Die Wahl steht kurz bevor und seit Wochen mache auch ich mir Gedanken welcher Partei ich meine Stimme geben soll. Diese Wahl fällt mir nicht leicht und ich verstehe auch, dass sie vermutlich vielen von euch nicht leichtfällt. Ich persönlich schwanke nicht nur zwischen zwei Parteien, sondern zwischen vier. Trotzdem steht für mich fest, dass mein Kreuz am 24.9. auf keinen Fall bei der AfD landen wird – warum möchte ich euch kurz erklären.[divide]
Es gibt gute Gründe die AfD zu wählen, wirklich. Ich habe mich mit den Parteiprogrammen der Union, SPD, FDP, Linken, Piraten, Grünen und eben auch der AfD beschäftigt und ja, auch ich stimme in einigen Punkten der AfD zu.
Auch ich finde, dass Parteien keine Firmenspenden annehmen sollten (AfD Wahlprogramm S. 10), dass der Bundespräsident direkt durch das Volk gewählt werden sollte (S. 10), dass Mandatsbegrenzungen sinnvoll sein können und die Nebentätigkeiten für Abgeordnete stärker reguliert werden müssen um den Lobbyismus einzudämmen (S. 11). Ich lehne auch den Beitritt der Türkei zur EU ab (S. 19) und bin gegen Freihandelsabkommen wie CETA und TTIP (S. 21).
Das allein sind genug Gründe eine Partei zu wählen, wenn mir diese Punkte wichtig sind und ich auch ansonsten recht konform gehe mit dem was die Partei sagt. Zugegebenermaßen ist die AfD nicht die einzige Partei die einige der oben genannten Punkte fordert, aber ja, das können Gründe für eine Wahl der Alternativen sein.
Dass die AfD auch Volksabstimmungen nach dem Schweizer Modell einführen will (S. 8) und, dass es eine freie Listenwahl geben soll (S. 10) finde ich jetzt nicht gut, aber das ist mir ehrlich gesagt genauso wenig wichtig wie die mögliche freiwillige Speicherung meiner Patientenverfügung und meines Medikamentenplans auf meiner Gesundheitskarte (S. 62).
Was mir wichtig ist, ist, dass man Migranten bzw. Flüchtlinge nicht wie Müll behandelt, den man mittels einer „jährliche[n] Mindestabschiebequote“ (S. 29) „entsorgen“ kann (frei nach Gauland zitiert). Auch hier, scheinen die Meinungen bei einigen von euch jedoch auseinander zu gehen. Dass die Flüchtlingspolitik und die Herausforderung durch viele Asylbewerber verunsichernd sein kann, verstehe ich nur all zu gut. Allerdings entscheide ich meine Wahl nicht danach, welche Partei es schafft, dass es den Zuwanderern möglichst am schlechtesten geht, sondern welche Partei es schafft, dass es mir persönlich und uns als Gesellschaft im Ganzen möglichst am besten geht (ohne andere Menschen wie seelenlose Gegenstände zu behandeln, das sei hier noch deutlich angemerkt!).
Was tut die AfD also für mich? Für mich als Frau, will sie Frauenquoten abschaffen (S. 12), was man gut finden oder, gerade im Kontext der AfD eher argwöhnisch beachten muss, aber mehr zu Geschlechtern später. Für mich als Mensch, will sie ermöglichen, dass man leichter an einen Waffenschein kommt um Waffen führen zu dürfen (S. 25), damit ich in einem deutschen Amerika aufwache in dem Waffen auf keinen Fall dazu beitragen, dass Menschen sicherer sind, sondern nur dazu, dass sie sich gegenseitig öfter verletzen. Auch die Verschärfung eines Gesetzes für „gefährliche Körperverletzung mittels eines gefährlichen Werkzeugs“ (wie z.B. Messer) bringt mir da im Nachhinein nicht mehr Sicherheit (S. 25).
