Der 21. März ist internationaler Tag gegen den Rassismus – Gelegenheit, unsere eigenen Einstellungen zu überdenken. Aber wieso haben wir eigentlich Vorurteile, und können wir sie jemals wirklich loswerden?
Hintergrund zu den interviewten Rassismus-Experten:
Dr. Martha Augoustinos ist Professorin für Soziale Psychologie an der University of Adelaide.
Dr. Lisa J. Cohen ist Professorin für Klinische Psychologie und Forschungsdirektorin für Psychologie und Psychiatrie am Beth Israel Medical Center/Albert Einstein College of Medicine in New York City.
Dr. Thomas Teo ist Professor für History and Theory of Psychology an der York University, Toronto; sowie Redakteur des Journal of Theoretical and Philosophical Psychology.
Warum sind Vorurteile noch so weit verbreitet, wenn doch kaum jemand etwas Gutes darin sieht?
Thomas Teo: Manche Forscher vertreten die Auffassung, dass Vorurteile Teil unserer Natur sind, aber das greift nicht tief genug. Vorurteile sind nicht nur Belang der Psychologie, sonder auch Teil der soziopolitischen Realität. Im Immobilienmarkt kann z.B. der Marktwert meines Hauses sinken, weil Schwarze in die Gegend ziehen. Ich verkaufe also mein Haus, weil andere Leute eine rassistische Einstellung haben und mein Haus an Wert verliert.
Ich selbst ziehe nur aus rein finanziellen Gründen um. Das Problem ist nicht Rassismus an sich, sondern die Erwartung von Rassismus im Markt, in scheinbar neutralen Strukturen. Rassismus, Heterosexismus usw. sind strukturelle Wirklichkeiten und nicht nur rein psychologische Probleme. Man profitiert vom Weißsein, ohne dass man darum gebeten hat. Es gibt einfach von vornherein Vorzüge für bestimmte soziale Kategorien, die nicht auf “Vorurteile” reduziert werden können.
Begünstigen schwierige Zeiten, wie jetzt gerade die Wirtschaftskrise, Vorurteile?
Thomas Teo: Ja, dafür gibt es viele Anhaltspunkte. Wirtschaftskrisen können für ideologische Zwecke missbraucht werden. Man muss sich natürlich ins Bewusstsein rufen, dass Wirtschaftsstrukturen Krisen hervorrufen, und nicht “Ausländer”. Aber auch der ideologische Kampf ist nicht einfach – konservative und rechte Parteien in Kanada haben keine rassistischen Programme mehr, weil sie nicht genug Unterstützung bekommen würden. Rassistische Parteien werden durch Immigration verdrängt.
Gibt es Eigenschaften, die die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine Person rassistische Einstellungen entwickelt?
Lisa J. Cohen: Menschen, die sich wirklich benachteiligt fühlen, laufen eher Gefahr, rassistische Einstellungen zu entwickeln. Dann können sie andere Gruppen als Feinde ansehen oder ihnen die Schuld zuschieben. Skrupellose Politiker nutzen dies gerne als Gelegenheit, ihre eigenen Karrieren voranzutreiben, wie man es im nationalsozialistischen Deutschland nach dem Ende des ersten Weltkrieges oder in Serbien nach dem Fall der Sowjetunion sehen konnte.
Politische Korrektheit bezeichnet neue soziale Normen, die das Äußern von rassistischen und andersweitig diskriminierenden Meinungen untersagen. Dazu gehört unter anderem auch, dass bestimmte Begriffe nicht mehr verwendet werden. Ändert das wirklich die Art, wie wir denken, oder behalten wir unsere Einstellungen einfach nur für uns?
Lisa J. Cohen: Viele Menschen haben sich beschwert, dass diese Normen zu strikt sind und sie sich in ihrem täglichen Leben eingeengt fühlen, um ja nicht politisch inkorrekt zu wirken. Zur Frage, ob diese Normen wirklich das Denken ändern, muss man das Beispiel der Homosexualität erwähnen. Etwa die Hälfte aller US-Bürger befürwortet gleichgeschlechtliche Ehen – das ist ein dramatischer Unterschied zu der Situation von vor zehn oder zwanzig Jahren.
Soziale Veränderungen passieren aber nicht über Nacht, und sie gehen immer mit einigen Schwierigkeiten einher. Daher ist es definitiv möglich, dass Menschen sozial akzeptable Dinge sagen, aber in Wirklichkeit ganz anders denken. Wenn die politischen und wirtschaftlichen Bedingungen stimmen, werden die “neuen” Einstellungen mit der Zeit aber internalisiert werden.
Martha Augoustinos: Ich glaube, dass man die Darstellung und Wahrnehmung anderer Gruppen verbessern kann, indem man die Sprache verändert. Sprache ist konstruktiv und aufbauend; die Art wie wir sprechen, verändert die Art, wie wir die Welt wahrnehmen. Es wird Vorurteile wohl nicht komplett abbauen, aber mit der Zeit sollte es soziale Normen ändern. Die Tatsache, dass nun weniger Menschen offen rassistische Einstellungen gutheißen, ist schon einmal gut.
Es wird auch oft argumentiert, dass die “wahren Gefühle” nur unterdrückt würden. Aber sehen Sie es so: Wir sind von Kind auf gewöhnt, bestimmte Gefühle zu unterdrücken. Höflichkeitsnormen sind weit verbreitet, und darüber beschwert sich niemand – ganz im Gegenteil. Warum also soll es in Ordnung sein, sich offen schlecht über bestimmte Gruppen zu äußern, ohne Kritik befürchten zu müssen?
