DeutschlandPolitik

Mehr Transparenz!

Am 2. Juni 1967 wurde der Schah von Persien Mohammad Reza Pahlavi bei seinem Besuch in Berlin von Jubelpersern beschützt und begleitet, die später vor allem als „Prügelperser” bekannt wurden, weil sie Demonstranten in Berlin übel zusetzten. Wer jetzt dagegen die Bilder aus Stuttgart zur Demo gegen Stuttgart 21 sieht, dem springen auch prügelnde Polizisten ins Auge.
[divide]

Sicher, es gab in Stuttgart keinen Toten wie 1967 den Studenten Benno Ohnesorg. Aber die Gewalt, die sich im Schlossgarten derart zuspitzte und später eskalierte, weckt Erinnerungen an frühere Tage. Schlagstöcke, Wasserwerfer und Pfefferspray wurden massiv eingesetzt.

stuttgart21Die Stuttgarter galten bisher nicht unbedingt als die Revoluzzer vom Dienst, aber inzwischen gehen selbst hartgesottene CDU-Wähler, Rentner und zahlreiche Schüler auf die Barrikaden. Der Volkszorn richtet sich vor allem gegen die CDU, die immerhin seit nun mehr als 50 Jahren in Baden Württemberg regiert. Seit dem 30. September konzentriert sich die Wut aber vor allem auf zwei Akteure: Ministerpräsident Stefan Mappus und die Polizei.

Eskalation statt Deeskalation
Ende September sollten die ersten Bäume abgeholzt werden, das Großprojekt Stuttgart 21 begann zu laufen. Tausende Demonstranten wollten dies im Schlossgarten verhindern, ketteten sich an Bäume, betonierten sich ein oder skandierten Protestparolen. Ministerpräsident Mappus ließ dann die harte Linie durchziehen, was auch immer komme, das Gelände sollte geräumt werden.

Ein gekaperter und von Demonstranten  besetzter Polizeiwagen soll der Auslöser für das gewaltvolle Treiben gewesen sein. Danach wurde mehr Eskalation als Deeskalation betrieben – die Polizei und Mappus legitimieren das Vorgehen mit der aggressiven Grundstimmung. Demonstranten bestreiten dies, 12 000 sollen es gewesen sein. Von denen 1 000 Menschen Augenverletzungen erlitten haben sollen.

Dass in Stuttgart vor allem jene Polizeieinheiten am auffälligsten waren, die eigens aus Rheinland-Pfalz, Hessen, Bayern bestellt wurden, macht den Beigeschmack noch bitterer. Es hat den Anschein, als würde die Reise nach Stuttgart zur Prügeltour umfunktioniert. Der schwarze Block, der ansonsten Gewalt und Angst bei Demos streut, war hier nicht anwesend. Es fehlte also der ganz große Aggressor, und dennoch gab es diese Gewalt gegenüber den Demonstranten. Nicht auszumalen, was passiert wäre, wenn der schwarze Block sich unter die Demonstranten gemischt hätte.

Uneinigkeit in der Politik
Zur Wut über Stuttgart 21 hat sich vor allem der Zorn über die Polizei hinzugesellt. Derart viele prügelnde Polizisten hat man selbst bei den wenigsten Risiko-Fußballspielen und 2007 in Heiligendamm nicht gesehen. Es bleibt die Frage: Wann folgt die Kennzeichnungspflicht für Polizisten? Viele Ordnungshüter fühlen sich scheinbar anonym und sicher in der grünen Uniform, da zuckt der Schlagstock schon mal schneller. Dazu verlaufen die meisten Verfahren gegen auffällige Polizeieinsätze aufgrund der Anonymität im Sande, Aufklärung ist hier nur selten gegeben.

