Wir kennen sie, die bunten Pavillons in der Fußgängerzone. Von früh bis spät werden wir von unermüdlichen jungen Leuten über den Naturschutz und Hungernde in Afrika aufgeklärt, mit der Absicht, Geld zu sammeln. Doch was steckt wirklich dahinter? Wie selbstlos sind diese Leute? Ein ehemaliger Fundraiser klärt für back view auf.
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„Helden werden [hier] gesucht und gefunden”, damit wirbt eine Webseite. Leute, die die Welt verbessern wollen, werden durch eine Stellenanzeige gesucht. Direkt daneben steht: „Anzahl Stellen: unbegrenzt”. Fundraising ist unter jungen Menschen populär geworden. Fast jede Woche stehen in den Großstädten Deutschlands von März bis September Studenten & Co. und werben bzw. „informieren” Passanten von jung bis alt.
Der Markt ist dabei gut differenziert, Non-Profit-Organisationen (NPOs) wie Malteser, Oxfam, Amnesty, WWF etc. können auf eine riesige Anzahl von Agenturen zurückgreifen, die mit ihrer Expertise die Lücke zwischen dem Bürger und der Vereinigung schließen. Der deutsche Fundraising-Verband zählt allein 47 Mitglieder, die beiden häufigsten in der Fußgängerzone anzutreffenden Agenturen sind Talk2Move und DialogDirect.
Spendengewinnung
Wie funktioniert nun der Prozess des Gelder-Akquirierens? Die NPOs wissen, dass Spender nur dann über mehrere Jahre Geld übertragen, wenn verschiedene Kriterien eingehalten werden. So ist ein monatlicher Betrag, der der Organisation gutgeschrieben wird, weniger wert als ein jährlicher Beitrag – denn nach jeder Überweisung überlegt der Passant neu, ob die Summe das nächste Mal erneut bereitgestellt werden soll.
Auch ist die persönliche Note wichtig. Die Abbuchung erfolgt zwei Wochen nach Unterzeichnung des Spendenbogens, bis dahin kann vom Vertrag zurückgetreten werden. Hat der Passant mit dem Fundraiser ein gutes, persönliches Gespräch gehabt, fühlt er sich ernstgenommen. Kann er die Sache emotional und rational befürworten, wird er weniger oft vorher wieder abspringen.
Ältere Menschen sind ebenso präferiert, weil sie erstens mehr Kapital zur Verfügung haben und zweitens – nach der Maslowschen Pyramide – eher den Wunsch haben, etwas für die Allgemeinheit zu vollbringen als ein Auszubildender, der gerade so seine Miete bezahlen kann und auf sich selbst konzentriert ist.
Abhängigkeitsverhältnis zwischen NPO und Agentur
Das schlägt sich in der Vereinbarung zwischen NPO und Agentur nieder: die NPO bezahlt der Agentur einen fixen Betrag – und erwartet dafür im Gegensatz eine Anzahl von Spender, davon sollen 70 bis 80 Prozent über 35 sein und einmal im Jahr Geld zur Verfügung stellen.
Damit diese Anforderungen erreicht werden, brauchen die Agenturen Spezialisten, das heißt: jedes Jahr neue Anwärter. Und dann das Ausfiltern. Dazu ein Beispiel mit fiktiven, aber repräsentativen Zahlen:
Der WWF zahlt DialogDirect 10.000 Euro für 250 neue Mitglieder. Jedes Mitglied kostet dem Verein 40 Euro. Vermittelt der Werber 300 Mitglieder, bezahlt die Naturschutzvereinigung nur 33,33 Euro pro Person. Bei nur 100 Willigen sind es schon 100 Euro.
Bezahlung des Werbers
Es ist klar, dass die Fundraiser deswegen motiviert werden müssen. Das Fixgehalt ist deswegen bei den Agenturen recht gering: es schwankt aus persönlicher Erfahrung (Stand 2009) zwischen 180 und 240 Euro pro Woche, je nach Agentur.
Dazu gibt es ein ausgeklügeltes Bonussystem, was auf Punkten basiert, die durch Zusatzgehalt vergütet werden. Bezahlt ein Passant zum Beispiel 180 Euro im Jahr, gibt es drei Punkte. Teilt er diese Summe auf zwei Zahlungen alle sechs Monate auf, gibt es nur einen Punkt. Bei 360 Euro im Jahr und mehr winken dafür sechs Punkte.
Diese Punkte werden jedoch erst relevant, wenn der Werber in der Woche mindestens zwölf Personen zur Vertragsunterzeichnung gebracht hat. Nur ab dieser Gesamtanzahl werden Punkte in Geld umgewandelt, am Anfang vier Euro pro Punkt. Ab 15 Verträgen sind es fünf Euro, ab 18 Verträgen sechs Euro pro Punkt und dementsprechend weiter.
