Europa, mehr als ein Kontinent
60 Jahre EuropÀische Union
„Der Tag wird kommen, an dem der Hass, der im Krieg unvermeidlich scheint, ĂŒberwunden wird. Einmal muss das Europa Wirklichkeit werden, in dem EuropĂ€er leben könnenâ, schrieb einst der spĂ€tere Bundeskanzler Willy Brandt im Jahre 1943 als der zweite Weltkrieg Europa heimsuchte und verwĂŒstete. Am 25. MĂ€rz feiern wir 60 Jahre EuropĂ€ische Union, ein Blick zurĂŒck und voran auf die Geschichte des EuropĂ€ischen Projektes.
Am Anfang stand der Friede
Krieg und Frieden, frei nach dem gleichnamigen Werk des russischen Autors Tolstoi, so lĂ€sst sich die Geschichte zusammenfassen. Erbfeindschaften und HegemonieansprĂŒche bestimmten das Zusammenleben der Menschen und Völker auf dem Kontinent ĂŒber Jahrhunderte.
„Europa ist ein paradoxes System â es hat das HöchstmaĂ an geistiger Einheit verwirklicht (jedenfalls das bisher beobachtet wurde) â und das HöchstmaĂ an Zerrissenheit in Hinsicht auf die WillenskrĂ€fte.“, bedauerte der französische Philosoph Paul ValĂ©ry schon 1924.
Das ist erstaunlich, ist doch die europĂ€ische Idee so alt, wie Europa selbst. Es war der französische Herzog Maximilien de BĂ©thune Herzog von Sully (1560-1640), der in seinem Werk âMĂ©moires ou Oeconomies royales dâEstatâ erstmals von der âUnion europeeneâ sprach. Im Zuge der osmanischen Eroberungen und Belagerung Wiens 1683 entstanden weitere PlĂ€ne. In seinem âEssay towards the Present and Future Peace of Europeâ entwirft der spĂ€tere GrĂŒnders von Pennsylvania William Penn 1693, die Vision eines demokratischen Friedens in Europa, gestĂŒtzt durch ein gemeinsames Parlament. Mit seinem Vorschlag eines europĂ€ischen Parlaments glichen die Ideen schon sehr spĂ€teren Umsetzungen. GestĂŒtzt auf Immanuel Kants âdemokratischen Friedenâ forderte der französische Schriftsteller Victor Hugo schon 1849 die âVereinigten Staaten von Europaâ, was Winston Churchill knapp einhundert Jahre spĂ€ter nach Schrecken und Zerstörung 1946 wiederholte: âLasst uns die Vereinigten Staaten von Europa erschaffen.â
„Die Einheit Europas war ein Traum weniger. Sie wurde eine Hoffnung fĂŒr viele. Sie ist heute eine Notwendigkeit fĂŒr alle.“ – Konrad Adenauer
Es war am 25. MÀrz 1957 als sich die Staatschefs von Deutschland, Frankreich, Italien und den BeNELux-Staaten in Rom trafen, das Fundament der europÀischen Union zu legen.
Auf einmal kam der Frust
Die Zusammenarbeit in kriegswichtigen GĂŒtern sollte den Frieden sichern. Die GrĂŒndung der EuropĂ€ischen Wirtschaftsgemeinschaft sollte die StabilitĂ€t und den Zusammenhalt des europĂ€ischen Kontinents stĂ€rken. Die ehren Ziele wurden jedoch bald von der RealitĂ€t eingeholt. In den 1960er Jahren kam es zu âKrise des leeren Stuhlesâ, in denen sich der damalige französische PrĂ€sident Charles de Gaulle gegen die EinfĂŒhrung der Mehrheitsentscheidung in der EuropĂ€ischen Kommission aussprach. Die EuropĂ€ische Kommission war fĂŒr ein halbes Jahr 1965 handlungsunfĂ€hig geworden. Erst ein Kompromiss konnte die Situation entschĂ€rfen.
Ebenso schwierig stellte sich die Erweiterung der EU dar, als die Aufnahme DĂ€nemarks und GroĂbritanniens zunĂ€chst am Widerstand Frankreichs gescheitert war. Erst 1973 nach langen Verhandlungen wurde GroĂbritannien Mitglied der EU. Jedoch entbrannten innerhalb des britischen konservativen Partei bald ein Richtungsstreit ĂŒber die Zukunft der EuropĂ€ischen Gemeinschaft. In einem Referendum 1975 entschied sich die Mehrheit der Briten trotz allem fĂŒr einen Verbleib in der EWG, obwohl im Gegenzug GroĂbritannien viele Sonderrechte zugestanden wurden. Heute schwer vorzustellen, war die Stimmung sehr proeuropĂ€isch Die Ălkrise brachte den Elan der GrĂŒnderjahre zum Erliegen gekommen, die Phase der âEuroskleroseâ begann. Verschiedene Interessen der Mitgliedsstaaten legten eine Weiterentwicklung des europĂ€ischen Projektes lahm. Erst die âGemeinsame EuropĂ€ische Akteâ zur Schaffung des europĂ€ischen Binnenmarktes gaben dem ganzen neuen Schwung.