Für mich als Europäer will die AfD raus aus dem Euro, raus aus der EU (S. 14f), will die Grenzen dichtmachen (S. 20) aber dabei den freien Personen- und Güterverkehr bewahren (auch S. 20). (Man fragt sich nicht zu Unrecht, wie beides gemeinsam funktionieren soll, aber das nur am Rande.) Ich bezahle gerne im EU-Ausland ohne Geld wechseln zu müssen, ich liebe es mein Handy in der EU einfach so ohne Mehrkosten nutzen zu dürfen (dank EU-Roaming), ich liebe es ohne Grenzkontrollen und stundenlangen Wartereien einfach im großen EU-Raum frei hin und her reisen zu können. Ich liebe es, dass ich mit meinem deutschen Bachelor an neun britischen Universitäten angenommen wurde um dort mein Masterstudium absolvieren zu können und dabei genauso viel zahlen muss wie Staatsangehörige (dass das in GB immer noch enorm viel Geld ist und ich mir das nicht leisten konnte, sei mal dahingestellt). Ich liebe es, dass ich mich für europäische Förderprogramme (ERASMUS (+)) bewerben kann, wenn ich einen universitären Auslandsaufenthalt oder ein Praktikum plane und mir das im Regelfall IMMER gewährt wird. Das ist bares Geld.
Die AfD möchte das verhindern, die AfD möchte raus aus dem Euro, rein in starre Grenzen und meinen freien Kopf, meinen Drang zu reisen einschränken und mir die Möglichkeiten erschweren viele junge europäische Leute kennenzulernen, die sich wie ich als Europäer fühlen und mit denen wir so viel gemeinsam haben (und uns trotzdem unterscheiden und voneinander lernen dürfen). Ich habe Lust ein Europa aufzubauen, ich will meinen Beitrag dazu leisten, arbeiten, vernetzen und Kultur leben. Ich will mich nicht in meinem Deutschland verkriechen und hoffen, dass hier immer heile Welt bleibt obwohl es vielen anderen unserer Nachbarn schlechter geht.
Die AfD will zurück vom Bachelor- und Mastersystem hin zu Diplom und Magister (S. 44). Dass die Bolognareform ihre Probleme hat und das Studium dadurch schulischer geworden ist finde ich auch, dass deshalb international anerkannte und vergleichbare Bildungsabschlüsse wieder abgeschafft werden müssen finde ich nicht. Eine Überarbeitung muss her, aber ein Schritt zurück wäre definitiv ein Schritt in die falsche einschränkende Richtung, weg von Internationalität und Globalisierung.
Die AfD leugnet irgendwie die Klimaerwärmung und will raus aus dem Pariser Klimaabkommen (S. 65). Kommt euch bekannt vor? Yes, Trump lässt grüßen. Dazu fällt mir gar nicht so viel ein außer, dass es angesichts sehr anschaulicher Bilder von schmelzenden Gletschern, angesichts meiner persönlichen Erfahrungen (des immer weniger werdenden Schnees auch hier in Deutschland!) und angesichts zahlreicher wissenschaftlicher Studien (!) einfach nur lächerlich ist zu leugnen was hier vor sich geht. Tut mir leid, dafür finde ich keine anderen Worte.
In diesem Zusammenhang will die AfD übrigens auch die Förderung für erneuerbare Energien zurückfahren (S. 54) und dafür wieder auf Kernkraftwerke setzen (S. 66). Die sollen schließlich so lange genutzt werden wie es ihre „technische Nutzungsdauer“ vorsieht (S. 66). Ja doch, auch das scheint mir sehr klug, beachte man doch, dass sich gerade erst die Aachener unglaublich über ihre kostenlosen Jodtabletten gefreut haben, die man vorsorglich möglicher Unfälle in belgischen Kernkraftwerken mal fix verteilt hat (Quelle: Zeit Online: Jodtabletten für alle Aachener 31.8.17). Auch das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit schreibt: „Hochdosierte Jodtabletten […] verhindern, wenn sie zur rechten Zeit eingenommen werden, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse ansammelt. Tritt bei einem schweren Unfall in einem Kernkraftwerk radioaktives Jod in die Umwelt aus, erhält die Bevölkerung im betroffenen Gebiet kostenlos Jodtabletten von den Behörden. Beruhigend zu wissen: Es werden in Deutschland genügend Jodtabletten bereitgehalten“ (BMUB unter https://www.jodblockade.de/jodtabletten/).
