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Grenzschutz in Zeiten der europäischen Integration

Einen elementaren Bestandteil der Europäischen Integration, die mit dem Vertrag von Maastricht vor 20 Jahren weiter forciert wurde, stellt eine gemeinsame Grenzpolitik dar. Mit den Auseinandersetzungen im arabischen Raum wurde diese Tatsache wieder einmal in den medialen Fokus gerückt – auf für alle Beteiligten unangenehme Weise.


Mit dem Abschluss des Vertrags von Maastricht wurde die Europäische Union im Februar 1992 als übergeordneter Verbund für die Europäischen Gemeinschaften gegründet. Innerhalb der folgenden Jahre sollte auf der Basis des Vertrags eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, sowie eine Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres entwickelt werden. Einen zentralen Pfeiler dieser Zusammenarbeit stellt dabei eine gemeinsame Grenzpolitik der einzelnen EU-Staaten dar.

Mit dem schrittweisen Wegfall der EU-Binnengrenzen bis 2007, durch das 1997 in EU-Recht überführte Schengener Abkommen, gewann dieser Aspekt noch einmal zusätzliche Bedeutung. Schließlich wurde im Oktober 2004 durch eine Verordnung des europäischen Rates die “Europäische Agentur für Zusammenarbeit an den Außengrenzen”, kurz Frontex gegründet.
Frontex stellt den zentralen Baustein einer gemeinsamen Grenzsicherung, oder wie es im sicherheitspolitischen Diskurs heißt, eines “integrated border management” dar. Hinter dem unschlagbar technokratischen Begriff verbirgt sich die anvisierte gemeinsame Sicherung der EU-Grenzen an Land, auf dem Mittelmeer und an Flughäfen.

Die Agentur Frontex, mit Sitz in Warschau, erstellt seit nunmehr 2005 Sicherheitsanalysen für die einzelnen EU-Grenzen, koordiniert die Arbeit der einzelnen Staaten und unterstützt sie bei der Ausbildung von Grenzbeamten. Schließlich ist sie auch noch an der Organisation sogenannter “Rückführungsorganisationen”, also Massenabschiebungen, beteiligt.

Frontex, die EU und ihre Diktatoren
Die grundlegende Vorgehensweise von Frontex und den EU-Staaten bei der Grenzsicherung besteht dabei darin, die Herkunftsländer selbst zur Überwachung ihrer Grenzen und der Rücknahme von Flüchtlingen auf Basis bilateraler Abkommen zu verpflichten.
Inwiefern die jeweiligen Länder die Rechte der Menschen, die sie wieder aufnehmen sollen, achten, spielt dabei eine eher untergeordnete Rolle. So wurden Gaddafi und Co. mit einem Schulterzucken dafür, dass sie ihre unterdrückten Bevölkerungen im Land hielten, mit Personal und Überwachungstechnik versorgt.

Im Zuge des arabischen Frühlings gerieten die bilateralen Abkommen nun natürlich in Gefahr. So löste die Bedrohung der lokalen Despoten neben den pflichtschuldigen Verurteilungen der Gewalt auch hier zu Lande vor allem eine Sorge aus: Nämlich, dass die betroffenen Länder ihrer Verpflichtung auf eine Abwehr der Flüchtlinge gen Festung Europa nicht mehr nachkommen würden. Und tatsächlich ist nach Ausbruch der Revolutionen die Zahl der Flüchtlinge auf dem Mittelmeerweg auf eine Rekordzahl gestiegen.

Verloren auf hoher See
Bei der Flucht kam es, wie schon in den Jahren zuvor, zu diversen menschlichen Tragödien. So werden in einer Fotostrecke des Human Rights Watch verschiedene Menschen, die im letzten Jahr in Lager im tunesischen Grenzgebiet kamen, vorgestellt. Darunter ist unter anderem John Osas, der mit seinen Kindern auf dem libyschen Flüchtlingsboot war, welches am 1. Juli 2011 vor der tunesischen Küste mit 570 Passagieren kenterte. Ungefähr 200 Menschen, darunter zwei seiner Freunde, kamen bei dem Unglück ums Leben. Die ebenfalls vorgestellte 22-jährige Alima Mohamed verlor an jenem Tag ihren Ehemann.

Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen schätzt die Zahl der Toten auf dem Mittelmeer im Jahr 2011 auf circa 1500. Das sind mehr als doppelt so viele, wie jemals zuvor in einem Jahr. Dabei ist die Zahl vermutlich noch stark untertrieben, da viele wohl nie registriert werden. Die NGO Fortress Europe, die seit 1989 die durch Zeitungsartikel dokumentierten Toten an Europas Grenzen zusammenzählt, registrierte im Zeitraum zwischen 1988 und 2009 mindestens 14.687 Tote; davon alleine 6.279 im Mittelmeerraum.

Frontex im Kreuzfeuer der Kritik
Angesichts solcher Zahlen ist es kein Wunder, dass Frontex sich des Öfteren im medialen Kreuzfeuer wiederfindet. Das beliebteste von der Agentur vorgebrachte Argument ist, man verhindere schließlich mit der eigenen Arbeit weitere Tote, indem man die Boote durch den Abschluss der bilateralen Abkommen gar nicht erst zum Ablegen kommen lasse. Dabei sorgen jedoch gerade die in den Herkunftsländern errichteten Grenzzäune und die Überwachungstechnik dafür, dass die Flüchtlinge immer längere und damit auch gefährliche Routen auf sich nehmen müssen.

Organisationen wie Pro Asyl berichten des Weiteren regelmäßig von eklatanten Verletzungen des Seerechtes und der Genfer Flüchtlingskonventionen. So prüfen die Beamten auf See vor der Abschiebung nicht, ob sich unter den Flüchtlingen auch solche mit Recht auf Asyl befinden.
Damit konfrontiert, verweist Frontex stets darauf, man selber sei lediglich für Planungen und Koordination der Aktionen zuständig; die letztendliche Verantwortung liege bei den Grenzschützern des jeweiligen Staates. Das Problem, das sich dadurch offenbart ist, dass die Verantwortlichkeiten zwischen Einzelstaaten und Frontex äußerst ungenau definiert sind. Das erlaubt es den einzelnen Akteuren immer wieder, sich gegenseitig die Verantwortung in die Schuhe zu schieben.

Neben dieser sich auf existierende Gesetze berufenden Kritik muss es allerdings vor allem darum gehen, die Ursachen der Migration im globalen Kontext zu analysieren. So fliehen die meisten der Migranten, die nach bestehendem Gesetzen kein Recht auf Asyl haben, vor allem wegen der menschenunwürdigen Lebensperspektiven in den Herkunftsstaaten, die wiederrum zu nicht unerheblichen Maß Folge der postkolonialen Abhängigkeiten zwischen Europa und Afrika sind.

Die EU wäre gut beraten, diese Abhängigkeiten zu analysieren und Impulse für ein gerechteres Wirtschaftssystem, welches die ungleichen Ausgangspositionen überwindet, zu geben. Statt dessen aber verfolgt sie weiter eine diskriminierende, menschenverachtende Praxis, bei der hochqualifizierte Fachkräfte gezielt angeworben werden, während all die Opfer der Ausbeutung des afrikanischen Kontinents dem europäischen Raum vom Hals gehalten werden. Schließlich ist man nur solange für freie Märkte, wie darunter nicht auch freie Arbeitsmärkte für die Opfer der Globalisierung unter neoliberalem Vorzeichen verstanden werden.

Ein erfolgreiches Unternehmen?
Frontex sieht all das natürlich gänzlich anders. So zog Ilkka Laitinen, der Exekutivdirektor von Frontex, jüngst gegenüber Fluter, dem Magazin der Bundeszentrale für politische Bildung, ein ausgesprochen rosiges Fazit der Arbeit der letzten Jahre: “Ein sehr erfolgreiches Unternehmen, wir haben die illegale Migration um 76 Prozent zurückgedrängt”.

Es wundert unter diesen Umständen nicht, dass am 13. September 2011 vom EU-Parlament sogar noch erweiterte Befugnisse für Frontex beschlossen wurden. Die Agentur soll mehr Geld und mehr Personal erhalten und nun auch eigene Grenzschützer anfordern dürfen. Hinzu kommen eigene Hubschrauber und Fahrzeuge.
All das klingt kaum nach einem Umdenken, weg von einer Bekämpfung der Opfer der wachsenden globalen Ungleichheiten, hin zu einer Analyse derer

(Text: Conrad)

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