Nachdem man sich nun also als massenveranstaltungsscheuer Berliner mal aus seiner Bequemlichkeit aufgerichtet und durch die unglaublichen Massen von Touristen, Exil-Amerikanern und diesen sogenannten Neu-Berlinern geschoben hat, ist erstmal Schluss mit dem Vorankommen. Der Weg wird auf einmal schmaler und vor kleinen Zeltchen gibt es riesige Menschenansammlungen. Irgendwann kapiert man, dass das bereits die Sicherheitskontrollen sind – was so viel bedeutet wie die Auseinanderpflückung der eigenen Tasche und Leibesvisitation à la Flugsicherheit. Bis es soweit ist, freut man sich sogar schon auf diese wirklich überaus sympathisch wirkenden Menschen.

Als man diese Quälerei über sich ergehen lassen hat und nach über einer Stunde endlich frei Atmen und Gehen konnte, kam einem bereits Geklatsche und Rufe entgegen. Obama muss wohl gerade auf die Bühne gegangen sein. Mehr als vermuten kann man nämlich nicht. Man bekommt nur den Rücken des Vordermanns zu sehen. Falsch gelegen hat man allerdings nicht, denn schon ertönte die aus dem Fernsehen bereits bekannte Stimme Obamas.

Es ist eine emotionale Rede – sollte es wohl jedenfalls sein. Die Aufmerksamkeit lässt schnell nach und als sie wieder da ist, spricht er immer noch von Mauern und der Luftbrücke. Zeitweise wird er von den Kommentaren der Stehnachbarn übertönt. Ah, wohl auch Berliner. Naja, man nimmt halt die Mitmenschen genauso ernst, wie sich selbst. Auch wenn er ein Präsidentschaftskandidat ist. Aber so wirklich fühlt man sich auch nicht angesprochen, denn eigentlich ist die Rede ja an diejenigen gerichtet, die Obama im November wählen sollen. Aus amerikanischer Sicht hat er wohl in diesen etwa 30 Minuten keinen Fehler begangen. Doch die Berliner, vor allem die aus dem Ostteil der Stadt, sind nicht wirklich gerührt gewesen. Was haben sie schon mit der Luftbrücke am Hut gehabt? Und die ganzen Zugezogenen? Es lässt sich wohl darüber streiten.
Obama spricht aber noch viel mehr an. All die Ungerechtigkeiten – arme Kinder in Bangladesh, verhaftete Blogger im Iran, verprügelte Wähler in Simbabwe – und was so gar nicht geht – Iran auf dem Weg zu atomaren Waffen, Mohnanbau in Afghanistan. Die Welt ist ja so schlecht. Wenn man nur mehr darüber nachdenken würde, man würde es wohl gar nicht mehr in der eigenen Haut aushalten. Wenn wir nur zusammen dagegen kämpfen würden, ja dann…

Das Schlimme ist, dass man all diese Sachen bereits weiß. Er sagt nichts Neues. Da der Weltbürger Obama nicht als Präsidentschaftskandidat vor uns zu stehen weiß, fragt man sich, warum er da eigentlich vor uns steht. Wollte er uns nicht etwas davon erzählen, was konkret er vorhat, wenn er denn nun gewählt werden würde? Es ist ja schön, dass er die deutsche, und vor allem die berliner Nachkriegszeit, sowie die deutsch-amerikanische Zusammenarbeit zu jener Zeit zu schätzen weiß und sich über all die Ungerechtigkeiten und was-so-gar-nicht-geht aufregt.
Aber was will er denn nun konkret tun? Im Prinzip hat Obama an diesem Abend für die Deutschen nur eine Botschaft: Mehr Zusammenarbeit. Wie früher. Das bedeutet für ihn allerdings: Mehr deutsches Engagement in Afghanistan. Das wollen wir aber natürlich nicht hören. Daher dieses ganze Ohrenschmalz mit der Vergangenheit. Man will ja trotzdem die Massen auf seiner Seite wissen. Der Jubel muss schließlich bis nach Amerika zu hören sein.

Die Medien werden hinterher von „Berliner Euphorie” sprechen. Es war allerdings eher verhaltene Begeisterung und schon gar keine Berliner. Nachher hört man auf dem sehr sehr langsam vor sich gehenden Rückweg zum Brandenburger Tor vor allem eines: „Halbe Stunde, wa? Von wejen ‘ne Janze!” Oder auch: „Irgendwann hat mich das genervt mit all den Mauern und Luftbrücken!” Der Gesprächspartner daraufhin: „Naja, war ‘ne schöne Geschichtsstunde.” Aber besonders schön waren die Lautsprecherdurchsagen später: „Die Sicherheitsschleusen sind geöffnet. Sie können den Heimweg in Richtung Brandenburger Tor antreten!” Scheinbar haben ein paar Uneinsichtige nicht kapiert, dass es keine After-Show-Party geben wird. Fünf Minuten später: „Die Veranstaltung ist beendet! Bitte treten sie den Heimweg an!” – Wohl ein Berliner.

(Text: Sina Mühling)

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Von Sina M.

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