Die Folge: Der Druck auf die Angestellten ist groß, je nach innerer Einstellung des Werbers wird versucht, dem vielleicht nur grob Interessierten auf der Straße eine Zahlungskombination aufzudrängen.
Am Abend sitzen dann die Mitarbeiter der Agentur gemeinsam am Tisch, zählen Bögen und Summen, freuen sich vielleicht über die Schwellenüberschreitung auf zwölf „Schriebe”, wie sie im Jargon genannt werden, oder fürchten um ihre Arbeitsstelle, wenn am gleichen Tag nur zwei oder drei Verträge gemacht wurden.
Auf diese Weise kann man bei vorhandener Empathie, Extrovertiertheit und Charisma schnell ein Wochengehalt von 400 Euro und mehr verdienen. Jedoch besteht natürlich die Gefahr, Leute zu manipulieren – nicht umsonst schwebt das böse Wort der Drückerkolonne über diesem Berufszweig.
Wird die Quote erfüllt?
Einfach ist die Arbeit auch nicht gerade. Die Fundraising-Crew lernt sich meistens erst vor Ort kennen, die Quartiere sind außerhalb der Stadt, eine dreiviertel Stunde Arbeitsweg jeweils hin und zurück mindestens sind programmiert.
Der Stand, der Pavillon, das Info-Material – alles wird jeden Tag neu aufgebaut und bereitgelegt, egal ob bei 35°C Hitze oder 10°C Wind und Hagel. Gewöhnlich steht man von 9 bis 18 Uhr, auch Samstags. Unfreundliche Passanten, die Ferne von der Heimat und Extrakosten wie Benzingeld (das ausgelegt werden muss) kommen hinzu.
Viele angehende Werber brechen bereits in der ersten Woche ab – oder werden wegen zu schlechter Quote nach wenigen Tagen entlassen. Das ist aus unternehmerischer Sicht auch nötig: bei einer Durchschnittsspende von 30 Euro (2004) kommen im obengenannten Beispiel 7500 Euro zusammen, die NPO macht somit erst einmal bei 10.000 Euro Zahlung an die Agentur Minus.
Deswegen müssen Spender mehrere Jahre einzahlen, bis sie der Organisation helfen – und wirklich etwas bewirken. Zudem besitzt das DZI, das deutsche Spendensiegel, das Kriterium, dass Hilfsorganisationen nur maximal 30 Prozent ihrer Gesamtausgaben in Werbung und Verwaltung investieren dürfen – das Geld steht somit nur begrenzt zur Verfügung.
Kandidatenfindung und -ausbildung für den Job
Der einfache Student, der Interesse durch eine so pathetische Webseite hegt, bekommt davon nur indirekt etwas mit. Nachdem er sich beworben hat, wird er nach ein paar Tagen bis Wochen zu einem Kennenlern-Meeting eingeladen.
Dieses findet regelmäßig in Großstädten mit 20-50 Bewerbern statt. Auch hier gilt es, geeignete Kandidaten herauszufiltern. Neben Übungen, bei denen die Extrovertiertheit und Durchhaltewillen der jungen Leute geprüft wird, wird der Alltag eines Fundraisers vorgestellt.
Auf der einen Seite werden Mitarbeiter präsentiert, die aufgrund von Ausstrahlung und Erfahrung 2000 Euro und mehr im Monat verdienen, auf der anderen Seite werden aber auch Arbeit bei schlechter Witterung und Motivationsmangel beleuchtet. Eingesessene Arbeiter haben gar den Zweck, Interessierte vor der Tätigkeit abzuschrecken, um nur die Engagiertesten aufzunehmen.
In einer Schulung am Wochenende vor dem ersten Einsatz werden dann grundlegende Vertriebstechniken erklärt, der Gesprächsleitfaden ist ein essentieller Teil davon. Bei Malteser – die in diesem Fall Geld für Kinder in Krisengebieten sammeln – kommt z.B. der Satz „Ich hatte eine schöne Kindheit und will das auch anderen ermöglichen.” vor. Schade, dass so eine Aussage aus der Konserve kommen muss und nicht authentisch gemeint ist.
Kurz vor der Unterschrift kommt der Punkt „Einwandbehandlung”. Es wird schon für eine andere NPO gespendet? Kein Geld für einen Extraaufwand? Der Leitfaden bietet für die häufigsten Reaktionen die passende Antwort. Wieder merkt man, wie Manipulation und Überzeugungskraft nah beieinander liegen und strategisch verwendet werden.
Die Tätigkeit des Fundraisings ist berechtigt – solang sie vom Fundraiser nicht nur effektiv, sondern auch gewissenhaft ausgeübt wird. Nicht nur die abendliche Auswertung muss stimmen, sondern auch das simple Gespräch, ohne Geldhintergrund. Zudem sollte man das verlockende Jobangebot der Agenturen als Einsteiger skeptisch, aber offen betrachten. Nicht jeder nur eloquente Student ist für die Arbeit gemacht.
(Text: anonym)