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“Ich habe so viel von Oskar lernen dürfen”

In der Tat, wenn man Oskar Lafontaine und Gregor Gysi nebeneinander sitzen sieht, wirkt einer wie der hoch motivierte Schüler, begierig darauf, später einmal in die Fußstapfen des großen Meisters zu treten. Und der andere wirkt, als wisse er ganz genau, was er tun und sagen muss, um ein ganzes Volk zu manipulieren – mit sichtlich Spaß an der Sache. Man bemerkt kaum, dass Gysi selbst nur fünf Jahre jünger ist als der große Meister; dass er das Handwerk des Sozialismus eigentlich besser kennen müsste, schließlich war er einst im  Vorstand der SED und der PDS.
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Nur einmal an diesem Tag stellt Gysi sich vor seinen Lehrmeister. Als er der Meinung ist, dass Lafontaines Bundestagsrede „zu entfernt” von den Menschen sei, dass sie einen seiner Sätze nicht verstehen würden. Populismus nennt man das auch. Verkehrte Welt, denn eigentlich ist Lafontaine der Demagogie- und Populismus-Experte, Gysi fürs Sozialistische zuständig.

Beiden Fraktionsvorsitzenden der Linkspartei sagt man nach, sie haben ein großes rhetorisches Talent. Sie schaffen es, die Massen zu bewegen und zu begeistern. Es mag nicht am Publikum liegen, dass Lafontaine und Gysi es immer wieder hinbekommen, die Medien zu beherrschen. Mit gezielten Parolen wie gerade aktuell „Sperrt alle Banker ein” sprechen sie viele Menschen an – erreichen sie. Sie wissen genau, was das Volk hören will und wie man es auf seine Seite zieht. Angaben über die Finanzierung ihrer Forderungen vor allem in der Sozialpolitik gibt es nicht. Die Chance auf eine Realisierbarkeit der Forderungen der Linken ist wegen Unfinanzierbarkeit sehr gering. Das wissen auch Oskar Lafontaine und Gregor Gysi, im Geheimen zumindest.

Geschichte der Partei
2007 schloss sich die Partei Die Linke aus der WASG und der Linkspartei.PDS. zusammen, letztere wurde schon 2005 mit 54 Mandaten in den Bundestag gewählt. In den neuen Bundesländern ist die Linke nur ein Jahr nach ihrer Gründung, auch dank der Vorarbeit der PDS, eine Volkspartei. Genau dort, wo man es eigentlich besser wissen müsste. Immerhin erlebte man in der ehemaligen DDR selbst mit, was es heißt, eine sozialistische Regierung zu haben.
Die diktatorische SED, die grausamen Stasi-Verbrechen, der Kollektivzwang, die Verstaatlichung. Keine eigene Meinung, immer genug zu Essen, aber nie das, was man wollte, wie es eine ehemalige DDR-Bürgerin erzählte. Es ist ein Phänomen, dass immer die guten Dinge der Vergangenheit in Erinnerung bleiben, nicht die schlechten. Alle hatten Arbeit. Alle hatten zu Essen. Jeder zählte gleichviel – jedenfalls so lange er sich nicht einer Opposition anschließen, die heiligen Mauern verlassen wollte oder Gastarbeiter war.

Nach der Wiedervereinigung scheint sich altes sozialistisches Gedankengut durch die Enttäuschung durch die etablierten Volksparteien, SPD und Union, im Osten Deutschlands wieder durchzusetzen. So schlimm war es doch gar nicht. Es musste doch keiner Hunger leiden, werden sich die Leute sagen und ihr Kreuzchen bei Gysi und Co setzen.
Dass dieser aber immer wieder in den Verdacht gerät, die Stasi aktiv unterstützt zu haben, ist so schnell wieder aus dem Gedächtnis wie aus den Medien verschwunden. „Das Ziel dieser Tätigkeit unter Einbindung von Dr. Gysi war die möglichst wirksame Unterdrückung der demokratischen Opposition in der DDR”,  heißt es im Abschlussbericht des Immunitätsausschusses des Deutschen Bundestags zu seinen angeblichen Stasi-Tätigkeiten.

bild4156kl_bildgre_ndern.jpgRhetorik und Populismus
Viel wichtiger für das Bild der Linken ist das Ansehen von Oskar Lafontaine. Ohne ihn wäre diese Partei wahrscheinlich weitaus unbeliebter. Er hat ein rhetorisches Talent, eine manipulative Kraft, die beeindruckend und beängstigend zugleich ist. Er polarisiert wie kaum ein anderer deutscher Politiker.
Ihn stört es nicht, wenn er als größter Demagoge seiner Zeit bezeichnet wird. Laut Definition der Bundeszentrale für polische Bildung ist das eine Person, der es gelingt, über verbale Angriffe wie Hetze oder Verleumdung Teile oder die Masse der Bevölkerung zu beeinflussen, aufzuwiegeln und zu verführen und damit gewissenlos Macht auszuüben.

