Bundestag

Ach, wie schön. Der Schauspieler Moritz Bleibtreu hat in der SZ angekündigt, er kann sich vorstellen in Zukunft wählen zu gehen. „Wenn radikalere Kräfte sich in Deutschland über die Zehnprozentmarke mauscheln sollten, dann werde auch ich mich an die Urne stellen, um dagegenzuhalten.“, so der 44-jährige in dem Interview.[divide]

Nun ist es grundsätzlich eine positive Sache, wenn ein langjähriger und bekennender Nicht-Wähler seine Meinung überdenkt und in Zukunft von einem Grundrecht jedes Deutschen Gebrauch machen möchte. Über die Begründung für diesen Meinungsumschwung kann man aber geteilter Meinung sein. Sicherlich, jeder überzeugte Demokrat sollte mit allen Mitteln ein Erstarken von NPD, AFD oder anderen Parteien, Vereinen oder Zusammenschlüssen mit ähnlichen Grundgesinnungen verhindern.

Doch stellt sich die Frage: Was für Demokraten sind eigentlich Nicht-Wähler? Gerade in den jüngeren Generationen gibt es eine große Anzahl von Menschen, die aus Prinzip ihre Stimme beim Urnengang verweigern und dies offen bekennen. Als Beweggründe für diese Verweigerung werden dann Gründe wie „meine Stimme macht doch keinen Unterschied“ oder „wen man wählt ist egal, die Parteien stehen alle für das selbe“ angegeben.

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Landtagswahl in Baden-Württemberg

Zum einen sind diese Argumentationen leicht mit Gegenbeispielen zu wiederlegen. Wenn man sich etwa die Bundestagswahl von 2002 in Erinnerung ruft. Die SPD hatte am Ende einen äußerst knappen Vorsprung von insgesamt ungefähr 6000 Stimmen auf die Union und konnte mir vier Überhangsmandaten die Regierungsmehrheit von Rot/Grün halten.

Bei der Landtagswahl im Frühjahr in Baden-Württemberg stehen mit Grün/Rot pro Gemeinschaftsschulen und der CDU/FDP dagegen elementare Unterschiede in der Bildungspolitik für die kommenden Generationen zur Abstimmung. Jede einzelne Stimme kann etwas bewirken. Und auch wenn sich die etablierten Parteien in mehreren Punkten kaum widersprechen, so stehen sie in anderen, beispielsweise der Steuerpolitik oder der Rolle und Unterstützung von Frauen, nach wie vor für völlig unterschiedliche Vorstellungen.

Demokratie als Einbahnstraße

Allerdings legen diese Begründungen für das nicht zum Wählen gehen ein Verständnis von Demokratie offen, das schlicht nicht demokratisch ist. Für diese Menschen ist Demokratie eine Einbahnstraße. Sie genießen alle Vorzüge und Freiheiten, ihr Leben so zu gestalten wie sie möchten, offen zu sagen was sie wollen. Doch wenn es darum geht, etwas für diese Freiheit zurückzugeben, dann verweigern sie sich und begründen dies auch noch mit ihrem demokratischen Recht.

Das ist vergleichbar mit einer Freundschaft, in der die eine Person immer für die andere da ist. Beim Umzug hilft, auf die Kinder aufpasst, die Haustiere über das lange Wochenende hütet. Wenn dann aber diese Person um einen Gefallen bittet, wird sie knallhart abgewiesen. Weder funktioniert so auf Dauer eine soziale Beziehung noch eine Demokratie. Die wörtliche Übersetzung aus dem Griechischen lautet „Herrschaft des Volkes“.

Heute wird diese Herrschaft von unseren gewählten Vertretern in Bund, Ländern und Kommunen im Namen ihrer Wähler ausgeübt. Doch die Verantwortung, wen wir da als unseren Repräsentanten mit einer gewissen Macht ausstatten, liegt bei uns. Wenn sich Bürgerinnen und Bürger weigern, diese Verantwortung zu übernehmen, dann verweigern sie sich dem demokratischen Grundgedanken – ihre Macht – und, dies wissen wir alle spätestens seit Star Wars, die damit einhergehende Verantwortung – anzunehmen.

Politische Überzeugungen finden

Oftmals ist es schwer, zu seinen politischen Ideen zu stehen. Eine gewisse Frustration nach der weiteren Enttäuschung einer verlorenen Wahl oder einem gebrochenen Versprechen aus dem Wahlkampf ist verständlich. Doch die Demokratie braucht diejenigen, welche nicht nur in guten Zeiten mit Überzeugung ihrer Verantwortung gerecht werden, sondern auch in schlechten.

In der Zeit der Nationalsozialisten konnte man es mit dem Leben bezahlen, für seine Überzeugungen einzustehen. Trotzdem gab es mutige Persönlichkeiten wie den Sozialdemokraten Otto Wels. Er begründete kurz nach der Machtübernahme die Ablehnung des Ermächtigungsgesetzes von Seiten der SPD, wofür ihm die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt wurde und er ins Exil nach Prag fliehen musste.

