Ob meine Neugierde auf Facebook gestillt oder noch mehr angeregt wird, weiß ich nicht. Fakt ist: Ich kann mich stundenlang damit beschäftigen, andere Profile zu durchstöbern, Kommentare zu lesen, Fotos zu liken. Ob Freunde, Freundesfreunde oder Unbekannte: Mich interessieren sie alle.
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Als letzte Woche mehrere Medien vermeldeten, der ehemalige Kanzleramtschef Ronald Pofalla habe ein neues Engagement im Bahnvorstand, erlaubte sich der Postillon einen Scherz: Er veröffentlichte die passgenaue Agenturmeldung, datierte sie jedoch um einen Tag vor und tat, als hätten alle anderen Medien von ihm, der Satireseite, abgeschrieben – so absurd schien diese Meldung zunächst. Und auf Facebook spotteten User unaufhörlich über Spotter, die über Satiremeldungen spotten, die über Nachrichtenmeldungen spotteten.

So erheiternd und klug diese Geschichte auch sein mag – sitze ich wirklich da und lese eine Stunde lang Kommentare mir völlig fremder Leute unter einem verlinkten Artikel der Facebookseite des Postillon durch? Habe ich wirklich nichts Besseres zu tun, als zu verfolgen, wie „Falk“ dem „Bernhard“ erklärt, worum es hier eigentlich wirklich geht?

Doch, habe ich. Aber meine Neugierde treibt mich an, mehr zu lesen. Noch mehr. Ich klicke auf „8 Antworten“ und weitere sinnvolle und ebenso weniger sinnvolle Kommentare klappen auf. Die besonders Lustigen sind bereits mit zweistelligen Gefällt-mir-Daumen belohnt worden, der Rest geht in der Menge unter.

Facebook Neugierde
Schwanger? Lisa? Die?
Ich weiß nicht mal genau, ob es Neugierde ist, aber ich schiebe es einfach auf diese Eigenschaft. Anders kann ich mir nicht erklären, dass ich nachts um zwölf mit Laptop im Bett sitze und „Nathalie“ in die Suchfunktion eingebe – der Namen einer Bekannten, die ich seit zwei Jahren nicht mehr traf.

Ist sie wirklich in einer neuen Beziehung? Ja, schau an, ein Foto mit einem etwas schmächtigen Kerl, beide am Strand, Sonnenbrand auf ihrer Haut, verliebte Blicke. Aha, gemeinsamer Urlaub also. Und siehe da, scrolle ich nur ein kleines Stückchen runter, entdecke ich einen Post von Lisa: „Es war so schön am Samstag. Dank Dir für Deine Hilfe, bald ist das Kinderzimmer fertig!“ Schwanger? Lisa? Die? Ja, krass.

Eins kommt zum anderen. Natürlich muss ich mir den zukünftigen Vater ansehen, der in dieser Geschichte beteiligt ist. Es kann ja nicht so schwer sein, herauszufinden, wer das ist. Keineswegs. Ein Blick in Lisas Freundesliste, zack, ein gewisser Peter hat ein Pärchenfoto als Profilbild, auf dem ich Lisa wiedererkenne.

Ich stöbere weiter, scrolle mich durch Profile, vollziehe Beziehungen und Netzwerke nach. So erfahre ich, dass Nathalie letztes Jahr mit Lisa nach Rom gereist ist, dass ein recht gutaussehender Freund der beiden, Rolf, als Koch arbeitet und den Mädels mal etwas „Atemberaubendes“ gezaubert haben muss, dass Lisa den Peter „furchtbar lieb hat“ und, dass der Hugo ein gemeinsamer Freund von uns allen ist.