Was fĂŒr eine Freude
âMr. Gorbatschow, tear down this wallâ. â Die Mauer muss weg.â Was vorher als unvorstellbar erschien wurde 1989 auf einmal greifbare Wirklichkeit, der eiserne Vorhang, der bis dato einen Kontinent getrennt hatte, ging auf und lĂ€utete ein neues Kapital der europĂ€ischen Geschichte ein. Erstmals schien der Traum eines vereinigten Europas zum greifen nahe. Einigkeit und Recht und Freiheit wurden zu wichtigen, heute kaum mehr wegzudenkenden Bestandteilen der EuropĂ€ischen Union. Mit dem Abkommen von Schengen 1995 gingen die SchlagbĂ€ume auf, eine gemeinsame WĂ€hrung wurde geschaffen, Europa wuchs und wuchs mit dem Beitritt von zehn neuen Mitgliedern 2004 auch um ein groĂes StĂŒck zusammen. Heute umfasst die EuropĂ€ische Union 28 Mitgliedsstaaten, die in einer der gröĂten, wohlhabenden und friedlichen Regionen dieser Erde in gemeinsamen europĂ€ischen Institutionen zusammenarbeiten zusammenarbeiten.
âNatĂŒrlich haben wir InteressengegensĂ€tze, aber der zivilisatorische Fortschritt besteht doch darin, dass wir diese Konflikte in SitzungssĂ€len austragen und nicht auf Schlachtfeldernâ, meinte einst der deutsche AuĂenminister Hans Dietrich Genscher. Was einst als Traum, als Idee begann ist heute eine gelebte RealitĂ€t geworden. Es herrscht Frieden Europa, so lange wie noch nie zuvor in der turbulenten und wechselhaften Geschichte des Kontinents.
Es bleibt die Frage
Am 25. MÀrz diesen Jahres feiert die EuropÀische Union ihren 60. Geburtstag. Dies ist ein Grund zu feiern, aber auch zu fragen. Es machen sich Anzeichen des Alters deutlich.
Der einstige Traum von Europa ist heute eine RealitĂ€t, ja manchmal eine zu groĂe SelbstverstĂ€ndlichkeit geworden. Nach all den Jahren scheinen die einstigen Ideale von Frieden und Freiheit einer zunehmenden Skepsis zu weichen. Der Brexit macht dies deutlich.
Legitimationskrisen, Migrationskrisen, Finanzkrisen scheinen die Union zu erschĂŒttern, an den gemeinsamen Pfeilern des âEuropĂ€ischen Hausesâ zu rĂŒtteln. Was ist also zu tun?
KĂŒrzlich veröffentlichte KommissionsprĂ€sident Jean Claude Junker ein Papier mit fĂŒnf Optionen fĂŒr die Zukunft der EuropĂ€ischen Union, die von den âVereinigten Staaten von Europaâ bis hin zu einer reinen Wirtschaftsunion reichen. Es herrscht Handlungsbedarf.
Vielfach wird Europa als âBrĂŒsselâ gesehen, als ein technokratisches, undemokratisches Gebilde im Zentrum des Kontinents. Dies ist bedingt sogar zutreffend, war doch Europa einst ein Elitenprojekt. Es bedarf umfassender Kenntnisse der internen AblĂ€ufe um die Prozesse in den Organen der EuropĂ€ischen Union zu verstehen und bewerten zu können.
Aber dies ist nur eine Seite. Millionen von europĂ€ischen BĂŒrgerinnen und BĂŒrgern machen sich jedes Jahr auf um fĂŒr Urlaub, Studium oder Arbeit ein anderes Land zu bereisen. Völker, die sich vorher als Feinde sahen, sind heute Nachbarn und Freunde. Ein solches Europa, der Möglichkeiten, der Chancen zu begreifen, dazu benötigt es keiner umfassenden Studien, keines Expertenwissens sondern eines offenen Verstandes und Herzens. Ein solches Europa erklĂ€rt sich durch sich selbst, durch sein tĂ€gliches friedliches Miteinander von ganz alleine.
âEuropa ist kein Ort, sondern eine Ideeâ, wie der französische Journalist Bernard-Henri LĂ©vy erkennt. Diese Idee lebt in den Köpfen der EuropĂ€erinnen und EuropĂ€er. Derzeit befindet sich die EuropĂ€ische Union allerdings in einer Krise. Die Ungleichgewichte innerhalb des gemeinsamen Binnenmarktes dĂŒrfen an dieser Stelle nicht verschwiegen werden, lassen am Sinn des europĂ€ischen Projektes zweifeln, aber steht doch Krise dem Wortsinn selbst fĂŒr die Möglichkeit. Es zeigte sich, dass Europa aus seinen Krisen lernen und wachsen kann.
Neue Ideen sind gefragt, nicht ob, sondern welches Europa wir haben wollen. Nun ist die Zeit Weichen in die Zukunft zu stellen, vorauszudenken, bedeutet doch Europa, frei nach der griechischen Sage, die Frau mit Weitblick. Entwickeln wir gemeinsam diese Idee weiter.
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