Das deutsche Verständnis von Demokratie

Dadurch ist gerade auch in Deutschland eine besondere Verantwortung für Demokratie abzuleiten. Diejenigen, die sich weigern, zu wählen, ignorieren die deutsche Geschichte und die vielen Opfer, die unsere heutige Freiheit gekostet hat. Und wer nun sagt, Geschichte ist Geschichte, man sollte sie endlich ruhen lassen, wir leben im 21. Jahrhundert, der muss nur mal auf die Weltkarte schauen. Was für ein Hohn muss es für die Menschen in Nordkorea, dem Iran oder Saudi-Arabien sein.

Frau Müller weigert sich, an einem Sonntag eine halbe Stunde vor dem Rathaus anzustehen, da sowohl CDU als auch SPD nicht ihre Meinung vertreten. Abgesehen davon, dass in Saudi-Arabien es einer Frau grundsätzlich verboten ist, irgendwas öffentlich zu tun und in Nordkorea das Wort Wahl nicht existiert, sollte man sich dies immer vor Augen führen, wenn man sich zum nicht Wählen entscheidet.

Wenn Frau Müller sich intensiv mit den Wahlprogrammen auseinandersetzt, findet sie bestimmt eine Partei, die ihren Wünschen in vielem nahe kommt. Und wenn nicht, sollte sie nicht zu Hause bleiben. Sie sollte die Parteien im Anschreiben, die Ortsvereine besuchen, sich umschauen, ob es nicht viele gibt, die ihre Meinung teilen. Wenn sie keine passende Partei findet, dann sollte sie eine eigene gründen. Vielleicht wird sie nicht die nächste Bundeskanzlerin und vielleicht bekommt sie bei der kommenden Wahl gerade mal zehn Stimmen. Doch für die zehn Leute, die ihre Standpunkte teilen und sich von ihr vertreten fühlen, hat es sich doch schon gelohnt. Nur so funktioniert Demokratie – durch das Engagement jedes Einzelnen.

Um den Bogen zurück zu Moritz Bleibtreu zu schlagen. Es ist eine wichtige Sache, für die kommenden Wahlen so viele Menschen wie möglich zu mobilisieren, um die radikalen Kräfte in Deutschland nicht zu stark werden zu lassen. Doch wenn das der einzige Grund ist, warum Herr Bleibtreu und die anderen überzeugten Nicht-Wähler ihr Kreuz machen werden, dann haben diese Menschen das Wort „Demokratie“ leider nicht verstanden.

(Text: Sophie-Isabel Gunderlach / Foto: KW)

Autor

Von SophieIsa

Ein Gedanke zu „Nicht wählen – die Verweigerung der Partizipation“
  1. Ich kann Ihre Meinung nur teilweise teilen. Beispielsweise hinkt Ihr Bezug auf freie Wahlen und die Nationalsozialisten. Wenn ich mich nicht irre, gab es zwischen 1928 und 1933 6 Reichstagswahlen. Die Wahlbeteiligung lag dabei immer über 80%, 1933 sogar bei 95%. Um hier nicht meine eigene Meinung wieder zu geben, zitiere ich Wikipedia: “Der Historiker Hans-Ulrich Wehler geht dennoch davon aus, dass wegen des Fehlens einer systematischen Wahlbeeinflussung die Ergebnisse tatsächlich im Kern die Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung zum Regime widerspiegelten”. Die NSDAP wurde also bei hoher Wahlbeteiligung in einer freien Wahl gewählt. Ihr Argument, dass eine hohe Wahlbeteiligung automatisch auch zukünftige freie Wahlen sichert, ist damit entkräftet! Wir Deutschen müssen uns einfach mal damit abfinden, dass da nicht von irgendwoher ein totalitäres Regime gekommen ist und alle Deutschen gezwungen hat böses zu tun. Vielmehr hat das Regim nicht mir offenen Karten gespielt und seine Wähler belogen oder zumindest hinters Licht geführt.
    Und damit sind wir bei dem zweiten Punkt, der mir an Ihrer Darstellung nicht gefällt. Nichtwähler werden bei Ihnen dargestellt, als Menschen, die denken “meine Stimme ändert ja auch nichts”. Meine Erfahrungen sind da aber anders. Nichtwähler waren selten immer NIchtwähler. Oft haben sie lange treu zu einer Partei gehalten, sind von dieser aber enttäuscht worden. Sie haben dann eine andere Partei gewählt, die Ihnen (auch laut Wahlprogramm) versprochen hat alles besser zu machen. Und siehe da, als sie an der Macht waren, haben sie es genauso schlecht gemacht (zumindet aus Sicht des heutigen Nichtwählers). Nicht eingehaltene Wahlversprechen, ja sogar Wahlkampflügen, politisches Versagen haben einen Großteil dieser Menschen zu Nichtwählern gemacht.
    Dazu kommen die fehlenden Alternativen am linken und rechten Rand. CDU/CSU, SPD und Grüne sind sehr eng zusammen gerückt. Die unterschiedlichen Koalitionen im Bund und den Ländern verbieten diesen Parteien echte politsch harte Auseinandersetzungen. Wer sich jetzt also an Wahlprogrammen orientieren will, kann sich die Programme dieser Parteien durchlesen, die Schnittmenge bilden und weiss dann, wie die Politik von Morgen aussehen wird.

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