Die Linke hat einen entsprechenden Antrag nach den Protesten gestellt. „Ob Namensschilder oder einfache Nummern-Codes, darüber kann verhandelt werden”, so heißt es von Seiten der Partei. Wichtig sei vor allem eines: „Gesicht zeigen, täte der Staatsmacht gut.” Schon vor den Vorfällen aus Stuttgart stieß der Berliner Innensenator Ehrhart Körting (SPD) ins selbe Horn.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) reagierte prompt und lehnte solcherlei Pläne zumindest für seinen Bundesstaat ab. Man würde der Polizei damit das Vertrauen entziehen, die vorhandenen Kräfte sollten doch lieber in die Aufklärung der wahren Gewalttäter gesteckt werden.

Aufklärung? Fehlanzeige!
Aufklärung von Polizeigewalt ist in jüngster Vergangenheit stets über private Videoaufnahmen zurückzuführen. Bei der sogenannten „Freiheit statt Angst”-Demo vom 12. September 2009 wurde ein Mann im blauen Shirt gefilmt, der zunächst mit seinem Fahrrad dasteht und später von zwei Polzisten attackiert wird, ohne zuvor aggressives Verhalten gezeigt zu haben. Als der Mann Anzeige erstattet, reagiert die Polizei mit Gegenanzeige wegen Missachtung von Platzverweisen und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Dieser Fall läuft noch, man beklagt auf Seiten der Verteidigung schon die lange Dauer des Verfahrens. Immerhin sei ja alles per Video dokumentiert.

In einem anderen Fall, aber bei derselben Demonstration, wurde ein weiterer Vorfall durch ein Amateurvideo publik – die Plattform abermals YouTube! Zu sehen war ein unverhältnismäßiger Schlag in den Rücken eines Demonstranten, der jedoch keine Anzeige erstattete. Die Polizei aber ermittelte von Amts wegen und als der verdächtigte Polizist Erkan C. einen ersten Strafbefehl verweigerte, kam es zur Gerichtsverhandlung. Die Richterin verurteilte ihn zu 4800 Euro Geldstrafe wegen Körperverletzung im Amt.

Die Polizeistelle wie auch die Gewerkschaft der Polizei sehen das Urteil jeweils kritisch. Denn man dürfe vor allem nicht den Faktor Stress unterschlagen, dem die Polizisten bei solchen Demos ausgesetzt sind. Wie auch immer: Aufklärung erscheint hier als Lotteriespiel, denn YouTube-Videos sind meist die Basis. Wenn grade eine Amateurkamera in der Nähe ist, scheint Aufklärung möglich, doch darauf möchten sich die wenigsten verlassen.

Wer überwacht die Wächter?
Auch Amnesty International gab im Bericht von 2009 zur Polizeigewalt zu bedenken, dass fast 3000 Ermittlungen in Deutschland eingeleitet wurden, die wenigsten jedoch aufgeklärt wurden. Ein Beispiel aus früheren Tagen: Von 2006 bis 2008 resultierten aus über tausend Anzeigen von Opfern von Polizeigewalt nur 13 Verurteilungen. Amnesty International dokumentierte in einem Fall sogar, dass der belastete Polizist gegen sich selbst ermittelte. Hier wird ein weiteres Problem offenkundig.

Die Polizei ermittelt bei solchen Verfahren selbst, man kreiert sich seinen eigenen Mikrokosmos und leidet unter Befangenheit. Schon Juvenal fragte damals: „Quis custodiet ipsos custodes?” Wer überwacht die Wächter? Eine unabhängige Untersuchungsstelle wie es sie bereits in England, Norwegen oder Irland gibt, wäre der erste Schritt zu einer seriösen Aufklärung.

Neben Kennzeichnungspflicht und unabhängigen Untersuchungsstellen ist insbesondere der Dialog zwischen Demonstranten und Politik nicht zu verachten. Ein offenes Ohr, das Akzeptieren des Gegenübers und die Zwischenschaltung von halbwegs neutralen Vermittlern können einem Bruch und einer Eskalation der Gewalt vorbeugen. In Stuttgart vermittelt später Heiner Geißler, die Gewalt aber war schon Ende September längst eskaliert.

(Text: Jerome Kirschbaum / Foto: Jens Zehnder by pixelio.de)

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

Schreibe einen Kommentar