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Der Stern in der Schachtel

Unmengen von Energie, sicher, sauber und kostengünstig – all das erwarten sich Forscher und Politiker von der Kernfusion. Umweltschützer stehen der vermeintlichen Energiequelle der Zukunft skeptisch gegenüber. Was kann die Kernfusion wirklich und welche Risiken birgt sie? back view hat nachgeforscht.
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Die Fusion selbst ist nichts Neues, schon seit Jahrmilliarden findet sie überall im Universum statt: Im Inneren von Sternen prallen Atomkerne aufeinander und erzeugen so Energie. Auch die Sonne versorgt uns auf diese Weise mit Wärme und Licht.
Forscher wollen diese Energiequelle nun auf der Erde nachbauen, um die Menschheit endgültig von Kohle, Öl und Atomenergie unabhängig zu machen. Deutschland gibt deswegen 2010 allein 135 Millionen Euro für die Entwicklung der Kernfusion aus, ein Drittel seines gesamten Forschungsetats.

Bisher glimmt die Kohle nur
Schon heute lassen Wissenschaftler in verschiedenen Versuchsreaktoren die Kerne des „schweren Wasserstoffs” Deuterium und des „überschweren Wasserstoffs” Tritium miteinander verschmelzen. Dabei werden riesige Mengen Energie freigesetzt, es entsteht Wärme und über einen Dampfkreislauf wird ein Generator angetrieben, der Strom erzeugt.

Manche versprechen sich davon sehr viel: „Eine Art der Energiegewinnung, die uns unendliche Mengen von Energie zur Verfügung stellen könnte”, schwärmt zum Beispiel Bundeskanzlerin Angela Merkel von der Kernfusion. Das Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), das in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern selbst Versuchsreaktoren betreibt, schätzt das Potenzial sehr hoch ein: „Ein Gramm Brennstoff könnte 90.000 Kilowattstunden Energie erzeugen – die Verbrennungswärme von 11 Tonnen Kohle.”

Könnte – denn bisher ist das alles nur Zukunftsmusik: Die heute existierenden Versuchsanlagen verbrauchen noch mehr Strom als sie erzeugen. „Es ist, wie wenn man ein Streichholz an ein Stück Kohle hält und die Kohle glimmt. Wenn man das Streichholz wegnimmt, geht sie wieder aus.”, sagt Isabella Milch vom IPP zum Stand der Forschung. Erst in der Mitte dieses Jahrhunderts sei die Technik wirklich zur Energiegewinnung nutzbar: „Also in 40 bis 50 Jahren”.

Für Kernfusionskritiker sind das jedoch nur Zahlenspiele: „Seit 50 Jahren wird uns erzählt, in 50 Jahren könne das Ding endlich Strom produzieren. Und wahrscheinlich heißt es in 50 Jahren immer noch, dass es dann in 50 Jahren soweit ist”, meint Thorben Becker vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Dabei könnten andere regenerative Energiequellen doch sehr viel schneller und vor allem billiger Abhilfe schaffen.

Nicht ganz so sauber
Fusionsfreunde und -gegner streiten aber nicht nur über Zeit und Geld, sondern auch über die Sicherheit: Die Explosion der ersten Wasserstoffbombe „Ivy Mike” enthüllte 1952 erstmals die Kraft der Kernfusion und zugleich ihre dunkle Seite. Bei der Stromerzeugung in Fusionsreaktoren soll aber alles ganz anders werden.
„Nach heutigem Wissen ist die Kernfusion eine katastrophenfreie Technologie”, sagt IPP-Vertreterin Milch. Was sie meint: Im Gegensatz zur Kernspaltung in einem Atomkraftwerk kann es zu keiner gefährlichen Kernschmelze kommen. Wenn etwas schiefgeht, wird die Reaktion automatisch abgebrochen. Außerdem könnten durch die Kernfusion „nach heutigem Kenntnisstand keine radioaktiven Abfälle entstehen”, behauptet beispielsweise die Bundeskanzlerin.

Das stimmt jedoch nicht ganz: Der Stahl, aus dem die Reaktorwände bestehen, wird mit der Zeit radioaktiv, weil er beim Verschmelzen der Kerne ständig unter Neutronenbeschuss steht. Irgendwann muss er deswegen genau so wie der strahlende Abfall aus einem Kernkraftwerk entsorgt und eingelagert werden. „Auch bei diesem Verfahren entsteht Atommüll. Das ist keine Technologie ohne ungewünschte Nebenwirkungen”, warnt BUND-Experte Becker.

Wollte man mit dem Ausstieg aus der Atomenergie nicht eigentlich von solchem hochgiftigen Abfall weg kommen? Die Fusionsforscher beschwichtigen: „Das Material aus einem Fusionsreaktor ist nach hundert Jahren schon auf ein Zehntausendstel der Aktivität abgeklungen”, sagt Isabella Milch, und das sei im Vergleich zum Kernspaltungsabfall eine enorm kurze Zeit. Wie gefährlich der Fusionsmüll in diesen ersten hundert Jahren wirklich ist, sagt sie jedoch nicht.

Goldgrube oder Geldverschwendung?
Der „Stern in der Schachtel” als Energieträger – für die Befürworter liegen die Vorteile auf der Hand: Nahezu unerschöpfliche und überall verfügbare Brennstoffe (Deuterium kann zum Beispiel einfach aus Meerwasser gewonnen werden) und „einigermaßen freundliche Umwelt- und Sicherheitsbedingungen”, wie es Isabella Milch ausdrückt.
Die Kritiker halten dagegen: Niemand wisse, ob und wann die Kernfusion jemals sicher und effizient einsetzbar sein wird. Bund, Länder und EU sollten ihr Geld lieber in andere Energieträger stecken, deren Nutzung kein reines Wunschdenken sei. „Das ist ja im Prinzip eine Nachahmung der Sonnenenergie”, sagt Thorben Becker: „Aber die können wir doch schon längst nutzen: In Form von Photovoltaik und Solarthermie.”

Der Energiehunger der Menschheit wächst jedenfalls unaufhaltsam und man muss Wege finden, ihn zu stillen. Lohnt es sich also, heute schon Millionen an Steuergeldern in eine Technologie zu stecken, die zwar theoretisch den Bedarf decken könnte, aber erst in Jahrzehnten oder vielleicht auch nie sinnvoll nutzbar sein wird? Goldgrube oder Geldverschwendung – irgendwann werden wir wissen, was die Kernfusion wirklich ist. Aber vermutlich wohl erst in 50 Jahren.

(Text: Timo Brücken)

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