Na dann! Also ab zurück zur super Kernenergie und kostenlose Jodtabletten für alle – win win oder? Nein. Zum Glück sind wir diesen Dreck bald los und wem das an Kritik nicht reicht, das betroffene (Aachener gefährdende) Werk in Tihange (Belgien) hat bei Google auch nur eine Bewertung mit 1.5 Sternen (447 Berichte), sowas will man doch nicht, oder? Auch wenn diese Werke theoretisch noch 100 Jahre laufen können (warum ist diese technische Nutzungsdauer bei meinen Endgeräten eigentlich immer nur die garantiegedeckten zwei Jahre?) sollten sie trotzdem so schnell wie möglich abgeschaltet werden, europaweit.
Nun zu den Geschlechtern, die eingangs schon kurz erwähnt wurden, ja die AfD steht für die klassische Familie – Mann, Frau, wenn möglich mehrere Kinder. Die AfD findet, dass „Gender-Ideologie [] naturgegebene Unterschiede zwischen den Geschlechtern [marginalisiert]“ (S. 40). Joa, Frauen haben eine Vagina und Männer einen Penis, das meinen sie wohl mit den „naturgegebenen Unterschieden“ (dass das auch nicht immer zutreffen muss, kann man sich denken aber gut, der Großteil der Menschen kommt wohl so auf die Welt). Und jetzt? Findet die AfD, „Die Gender-Ideologie widerspricht sowohl den wissenschaftlichen Erkenntnissen der Biologie und der Entwicklungspsychologie als auch der lebenspraktischen Alltagserfahrung vieler Generationen“ (S. 40). Naja gut, die Biologie lehrt uns wohl, dass nur aus Mann und Frau auch ein Kind werden kann (dass auch das nicht immer zutreffen muss, kann man sich ebenfalls denken).
Was genau mit der Entwicklungspsychologie und den lebenspraktischen Alltagserfahrungen vieler Generationen gemeint ist, kann ich ehrlich gesagt nur erahnen, aber mutmaßen wollte ich hier nicht. Deshalb nur so viel: Ja es gibt Männer und Frauen, aber es gibt eben auch Männer die sich wie Frauen fühlen, Frauen die sich wie Männer fühlen, Leute die sich wie gar nichts von beiden fühlen, Männer die Männer lieben, Frauen die Frauen lieben und Leute die niemanden oder nur sich selbst lieben. Ich bin der klaren Überzeugung, dass jede Form des Geschlechts, der Identität, der Liebe, etc. GANZ NORMAL ist! Ich finde das tatsächlich lebenspraktisch und alltagstauglich und ich wünsche mir nichts mehr, als dass auch mein Sohn in einer Welt aufwächst in der er weiß, dass er immer verstanden wird, egal wie er sich oder zu wem er sich hingezogen fühlt.
Ich möchte auch anmerken, dass es der AfD in diesem Absatz keinesfalls um die gleichgeschlechtliche Ehe, um Adoptionsrechte von gleichgeschlechtlichen Paaren, etc. geht. Nein, sie schreiben ganz klar, dass unsere Kinder nicht das Recht haben vielfältige Sexualpädagogien gelehrt zu bekommen (S. 41), sie möchte, dass Gender-Forschung abgeschafft wird und es keine Gleichstellungsbeauftragten mehr an Universitäten gibt (S. 41). Die Gründe? „Die ‚Gender-Forschung‘ ist keine seriöse Wissenschaft, sondern folgt der ideologischen Vorgabe, dass das natürliche Geschlecht (Sex) und das soziale Geschlecht (Gender) voneinander völlig unabhängig seien. Ziel ist letztlich die Abschaffung der natürlichen Geschlechterpolarität“ (S. 41).
