„Wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich es ganz anders machen.“ So hört man die Leute häufig schimpfen besonders jetzt angesichts der schier unlösbaren Probleme der Europäischen Union. In Wien hat man jungen Europäern die Möglichkeit gegeben etwas zu ändern und auf ihre Weise die Probleme anzupacken. Die Model European Union Vienna 2016 bot hierfür den Rahmen und die Beteiligten hatten viel zu sagen.[divide]
Wieder einmal sind knapp 100 Teilnehmern aus über 24 Ländern dem Ruf gefolgt nach Wien zu kommen. Seit 2007 findet hier die traditionell die Model European Union Vienna kurz MEU Vienna statt. In dieser Simulation werden die Abläufe und Prozesse innerhalb der europäischen Union vermittelt. Dazu schlüpfen die Teilnehmer in verschiedene Rollen, die sie während der gesamten Simulation darstellen müssen. Von den Vertretern eines europäischen Föderalstaates hin bis zu Nationalisten und Europaskeptikern wird hier das aktuelle Bild im realen Europäischen Parlament und Europäischen Rat wiedergegeben.
Fraktionsvorsitzende vermitteln den Standpunkt ihrer Parteien während EU-Minister für die Interessen ihrer vertretenen Länder einstehen müssen. In Debatten und informellen Verhandlungen geht es dann heiß her. Anhand von authentischen aktuellen Gesetzesentwürfen innerhalb der EU versuchen die Teilnehmer als Vertreter ihrer Parteien oder Staaten zu überzeugen und Allianzen sowie Gegenbündnisse zu schmieden. Auch in diesem Jahr boten die Themen Dublin III und die Flüchtlingskrise sowie eine neue Raucherverordnung reichlich Potential für hitzige Diskussionen und rege Aktivitäten.
Model European Union Vienna: Order starts at the border
Kaum ein Thema beschäftigt die Öffentlichkeit derzeit mehr als die sogenannte „Flüchtlingskrise“. Wie umgehen mit dem Zustrom an Menschen, wie Lasten verteilen in einem Europa, das zunehmend von nationalen Interessen dominiert zu sein scheint? Daher stellt sich die schwierige Frage, wie kann das gescheiterte Dublin System repariert werden und klare Zuständigkeiten wieder hergestellt werden?
Genau dieser kniffeligen Aufgabe stellten sich Parlament und Rat der MEU Vienna 2016. Gleich zu Beginn formierte sich ein neues Bündnis aus rechten Fraktionen, die als Europe of Nation für eine starke Betonung der nationalen Interessen von Mitgliedsstaaten einstehen.
Insbesondere die östlichen Länder der Visegradgruppe versuchten dabei möglichst den Zustrom an Menschen von ihren Ländern fernzuhalten. Unter dem Slogan „Order starts at the border“ plädierten sie für starke Außengrenzen und dafür wieder klare Ordnungen an den Grenzen zu schaffen. Dies wurde von den Volksparteien unterstützt, indem diese sich für sogenannte Hotspots aussprachen an denen Asylbewerber direkt gesammelt werden. Bildungsprogramme und Aufklärung sowie offene Grenzen für alle Schutzsuchenden trafen jedoch auf wenig Gegenliebe von der rechten Seite des Parlaments. Immer wieder ging es darum wieder Ordnung herzustellen aber auch die Solidarität der Mitgliedsstaaten gegen nationale Interessen zu fördern.
Am Ende einer langen Debatte konnte man sich auf feste Quoten für die Mitgliedsstaaten, stärkere Außengrenzen sowie der Einrichtung von Hotspots zur Registratur und Bearbeitung von Asylanträgen einigen. Ein Kompromiss, der durchaus auch in der europäischen Union realistisch zustande kommen könnte ohne dies bewerten zu wollen.
Legalize it, viel heiße Luft um Rauch
Viel heiße Luft um Rauch wurde erzeugt in hitzigen Debatten über eine Verschärfung der Regulierung von Tabakprodukten. Im Vorschlag der EU-Kommission sollen so Mentholzigaretten verboten werden, E-Zigaretten streng kontrolliert werden und nicht zuletzt Menschen vom Rauchen abgehalten werden. Insbesondere für die Vertreter von Polen stand hier einiges auf dem Spiel. Als größter Tabakproduzent und Exporteur von Mentholzigaretten wurden so große wirtschaftliche Einbußen und der Verlust von Arbeitsplätzen befürchtet.
