte.” Seine nächste Erinnerung ist, dass sie vor einem Schloss standen. Einem Schloss mit so vielen Zimmern, dass man sich darin verlaufen konnte, mit glitzernd weißem Schnee auf dem Dach und einem Park drum herum: Schloss Bellin in Mecklenburg. Ihr zu Hause für die nächsten Jahre, und ihr Gefängnis. Zur Schule wurden sie mit dem Bus gefahren, Ausflüge unternahmen sie unter sich – zu groß die Gefahr, Südafrika könne erfahren, was hier vor sich geht. Wenn sie doch mal unter Weiße kamen, riefen die Kinder laut: “Mami, schau mal, Schokomänner!” Dann kamen die Mütter, befühlten das krause Haar der Namibier, und knufften die “süßen Negerküsse” in die Wangen.
Eines Tages stürmten die Erzieher in die Zimmer und befohlen, zu packen, in zwei Wochen müssten sie nach Hause. “Das ging nur schnell, schnell, schnell, man hat uns gar keine Wahl gelassen”, sagt Elvis. Und dann saßen sie im Flieger, und Elvis hat wieder gekotzt, und die Stewardess hat seine braunrot gesprenkelte Decke mitgenommen und ihm eine neue gebracht.Irgendwann lag unter ihnen die Savanne, bis zum Horizont brauner Sand, hin und wieder ein Busch. “Hier ist es ja gar nicht grün”, rief ein Mädchen, das noch nicht angefangen hatte, zu weinen. Immer tiefer sank das Flugzeug hinab, dann flimmerte der Schatten über den Sand, ein Holpern, Landebahn. Mitten im Nirgendwo. Das Empfangskommitee stand bereit, mit dem Präsidenten des unabhängigen Namibias, Stammestänzen auf dem Flughafen, und ihnen als Staatsgästen.
Irgendwann gingen sie alle mit fremden Menschen mit, auch Elvis. Im Ovamboland sollte er leben, einer sehr traditionelle Region im Norden des Landes.Seine Sandalen machten ihn von Anfang an zum Verlierer. Wenn er durch das Dornengestrüpp stapfte und aufschrie, sobald sich ein Stachel in seinen Fuß bohrte, war er für seine Familie eine “Tussi”. Auf einer fremden Sprache lachten sie über ihn. Er versuchte es mit den paar Worten Oshivambo, an die er sich noch erinnerte. Sie lachten noch lauter. Er hasste sie. “Die aßen mit den Fingern”, sagt Elvis, “manchmal wuschen sie sich noch nicht einmal die Hände vorm Essen, ich hab’s gesehen!” Er habe oft geweint, sagt Elvis, “aber heimlich”. Ein Mann, der weine, gehöre bei den Ovambo zum Schwächsten der Schwächsten.”Viele sind von zu Hause weggelaufen”, sagt Thompson. Jetzt, mit 33 Jahren, läuft auch er weg – diesmal, so hofft er, für immer. Er hat in Frankfurt eine Ausbildung zum Bankkaufmann absolviert und jetzt eine Stelle in Düsseldorf gefunden. Elvis möchte sich zum Computeringenieur weiterbilden lassen, und Peter führt jetzt deutsche Urlauber durch’s Land. Mit dem gewissen Extra: Zwanzig Jahre sind vergangen, und trotzdem kann er sie immer und immer wieder damit überraschen, dass ein Schwarzer fließend ihre Sprache spricht.
(Text und Fotos: Stefanie Helbig)