Ja herzlich willkommen im 21. Jahrhundert liebe AfD. Es gibt nun mal Menschen die keine Lust auf euer „Vater-Mutter-Kind-Modell“ haben und es auch gar nicht leben können. Weil ihre sexuelle Neigung nun mal eine andere ist. IST DAS SO SCHWER ZU BEGREIFEN HAB ICH GEFRAGT? Nein, mal ernsthaft. Man kann Homo- oder Transsexualität leugnen und sich in seiner kleinen grauen konservativen Welt vergraben, oder aber man gesteht allen MENSCHEN ein, den zu lieben und so zu sein, wie sie möchten. Mich persönlich schränkt es in meiner Freiheit jedenfalls nicht ein, wenn jemand ein anderes Modell lebt und deshalb gilt auch hier meine Stimme ganz klar gegen die Meinung der AfD!
Wenn wir schon bei Selbstbestimmung sind, möchte die AfD auch das Recht auf Abtreibung abschaffen, oder wie sie es formuliert: „Wir lehnen alle Bestrebungen ab, die Tötung Ungeborener zu einem Menschenrecht zu erklären“ (S. 39). Ja auch hier erinnert man sich wieder an Trump und das berühmte Bild, als er mit einer Reihe von Männern im Rücken unterschreibt, dass Frauen gefälligst nicht selbst bestimmen dürfen, ob sie eine Schwangerschaft fortführen und ein Kind bekommen möchten. Man kann dazu auch verschiedener Meinung sein, wann Leben anfängt, wann es zu schützen ist, was vielleicht noch meine Religion dazu sagt, etc.
Aber wir müssen hier bitte aufpassen – Frauen werden schwanger, Frauen müssen im Regelfall zehn Monate schwanger sein und am Ende ein Kind (oder mehrere) auf die Welt bringen. Warum dürfen Frauen dann bitte nicht unabhängig von anderen darüber entscheiden, ob sie das möchten? Ich jedenfalls traue uns Frauen durchaus zu diese Entscheidung zu treffen und egal was jemand denkt, glaubt mir die wenigsten von uns werden vergessen, dass da ein kleiner Mensch in uns heranwächst. Ich möchte hingegen NICHT, dass das jemand anderes für mich entscheidet. Bitte. Danke.
Ich könnte diesen Schrieb sicher noch länger fortsetzen, könnte mich nicht nur auf das Wahlprogramm sondern auch auf die Auftritte der AfD-Kandidaten beziehen und hier in Frage stellen, ob Menschen entsorgt werden oder doch lieber gleich an der Grenze erschossen werden sollen (Achtung: Ironie). Ich könnte hier anführen, dass wir in Deutschland vor nicht allzu langer Zeit einen Österreicher hatten, der Mitglied einer Partei war, von der ich mich im Geschichtsunterricht immer fragte WIE ZUM TEUFEL SIE GEWÄHLT WERDEN KONNTE. Diese Partei und dieser Österreicher waren keine Guten, nur am Rande. Aber AfD-Hitler Vergleiche haben einen Bart (und keinen schönen – okay sorry der musste noch sein).
Trotzdem zum Abschluss: Fragt euch bei eurer Wahl doch auch wie ich, was die Partei für euch und uns als Gesellschaft tun möchte. Welche Einstellungen sie hat und was für Leute da zur Wahl stehen (ja auch über den sehr rechten Flügel der AfD muss geredet werden). Und bitte fragt euch nicht nur, was die Partei macht damit es einer Gruppe von Menschen bestimmter Herkunft, möglichst am schlechtesten geht.
Danke und unabhängig davon – GEHT BITTE WÄHLEN! 24. September!