2011-08-21-best-of-cameroun-084kleinAnna Franz verbrachte zehn Wochen in Kamerun, Westafrika. Für back view erzählt sie in Momentaufnahmen von ihren Eindrücken.
Mein Herz klopfte laut. Auf der Anzeigetafel stand: Dubai. Djibouti. Tel Aviv. Und dann: Yaoundé.

 

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Yaoundé.
Kamerun.
Westafrika.

Dort würde ich also die nächsten zehn Wochen verbringen. Es kam mir so unwirklich vor – würde ich wirklich in sechs Stunden aus dem Flieger steigen und eine völlig andere Welt betreten? In meinem Kopf malte ich die unglaublichsten Bilder, inspiriert von meinem Afrika-Bild und Stereotypen allgemein. Blutrote Sonnenuntergänge. Marktstände an der Straße. Menschentrauben, Bettler, Slums. Armut? Hunger? Naturvölker?

Ich stellte mir vor, wie ich Wasser aus dem Brunnen schöpfte, mich dann mühsam aus dem Eimer wusch und mich zum Schlafen auf der Bastmatte auf dem roten Lehmboden zusammenrollte. Würde es so sein? Oder war das eine veraltete Bilderbuchvorstellung?

Die Zeit im Flieger erschien endlos. Jetzt war ich schon so weit gekommen, hatte die Praktikumsstelle, das Visum, gefühlte hunderttausend Impfungen, schluckte seit zwei Wochen diese schrecklichen Lariam-Tabletten gegen Malaria, hatte eine Wohnmöglichkeit, und war trotz der ganzen Vorbereitungen kein bisschen beruhigt. Den veralteten Reiseführer (wer fährt schon nach Kamerun?) hatte ich bereits zwei Mal gelesen. Stimmte es, was darin stand? Musste man wirklich alles kochen, frittieren oder grillen, bevor man es essen konnte? Standen wirklich an jeder Ecke Menschen, die darauf warteten, einem Weißen Geld aus der Tasche zu ziehen, und die man mit einem freundlichen „Bonjour” besänftigen sollte? Wenn sie nicht zurück grüßten, war Wegrennen wirklich die einzige Lösung? Sollte man tatsächlich Korruption als ein „Spiel” betrachten?2011-05-30-best-of-cameroun-001klein

Als wir landeten, war es dunkel. 20 Uhr. Als ich aus dem Flugzeug stieg, schlug mir die Luft entgegen. Feucht. Warm. Ein seltsameMomentaufnahmen aus Kamerun, Teil 1r Geruch. Aber nicht so atemberaubend, wie ich erwartet hatte. Es war nicht so feucht und nicht so warm und nicht so anders riechend. Eigentlich ganz gut auszuhalten.

Am Gepäckband hatte ich mich bereits an die Luft gewöhnt. Ja, es gab ein Gepäckband. Der Flughafen sah überhaupt ziemlich genau so aus wie in Europa, nur etwas kleiner.

Dann gab es Verwirrung, weil einige Gepäckstücke fehlten. Miriam*, eine andere Deutsche, die ich am Gepäckband getroffen hatte, vermisste noch einen Koffer. Da sie in der gleichen Einrichtung ein Praktikum machen würde wie ich, wartete ein kamerunischer Chauffeur auf uns. Er stand hinter der Absperrung und machte ungeduldig Zeichen. Hastig füllte Miriam ein Papier aus, um ihren Kofferschwund zu reklamieren und dann zwängten wir zwischen den wartenden und laut schimpfenden Kamerunern und Europäern in Richtung Ausgang.

Der Chauffeur packte den Kofferwagen und schob los. Sofort waren wir umringt von einer Handvoll junger Kameruner, die lautstark auf uns einredeten. Nur eine Handvoll, ich hatte gedacht, es würden mehr sein. Weder Miriam noch ich verstanden, was sie von uns wollten. Papiere, hörten wir nur, Papiere. Außerdem griffen die Jungen nach dem Lenker des Wagens und versuchten, ihn abzubremsen. Der Chauffeur schimpfte und nahm keine Rücksicht, sondern schob den Wagen kraftvoll weiter.

Doch die Jungen ließen nicht locker. Schließlich brummte der Chauffeur: „Schaut nach, ob ihr eure Pässe noch habt. Die sagen, eure Papiere sind noch da drin.” Und er nickte in Richtung Flughafen. Mir wurde heiß und kalt zugleich. Wollten sie, dass wir unsere Pässe herausholten, um sie uns aus der Hand zu reißen? Eine Horrorgeschichte aus dem Französisch-Unterricht kam mir in den Sinn. Sie könnten die Pässe auf dem Schwarzmarkt verkaufen und ihr eigenes Foto einkleben, und wir wären ohne Pass in Kamerun und könnten nie wieder nach Europa zurück. Wir kontrollierten vorsichtig und ein wenig zittrig unsere Pässe. Alles noch da.

2011-05-30-best-of-cameroun-003klein„Alles noch da!” Raunzte auch der Chauffeur den Jungen zu und schob weiter in Richtung Auto. Wir verstauten hastig wieder unsere Pässe und folgten ihm. Dort angekommen, griff einer der Jungen nach einem Koffer, doch der Chauffeur schob ihn weg und lud selbst das schwere Gepäck in den Kofferraum. Es war ein schicker Wagen, er sah neu aus und trug das Logo der Einrichtung. Im Auto atmete ich erstmal durch. Ich war tatsächlich in Kamerun.

Einige Tage später wurde Miriam angerufen. Ihr Koffer sei angekommen. Sie fuhr also mit dem Chauffeur zum Flughafen – und musste lange verhandeln, bevor sie ihr Gepäck in die Hände bekam. Denn sie hatte zwar die Reklamation ausgefüllt, aber nicht ihren Durchschlag mitgenommen. So war sie nicht im Besitz des Abholscheins.

Das also hatten die Jungen mit „Papiere, Papiere” gemeint. Unsere Pässe hatten sie nicht interessiert. Sie hatten Miriam nur Bescheid sagen wollen, dass sie vom Flughafen noch ein Papier mitnehmen musste. Lang leben die Vorurteile…

* Name von der Autorin geändert.

(Text: Anna Franz / Foto: Isabell Hörnig-Franz / Fotos: Anna Franz)

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Von Anna F.

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