Europa

“Das Engagement ist beeindruckend”

Die Parteien Europas haben nun offiziell die heiße Wahlkampfphase eingeläutet. Wir nutzen die Gelegenheit und sprechen im dritten Teil der Serie zur EURO WAHL GANG 09 mit Julia Spieß über ein Zwischenfazit, warum die Süddeutsche Zeitung den Geist der Kampagne nicht versteht und das Thema Europa so schwierig ist.
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back view: Seit vergangener Woche ist die WAHL GANG unterwegs durch Deutschland. Wie liefen die Veranstaltungen an den ersten Stationen?
Julia Spieß:
Richtig gut! Das Engagement und die akribische Vorbereitungsarbeit der Schüler ist beeindruckend. Sie kümmern sich nicht nur um die logistischen Notwendigkeiten, sondern sind teilweise besser informiert als die eingeladenen Politiker. So zum Beispiel unser Wahl Gangster Christopher aus Bergisch Gladbach, der die Anzahl der Beamten in Köln und Brüssel genau wusste und sich von den Politikern diesbezüglich nichts erzählen ließ. Aber auch an anderen Stationen sind die Veranstaltungen sehr gut besucht und die Schüler wider aller nachgesagten Politikverdrossenheit sehr interessiert an EU-Fragen.

Können die Schülerinnen und Schüler wirklich für Europa interessiert werden? Oder geht es vielmehr um das Event, das an ihrer Schule stattfindet?
Julia Spieß:
Beim Auftaktworkshop in Berlin haben wir viele Wahl Gangster gefragt, ob sie glauben ihre Mitschüler mobilisieren zu können. Es ist tatsächlich so, dass sie Schüler von der Wichtigkeit Europas wirklich überzeugt sind und das so weitertragen. Der Eventcharakter der Veranstaltung trägt natürlich dazu bei, Aufmerksamkeit auf die Europawahl zu lenken. Aber die Veranstaltung ist ja kein Werbeblock, sondern eine inhaltliche Diskussion, wo jeder selber merkt, ob er mit den Positionen der Diskutanten übereinstimmt oder halt nicht. Und diese Reflektion der eigenen Meinung ist ja der erste Schritt, um Interesse für Europa zu entwickeln.

Die Süddeutsche Zeitung hat Eure Auftaktveranstaltung im Europahaus in Berlin ziemlich schlecht bewertet. War die Kritik berechtigt?
Julia Spieß: Der Artikel auf SZ-online hat mich ehrlich gesagt überrascht. Wir hatten bei der Auftaktveranstaltung 220 Gäste, die während und nach der Podiumsdiskussion heftig diskutiert haben und dann hieß es in dem Artikel, dass man mit so einer Veranstaltung wohl kein Interesse bei jungen Leuten für die Europawahlen wecken könne. Aber in diesem Artikel steht vor allem die persönliche Meinung des Autors im Vordergrund – die Erstwähler, also unsere Zielgruppe, kommen gar nicht zu Wort. Deren Meinung ist mir natürlich schon wichtig, aber soweit ich das mitbekommen habe, haben die echt lässig reagiert. Zwei Schülerinnen haben zum Beispiel bei der SZ angerufen und den Autor zu der Veranstaltung an ihrer Schule eingeladen. Sowas finde ich klasse.

eurowahlgangEin konkreter Kritikpunkt war, dass ihr Hauptschüler und Studierende vollkommen unbeachtet lasst – gibt es dafür einen Grund?
Julia Spieß:
Unsere Kampagne richtet sich an Erstwähler, also über 18-Jährige. Hauptschüler sind in der Regel noch nicht 18, wenn sie die Schule beenden. Dass auch viele Studenten Erstwähler sind, ist uns klar. Allerdings können wir mit einem Team von 20 Leuten nicht alle Erstwähler in ganz Deutschland ansprechen. Daher richten wir unseren Fokus dieses Jahr auf Schulen. Unserer Schultour durch 80 Städte ist ein bundesweiter Wettbewerb vorausgegangen, bei dem sich jeder Schüler bewerben konnte, um die Euro Wahl Gang an die eigene Schule zu holen. Dass sich beispielsweise auch relativ wenig Berufsschüler gemeldet haben ist schade, aber keinesfalls von uns so gewollt.