Immer wieder findet die Linkspartei Aussagen und Quellen, die fragwürdig sind, dennoch zu Propagandazwecken dienen. So saß erst vor fünf Wochen Oskar Lafontaine im Studio von Frank Plasbergs „hart aber fair” und behauptete, Angela Merkel habe in Moskau studiert. In einem Beitrag wurde dies von direkten Mitarbeitern Merkels widerlegt. „Da haben Sie Fehlinformationen. Merkel hat in Moskau studiert, das können Sie auf Wikipedia nachlesen”, lautete Lafontaines Antwort. Dass Wikipedia nicht die seriöseste Quelle ist, weiß jedes Schulkind, das einmal im Literaturverzeichnis eines Referats Wikipedia angegeben hat.

„Dass Lafontaine ein begnadeter Populist ist, das wussten wir doch. Populismus ist nichts Unanständiges. Es gilt, komplizierte Sachverhalte so zu erklären, dass sie jeder versteht”, sagte Thomas Händel aus dem WASG-Bundesvorstand 2005 der Süddeutschen Zeitung. Genau das ist das Geheimnis der Linken, von Lafontaine und Gysi. Sie sprechen die Sprache, die das Volk spricht. Sie finden die böse Politik unehrlich und gemein. Sie schaffen es sich selbst so darzustellen, als würden sie gar nicht dazu gehören. In der Tat ist dies einfach, wenn man sowieso nicht in die Verantwortung der Umsetzung der eigenen Pläne und Forderungen kommt. Da die Linke im Bund nicht in der Regierung ist und es wohl auch bis mindestens 2013 nicht schaffen wird, braucht sie sich darüber noch keine Gedanken zu machen.

Die Rolle der SPD
Die SPD hingegen macht sich zunehmend Gedanken über den Erfolg der Linkspartei. Immerhin wandern potentielle Wähler ab. Das linke Spektrum wird weiter wachsen, da auch die Union in die Mitte gerückt ist. Für die SPD gibt das Komplikationen bei einer möglichen Regierungsbildung. Über kurz oder lang müssen sie sich mit den Linken auseinandersetzen. Im Bund verpönt, in Hessen umjubelt – die Glaubwürdigkeit leidet. Dabei ist es doch gerade Lafontaine, der früher selbst SPD-Politiker, sogar Kanzlerkandidat, war.

Damals, 1994, sagte er Dinge wie „Die PDS konzentriert sich voll und ganz auf die Bekämpfung der Sozialdemokratie. Sie steht damit in der Tradition des untergegangenen deutschen Kommunismus. Unser Ziel ist es, die Wählerinnen und Wähler der PDS für die Sozialdemokratie zu gewinnen.” Das Zitat stammt aus einem 13-seitigen Papier der SPD, in dem die widersprüchlichsten Aussagen Lafontaines gesammelt wurden. Eine neue Art von Bekämpfung, die der SPD nur leider auch nicht geholfen hat.

In der allgemeinen Wahrnehmung der Linken durch den einfachen Mann geht fast unter, dass es in den eigenen Reihen auch Leute wie die Europapolitikerin Sahra Wagenknecht gibt, die sich selbst als Kommunistin bezeichnet. Sie mag Fidel Castro und Hugo Chávez, die Mauer war für sie ein notwendiges Übel und die DDR war sowieso ein besserer Staat als die BRD. Der Verfassungsschutz, den die Linken übrigens abschaffen wollen, so lautete eine Bedingung für eine Tolerierung der rot-grünen Minderheitsregierung in Hessen, beobachtet die Partei seit der Gründung. Neben der gesamten Partei werden auch einzelne Personen überwacht, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Bodo Ramelow, dessen Überwachung erst Anfang dieses Jahres eingestellt wurde.

Das Geheimnis der Linken
Letztendlich fordert die Linke genau das, was das Volk will. Sie zeigen sich dabei anpassungsfähig. Man ist für mehr Datenschutz und für weniger Freiheit. Man ist dafür, dass Unternehmen enteignet und verstaatlicht werden und alle, unabhängig von Leistungen, gleich behandelt werden. Alle außer Gastarbeiter natürlich. Denn die nehmen, ganz in alter NPD-Manier, den Deutschen die Arbeit weg und sorgen für Billiglöhne. Deshalb muss es auch einen Mindestlohn geben.

Und eines ist klar: Die derzeitige Finanzkrise spielt der Linkspartei in die Hände. Massive Eingriffe vom Staat sind gefordert, um das kapitalistische System aufrechtzuerhalten. Lafontaine und Gysi werden es ohne Zweifel schaffen, einige verängstigte und verunsicherte Mittelständler auf ihre Seite zu ziehen. Und am Ende lacht nur einer. Oskar Lafontaine. Denn insgeheim wird er wissen, was für einen Unsinn er massentauglich verkauft und insgeheim wird er sich ins Fäustchen lachen, dass er nicht nur die alten SPD-Genossen ärgert, sondern ihnen auch zeigt, wie „Politik” beim Wähler ankommt.

Linktipp: Oskar Lafontaine`s Widersprüche

(Text und Foto: Miriam Keilbach)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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