“… wer kann sie erraten?” – eine kleine Bühne und ein Halbkreis von Demonstranten und Zuschauern singen von ihren zuvor verteilten Handzetteln. Nach Angaben des Veranstalters sind vergangenen Dienstag rund 300 Menschen zur Mahnwache “Freiheit statt Angst” in der Düsseldorfer Innenstadt zusammengekommen, die sich gegen die am 9.11. auf der Agenda des Bundestages stehende “Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung” richtet.
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Mit Grablichtern wurde ein Kreuz gestellt, um den Tod der Freiheit zu betrauern. Plakate zeigen den Staat, personifiziert durch Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, als “Spanner”, der den Deutschen unter den Rock schaut. Die Demonstration war Teil deutschlandweiter Aktionen des Aktionsbündnisses “vorratsdatenspeicherung.de”, die insgesamt nach eigenen Angaben rund zwölftausend Menschen mobilisierten.

Was genau ändert das neue Gesetz? Geplant ist, für Sicherheitsbehörden präventiv alle Telefon- und Internetverbindungen einschließlich E-Mails und besuchten Internetseiten sechs Monate lang zu speichern. Die Ausführung der Speicherung sollen die Anbieter übernehmen. Anlass für die Gesetzesänderung ist eine EU-Richtlinie, jedoch geht das Bundestags-Gesetz nach Angaben der Kritiker weit darüber hinaus.

Das Bündnis, das gegen die Gesetzesänderung protestierte, ist weit gefächert: Eine Friedensinitiative sieht die Datenspeicherung im Kontext der Auslandseinsätze der Bundeswehr als negatives Zeichen der Staatspolitik, die Antifa-KOK als Mittel der “herrschenden Klasse” zum Machterhalt und der Chaos Computer Club als weitere Utopie verblendeter  “inkompetenter Beamten”, die mit der Wirklichkeit von Informationstechnologie nichts zu tun hat und Symptom einer Ohnmächtigkeit gegenüber der modernen Kommunikation ist.

Doch aus den Reden der Überwachungsgegner lassen sich — abseits von Klassenkampfvokabular, Datenschutz-Spitzfindigkeit und Technikfreak-Analysen — auch Argumente finden, die wohl auch Befürworter nicht übersehen können. So gibt Frank Guthausen, der für den Chaos Computer Club und die Initiative “Stop 1984” spricht, einige Beispiele aus der Vergangenheit zu seiner Argumentation: Zum Beispiel wurde die Kontoabfrage, ursprünglich zur Terrorabwehr eingeführt, mittlerweile auch vielen staatlichen Behörden wie z. B. den Bafög-Ämtern zur Verfügung gestellt, wobei es viele Pannen bei der Protokollierung der Zugriffe gab. Großes Schreckgespenst der Überwachungsgegner ist eine Situation wie in den USA: Dort hat z. B. der Bankenverband SWIFT ein Rechenzentrum geschlossen, da er seinen Kunden die Überwachung nicht zumuten wollte, und für die Einreise müssen Fluganbieter Datensätze im zweistelligen Bereich pro Passagier mitteilen. Ironischerweise am Tag der Demonstration hatte EU-Kommisar Frattini auch in Europa eine Ausweitung bei Passagierdaten gefordert.

Die Demonstration hatte — wie die Beispiele zeigen — nicht allein die Vorratsdatenspeicherung zum Thema, sondern schnell waren Brücken auch zu biometrischem Reisepass, Videoüberwachung, §129a-Überwachung oder dem “Bundestrojaner” geschlagen. Auf einen weiteren Fall der kritischen Datenansammlung machte die “freie Ärzteschaft” aufmerksam: Durch die 2008 geplante Einführung der “elektronischen Gesundheitskarte” könnten sich nicht nur wie angestrebt die Kommunikationsmöglichkeiten zwischen Ärzten und Apothekern verbessern, sondern könnten die Krankheitsakten auch an Versicherungen oder Arbeitgeber geraten. Wie bei anderen elektronischen Großprojekte – z. B. der Mauteinführung – werde die
Machbarkeit zudem überschätzt, außerdem wäre ein Hacker-Angriff, der selbst auf das amerikanische Verteidigungsministerium einmal erfolgreich war, die intimen Daten von Millionen Menschen preisgeben.

Die Argumente der Kritiker ließen sich noch weiter ausführen: beispielsweise die Verstrickungen zwischen Politik und Firmen, die die Hardware liefern, oder die Pannen der Polizei bei Internetermittlungen. Viele Chancen rechnen sich die Gegner für die Abstimmung am 9.11. nicht aus, trotzdem geht ihr Kampf weiter: Wird das Gesetz beschlossen, liegen bereits tausende Unterschriften zur Sammel-Verfassungsklage bereit. Außerdem wurde in diesen Tagen eine Internet-Blockadeaktion gestartet,
die Webseiten einlädt, eine Todesanzeige für das “Fernmeldegeheimnis” zu starten. Abseits von E-Mail und Co. bleibt den Demonstranten ja noch ein Trost: “Mein Wunsch, mein Begehren kann niemand verwehren, es bleibet dabei: Die Gedanken sind frei!”

(Text: Sebastian Helwig)

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