Der Nachrichtenticker, die alten Gruppen, der unbekannte Freund
Es ist so einfach geworden, seine Neugierde zu befriedigen. Facebook, oh dieses Facebook. Was es mich Zeit kostet, keine Nachricht zu verpassen und gleichzeitig einen Überblick über die Gesamtlage meiner Hunderten von Facebookfreunde zu halten. Felix teilt gerade einen neuen Link, Rike likt ihn, zeigt mir der Nachrichtenticker rechts oben an. Was, die kennen sich? Das gibt es ja gar nicht – Diese Situation könnte man akzeptieren und einfach nicht weiter darüber nachdenken, oder aber man versucht, die Beziehung der beiden schrittweise nachzuvollziehen. Ich tue letzteres.

Ich scrolle und scrolle. Ich treffe auf Freunde, Freundesfreunde, völlig Fremde, Fakeprofile. Irgendwann erwische ich mich dabei, wie ich eine alte Facebook-Gruppe aus Studienzeiten durchstöbere, nachdem mir die drei verlinkten Katzenvideos auf Rikes Profil zu eintönig wurden. Himmel, was suche ich in einer alten Facebook-Gruppe? Was zum Teufel möchte ich denn hier finden? Meinen Traumjob? Meinen Traummann? Den Hinweis zur besten Erstiparty der Welt? Diesen einen Post, der mein Leben verändern wird?

Mich interessieren sie alle
Ich merke: Es ist egal, ob ich die Leute kenne, ein bisschen kenne oder gar nicht kenne. Mich interessieren sie alle. Wer bekommt die schöne Satinhülle, die gerade in einer öffentlichen „Verschenk’s“-Gruppe angeboten wird? In zwei Minuten kann ich diese Frage wahrscheinlich nicht mehr beantworten, da ich weder Robert, noch Bob oder Anna kenne, die einen Kommentar unter dem hochgeladenem Foto hinterlassen. Gleich werden sie vergessen sein. Warum ich trotzdem nachlesen muss, wer noch alles Interesse an der wirklich schönen Satinhülle hätte? Ich weiß es nicht.

In meinem Kopf vergrößert sich das Netzwerk unaufhörlich, eine Matrix aus vielen kleinen Usern. Ständig kommen neue Beziehungen hinzu, überlappen sich oder werden schwächer. In dem Gebilde schweben Lisa und Nathalie neben Bob, Peter und Hunderter weiterer Akteure. In manchen Netzwerkteilen ist die Dichte besonders groß, in anderen sind nur kleine Gruppenzusammengehörigkeiten zu erkennen.

Danke Facebook. Ich bin vorbereitet
Natürlich ist es pure Zeitvertrödelung. Vielleicht muss mein Gehirn manchmal abschalten und puren Nonsens verfolgen. Oder es ist nicht ausgelastet, so, wie ich auch nicht mehr fähig bin, ohne Handy in der Hand Bus zu fahren oder Fern zu sehen, ohne auf Facebook online zu sein – Wie geht das denn?

Vielleicht ist es pure Neugierde. Vielleicht dient Facebook einfach dazu, dass ich viele Dinge erfahre, auf die ich womöglich die nächsten fünf Jahre nicht aufmerksam geworden wäre. Vielleicht soll das so sein und sobald ich Lisa mal wieder treffe, bin ich über ihr Leben informiert – meine ich zumindest. Dann kann ich sie daran erinnern, was sie letzten November getan hat und letzten Sommer sowieso.

Seien es Kommentare zur Pofalla-Satire, Kommentare in „Verschenk’s“-Gruppen oder der neue Beziehungsstatus von Nathalie: Ich bin vorbereitet. So gut, wie auf alles. Wenn ich auf die nächste WG-Party gehe, werde ich vielleicht den Rolf kennenlernen. Er wird für mich dann kein Unbekannter mehr sein. Dann kann ich beweisen, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe: „Ja, du bist doch der Koch. Von dir habe ich schon viel gehört.“

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(Text: Christina Hubmann / Foto Laura Naxera by jugendfotos.de)

Autor

  • Christina Hubmann

    Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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Von Christina Hubmann

Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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