Während eine Mehrheit des Parlaments für strengern Gesundheitsschutz plädierte, standen die Vertreter Polens über die Parteigrenzen hinweg in fester Allianz mit der Fraktion Europe of Nations. Betonten die Abgeordneten mehrheitlich die positiven Folgen von Nichtrauchern für Gesundheitssystem und Staat war Polen stets anderer Meinung.
Zwar waren alle Vertreter für Polen Nichtraucher, doch mussten sie hier die Interessen ihres zugewiesenen Landes verteidigen. Es sei die Freiheit eines jeden einzelnen sich für oder gegen das Rauchen zu entscheiden. Rauchen sei ein Genuss und nicht zwingend schädlich wie der langjährige treue Kunde polnischer Zigaretten Helmut Schmidt beweise.
Aber auch skurrile Blüten trieb die Verhandlung über neue Tabakvorschriften. Marihuana sollte als zusätzliches Produkt in die Richtlinie aufgenommen werden und auf diese Weise legalisiert werden. So gründete sich aus Grünen, Liberalen und Kommunisten eine neue Fraktion namens GLE, die Green Liberals of Europe für dieses Ziel. Am Ende scheiterte jedoch die gesamte Richtlinie, da sich weder die Interessen von Marihuana noch Gesundheit noch Wirtschaft miteinander vereinbaren ließen.
Gemeinsam verschieden in einem Europa der Europäer/ Man spricht Europäisch
Vier Tage dauerte die Simulation in denen man sich als echter Akteur der europäischen Organe fühlen konnte. Es wurden Ammendments geschrieben, Ideen beworben und verworfen, Allianzen geschmiedet und Kompromisse gefunden. Hierzu muss man sich in eine Rolle hineinversetzt und lernt frei zu sprechen, andere zu überzeugen und öffentlich aufzutreten. Dies alles lädt dazu ein sich mit den Prozessen und Abläufen innerhalb der europäischen Union auseinanderzusetzen, mitzumachen und mitzudenken.
Jedoch steht nicht nur die zugewiesene Rolle im Vordergrund sondern etwas anderes. Bei über 100 Teilnehmern aus der gesamten Europäischen Union und darüber hinaus herrscht immer wieder ein babylonisches Sprachengewirr. Doch sei es bei einem Stadtrundgang unter dem wachsamen Blick des Steffels (Stephansdom) oder bei gemütlicher Runde beim Heurigen eines fällt auf. Zwar haben alle Beteiligten einen unterschiedlichen Hintergrund doch sprechen sie alle eine Sprache, die Sprache Europas.
Nicht nur das Verständnis für die Europäische Union wird hier vermittelt sondern ein Europa der Europäer geschaffen. Gemeinsam diskutieren, gemeinsam feiern und sich freuen steht im Mittelpunkt einer jeden Model European Union. Daraus ergeben sich häufig Kontakte über ganz Europa und viele treffen sich immer wieder auf den zahlreichen anderen Model European Unions in ganz Europa. Von Madrid bis Belgrad, von Stockholm bis Trient über den ganzen Kontinent finden solche Simulationen statt und laden zum mitmachen ein. Nicht nur Interesse soll simuliert werden sondern aktiv dazu angeregt werden sich einzubringen und das Europa mit zu gestalten in dem wir gerne leben wollen.
Aktuell steht die Europäische Union vor großen globalen Aufgaben und Herausforderungen. Die Krisen zeigen aber auch, dass nationalstaatliche Lösungen immer schwieriger werden. Bürger verschiedener Staaten, die sich noch vor knapp 70 Jahren in blutigen Gefechten und Feindschaften gegenüberstanden, können heute gemeinsam in Frieden und Sicherheit miteinander leben. Die Europäische Union ist sicher nicht perfekt. Es gibt noch viel Potential zur Diskussion und Verbesserung, doch wird einiges aus den derzeitigen Spannungen deutlich.
Was wir jetzt brauchen in diesen schwierigen Zeiten sind europäische Ideen in unseren Köpfen und der europäische Geist in unseren Herzen.