Der geplante Wahlwerbespot konnte aus finanziellen Gründen nun doch nicht gedreht werden. Geht damit nicht ein wichtiger Teil eurer Kampagne verloren, um überhaupt erst die Aufmerksamkeit der Jugendlichen zu erlangen?
Julia Spieß:
Klar, es hat uns auch total gewurmt, dass die Kooperation seitens der Agentur vier Tage vor dem Drehtermin abgesagt wurde. Wir wollen den Spot jetzt aber zur Bundestagswahl mit einem anderen Förderer realisieren. Denn für den Spot haben wir mit Wettbewerb, Vorauswahl, Jurysitzung und Akquise schon ziemlich viel Arbeit investiert – und die Idee ist gut.

Habt Ihr eigentlich ein konkretes Ziel? Ist die Euro Wahl Gang nur erfolgreich gewesen, wenn die Wahlbeteiligung tatsächlich um fünf Prozent steigt?
Julia Spieß: Unser Ziel ist es, 40.000 Menschen zu erreichen, die von der Europawahl wissen und sich damit auseinandersetzen. Das schaffen wir, wenn alle Schüler drei, vier Freunden von der Veranstaltung an ihrer Schule erzählen und in den Medien darüber berichtet wird. Außerdem bin ich mir sicher, dass die Europawahl nie wieder an den Menschen „vorbeigeht”, die einmal die Euro Wahl Gang aktiv mitgestaltet haben – sei es im Team der Politikfabrik oder als Botschafter vor Ort.

Woran liegt es Deiner Meinung nach, dass Erst- und Zweitwähler sich so wenig für die Europawahl interessieren?
Julia Spieß:
Vielen ist glaube ich gar nicht bewusst, wie viele Entscheidungen, die uns im Alltag betreffen, auf europäischer Ebene verhandelt und entschieden werden. Selbst in den Medien landen solche Themen häufig in der Rubrik „Ausland”. Hinzukommt, dass in meiner Generation Frieden, Demokratie und Reisefreiheit keine Errungenschaften der EU sind, sondern eine Selbstverständlichkeit. Das ist nichts, wofür man kämpfen muss und dementsprechend gering ist das Interesse, sich wirklich mal damit zu beschäftigen, was die Europäischen Institutionen eigentlich machen und wie man sich da informieren und beteiligen kann.

Ist es nicht schwierig, wenn aktuell in Deutschland vor allem Bundespolitiker für die Europawahl werben? Das macht den Kontakt nach Brüssel und den Abgeordneten doch noch schwieriger?
Julia Spieß:
Ich denke auch die Bundesparteien müssen sich „europäisieren”. In der U-Bahn hab ich neulich mitbekommen, dass sich Leute gewundert haben, warum jetzt schon überall Wahlplakate für die Bundestagswahl hängen. Und wenn man nicht auf das kleine Wörtchen „Europa” achtet, fällt auch wirklich nicht weiter auf, dass es da um eine andere Wahl geht. Ich denke es muss mehr kommuniziert werden, welche Entscheidungen auf europäischer Ebene, welche auf nationaler Ebene getroffen werden und genauso, wer im Europäischen Parlament sitzt und wer im Bundestag.

Welche Aktionen plant Ihr noch für die heiße Phase?
Julia Spieß:
Bei uns im Büro fühlt es sich an, als ob morgen Wahl wäre. Ständig klingelt das Telefon: Politiker, Schulleiter, Schüler und Journalisten rufen an und haben viele, viele Fragen. Insofern sind wir schon in der heißen Phase. Auf der Website soll noch einiges passieren: Feedback von der Schultour, Animationen, Votings und natürlich der Europa Wahl-O-Mat soll eingebunden werden. Was Aktionen unmittelbar vor der Wahl angeht, halten wir uns noch ein bisschen bedeckt. Aber wir wollen eine Aktion in der S-Bahn machen, vielleicht auch auf Skates und sind auf alle Fälle bei der ZDF-Wahlparty am 7. Juni am Start.

Vielen Dank für das Interview Julia Spieß und weiterhin viel Erfolg für die WAHL GANG.

(Text: Konrad Welzel / Fotos: www.eurowahlgang.de)

Konrad W.

Konrad hat back view am 06. April 2007 gegründet - damals noch in diesem sozialen Netzwerk StudiVZ. Mittlerweile tobt sich Konrad ganz gerne im Bereich SEO aus.

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