Wer an Europa denkt, denkt an den Euro, den wir für die Preiserhöhungen im täglichen Leben verantwortlich machen und der daran schuld ist, dass wir jetzt Griechenland retten müssen. Wer an Europa denkt, denkt an die Europäische Union, die sich mit dem Krümmungsgrad von Gurken beschäftigt und die nationalen Parlamente in ihrer Entscheidungsfreiheit beschränkt. Aber Europa ist mehr – und auch die beiden genannten Konsequenzen eines gemeinsamen Europas sind nicht nur schlecht.
Die europäische Gemeinschaft hat unser Leben in vielerlei Hinsicht erleichtert. Ich reise gern. Innerhalb Europas komme ich so schnell voran wie innerhalb Deutschlands. Ich bin binnen zweieinhalb Stunden von Bremen in Barcelona. Alles, was ich dafür brauche, ist mein Personalausweis. Ich muss kein Geld wechseln, wenn ich nach Rom reise, weil wir eine gemeinsame Währung haben.
Konzepte wie die von AirBerlin oder RyanAir gäbe es nicht, hätten wir andere Voraussetzungen fürs Reisen. Denn beide Unternehmen sind auf eine schnelle Abfertigung spezialisiert, ihr Angebot würde nicht funktionieren, müssten wir nach wie vor alle Schlange stehen, um von einem in ein anderes Land zu reisen. Damit gäbe es auch nicht die Möglichkeit, so schnell und so günstig ins Ausland zu reisen.
Und sowieso: Einige Deutsche kennen noch Zeiten, in denen Reisen grundsätzlich nicht erlaubt war. Ein gemeinsames Europa bedeutet, dass man sich in anderen Ländern aufhalten darf, ohne verfolgt zu werden, oder illegal einreisen zu müssen. Heutzutage vergisst man das in der Diskussion um ein gemeinsames Europa hin und wieder, denn wir können es uns gar nicht mehr vorstellen, in einem Land gefangen zu sein.
Dass wir in andere Länder reisen dürfen, heißt auch, dass sich die Länder miteinander verstehen – zumindest aber um einen gemeinsamen Konsens bemüht sind. Kein europäisches Land ist mit einem anderen verfeindet, wir leben seit 1945 ohne Krieg. Das wäre kaum möglich, gäbe es keine gemeinsamen Gesetze und Regeln, an die sich alle Länder hielten.
Ich freue mich, dass es ein Europäisches Parlament gibt, das nicht zulässt, dass ich in einem anderen Land für viel zu viel Geld mit dem Handy telefoniere. Ich freue mich, dass es ein Europäisches Parlament gibt, das einheitliche Regeln schafft, um das Leben in allen Ländern zu erleichtern. Ich freue mich, dass das Europäische Parlament Preisrichtlinien, Lebensmittelkennzeichnungen und Rechtmittel diskutiert – denn ein Land allein sieht mitunter die Folgen für andere Länder nicht. Deshalb ist Europa so wichtig.
Und ich freue mich, dass ich nach Österreich, Frankreich, Polen oder Belgien ziehen kann, um dort zu arbeiten, ohne bürokratische Hürden in den Weg gestellt zu bekommen. Gerade die junge Generation muss flexibel sein, und gegebenenfalls im Ausland arbeiten. Viele Universitäten und Arbeitgeber erwarten inzwischen sogar einen Auslandsaufenthalt.
Auch umgekehrt funktioniert das Prinzip. Deutschland hat einen Fachkräftemangel und ist auf ausländische Fachkräfte angewiesen. Durch die EU-Regelungen geht das schneller und einfacher, und schreckt weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer von vornherein ab.
Für meine Generation ist Europa die große Chance, sich international zu bilden und zu vernetzen. Alles ist ein wenig einfacher als es noch vor einem halben Jahrhundert war. Wir haben die Möglichkeit, fremde Kulturen kennenzulernen und die wahrscheinlich beste Chance bislang, das auch vor Ort zu tun. Nächste Woche bin ich weg. Drei Tage Stockholm. Geht jetzt. Einfach so. Danke Europa.
(Text: Miriam Keilbach / Foto: Wandersmann by pixelio.de)