Die USA haben einen schwarzen Präsidenten, hier in Deutschland haben wir einen vietnamesischen Vizekanzler und mehrere homosexuelle Politiker. Reichen Personen des öffentlichen Lebens mit verschiedenen Hintergründen aus, um eine Veränderung der Einstellungen herbeizuführen?
Thomas Teo: Ich glaube, dass solche Vorbilder herrschende Einstellungen verändern können, aber ich glaube auch, dass sie nicht ausreichen. Es müssen auch Veränderungen in den Gesetzen, der Wirtschaft, der Kultur, und auch im Alltag stattfinden.
Lisa Cohen: Ich habe keinen Zweifel, dass dies Einstellungen verändert, auch wenn es nicht ausreicht, um Rassismus und Vorurteile komplett auszulöschen. Ein Beispiel ist das südafrikanische Fußball-Team, das von Nelson Mandela unterstützt wurde – früher wurde es mit Apartheid und weißen Vorurteilen in Zusammenhang gebracht. Mandela verstand aber, dass ein erfolgreiches Team das Land als Südafrikaner zusammenbringen würde, und nicht nur als Schwarze und Weiße. Solange Personen des öffentlichen Lebens also für das ganze Land stehen, und nicht nur für eine Gruppe, können sie Veränderungen herbeiführen.
Vorurteile basieren oft darauf, dass alle Mitglieder “in einen Topf geworfen” werden. Persönlicher Kontakt mit Mitgliedern anderer Gruppen soll Vorurteile reduzieren, da man nun Individuen kennt und merkt, dass doch nicht alle gleich sein. Obwohl z.B. türkische Minderheiten in Deutschland und hispanische Minderheiten in den USA zunehmen, gibt es doch noch immer sehr viele Vorurteile.
Thomas Teo: Das stimmt, aber das Gegenteil kann auch passieren. Die Stadt Gatineau in Quebec verteilte kürzlich Handbücher an Einwanderer mit Hinweisen zu einer besseren Integration – darunter die Empfehlung, kein “komisch-riechendes Essen” zu kochen. Komisch-riechendes Essen ist aber ein ethnozentrisches Konzept. Man könnte Beweise finden, dass Einwanderer komisches Essen kochen, und dann daraus schlussfolgern, dass das wohl alle tun.
Was man dabei aber vergisst, ist, dass auch unser Essen schlecht riechen kann – z.B. Käse-Fondue oder das Fett von Pommes. Das zeigt auch, dass egozentrische Vorurteile von der Politik und den Medien kommen, und zu uns herabgereicht werden.
Auch Mitglieder anderer sozialer Schichten oder Religionsgemeinschaften sind oft Opfer von Vorurteilen. Wie unterscheiden sich diese von den Vorurteilen gegenüber anderer Rassen oder Nationalitäten?
Lisa J. Cohen: Alle Arten von Vorurteilen können sehr schädigend sein. Das Hauptproblem mit Rassismus ist jedoch, dass man sich nicht davor verstecken kann. Man kann seine Religion wechseln oder nicht darüber reden, eine neue Sprache lernen und sich an eine neue Kultur anpassen, aber man kann nicht sein genetisches Erbe ändern. Menschen haben die Tendenz, andere in Gruppen einzuteilen, und alle Eigenschaften die sofort sichtbar sind, sind ein einfaches Ziel für Vorurteile.
Martha Augoustinos: Die Forschung zeigt unter anderem viele Ähnlichkeiten in der Art und Weise, wie Menschen über das andere Geschlecht und muslimische Minderheiten reden. Die Leugnung von Sexismus ist genauso universell wie die Leugnung von Rassismus: “Ich bin ja nicht sexistisch, aber…”. Das gleiche passiert mit Heterosexismus. Zu Muslimen muss man dazusagen, dass sie derzeit ein Hauptziel von Vorurteilen sind. Die politische Situation und der “Krieg gegen den Terror” bieten besonders nahrhaften Boden für negative und herabwürdigende Ansichten.
Wie verhält es sich mit rassistischen Vorurteilen von Minderheiten gegenüber der Mehrheit?
Martha Augoustinos: Mitglieder der Mehrheit haben Macht und Privilegien in einer Gesellschaft, die sie schätzt, weil sie weiß, männlich usw. sind. Weißes Privileg ist unsichtbar – wir nehmen es für selbstverständlich hin. Meistens sehen wir uns selbst nicht einmal als “weiß” – wir werden nicht so durch unsere Rasse identifiziert, wie es mit Mitgliedern der Minderheiten geschieht. Daher glaube ich nicht, dass man Rassismus gegenüber der Mehrheit vergleichen kann, da die Mehrheit meist von der Gesellschaft unterstützt wird. Das Problem des “umgekehrten Rassismus” wird also oft übertrieben.
Vorurteile werden durch so viele Faktoren beeinflusst. Kann man überhaupt jemals völlig vorurteilsfrei sein?
Martha Augoustinos: Nein, ich glaube nicht dass das möglich ist, solange wir in einer Gesellschaft leben, die verschiedene Schichten besitzt und, in der die Machtverhältnisse zwischen verschiedenen Gruppen ungleich sind. Vorurteile, Rassismus und soziale Konflikte sind oft die Konsequenzen von tatsächlich existierenden Macht- und Statusunterschieden. Sie spiegeln die “soziale Realität” der Beziehungen verschiedener Gruppen wieder.
Thomas Teo: Ich glaube, ohne Vorurteile wäre es unmöglich, irgendeine Meinung zu formen. Wir müssen uns aber über unsere eigenen Vorurteile und Privilegien klar werden, und Bereitschaft zeigen, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Es muss auch mehr Gleichheit zwischen den Geschlechtern, Klassen, Kulturen, sexuellen Orientierungen und so weiter geschaffen werden.
(Interview: Janine Schulz)