Gedenkfeiern, Zeitungen, Fernsehsendungen, Kinofilme – aus den Medien ist das Thema Weltkrieg nicht wegzudenken. Während alle davon sprechen, gibt es kaum Zeitzeugen mehr. Kommt einem da nicht der Wunsch auf, das, von dem alle sprechen, tatsächlich einmal zu erleben?
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Wenn ich eine der zahlreichen Kriegsdokumentationen im Fernsehen anschaue, berühren mich die Bilder sehr. Viele sind originale schwarz-weiße Filmaufnahmen, die aufklären, schockieren, das globale Leid realistisch demonstrieren, das ganze Desaster offenbaren, damit man dann mit dem Finger auf die Schuldigen zeigen kann.
Der Opfern wird gedacht, jede Gedenkfeier widmet sich einer jeweiligen Schlacht. In England wird sogar ein Minister einberufen, der speziell für diese teuren Zeremonien zuständig ist. Amtliche Feiertage sind entstanden, im Geschichtsunterricht sind die Weltkriege Pflichtprogramm.
Dennoch habe ich manchmal das Gefühl, dass all das, so intensiv es auch ist, so schnell aus meinem Kopf hinaus gefiltert wird, wie ich es aufgenommen habe. Denn ich kann mich nach wie vor nicht genug mit dieser Zeit identifizieren. Diese Quellen sind für mich nur aus zweiter Hand und ermöglichen es mir nicht, tatsächlich so zu fühlen, zu sehen und zu handeln, wie es in den Kriegen getan wurde. Und Zeitzeugen, die einem das vielleicht so annähernd übermitteln hätten können, sind nur noch eine Nadel im Heuhaufen, die schließlich irgendwann gar nicht mehr gefunden werden kann.
Wird dem Krieg nicht genug gedacht?
Die verstreichende Zeit löst die Verbindungen zwischen den Weltkriegen und dem Menschen vielleicht mehr und mehr auf, da irgendwann keine Erinnerungen mehr daran vorhanden sind. Doch dem Krieg wird weiterhin gedacht. Für viele Menschen bleibt es weiterhin eine wichtige Tradition. Es kann sich aber auch zu einem Ritual entwickeln, das nur noch in seiner stattfindenden Regelmäßigkeit besteht, jedoch nicht in seinem Wesen selbst.
Bereits heute gibt es Menschen, die sich auf den Feiertag freuen, damit sie nicht arbeiten müssen, doch der Hintergrund ist ihnen unbekannt oder gleichgültig. An den Zeremonien nehmen sie nicht teil, vielmehr an einem ausgewogenen Feiertagsfrühstück.
Für eine bessere Identifizierung
Zum einen die große Reizüberflutung der Medien trotz schwindender Zeitzeugnisse, zum anderen das wachsende Desinteresse an historischen Ereignissen – das sind zwei Gründe dafür, weshlab ich einmal den Krieg in 24 Stunden selbst mit erleben wollen würde, damit das Bewusstsein nicht aus dem Ruder läuft.
Ich möchte gerne hautnah erfahren, wie es an der Front war. Dies soll keine Kriegsverherrlichung sein, sondern vielmehr eine Möglichkeit, mich einmal in die Lage der Soldaten und Zivilisten hineinzuversetzen, auch wenn es teilweise schrecklich klingt.
Ein Soldatenleben im Schnelldurchlauf
Wie würde ein solcher Tag beginnen? Vielleicht wache ich morgens auf in einem Schützengraben wie in Verdun, Sedan oder Warschau. Um mich herum höre ich den Donner der Bomben und Kanonen. Chaos und Staub bedecken das Schlachtfeld. Rennende Soldaten versuchen den Panzerschüssen zu entkommen, schießen auf sie, doch vergeblich.
Ich drehe mich um und schaue in tote Gesichter von gestern noch lachenden Kameraden. Einige andere schreien vor Schmerzen. Ich sehe ihre großen Wunden. Mein Gewehr in der Hand zittert. Ich richte mich auf und drücke den Abzug. Die Wucht verpasst mir immer einen kleinen Stoß nach hinten. Aber das ist normal.
Gegen Mittag ändert der Kommandeur die Strategie. Einige Soldaten werden in das Hauptquartier gerufen, um sich anders zu positionieren oder weitere Befehle entgegenzunehmen. Ich gehöre dazu. Während ich hinaus in die Schlacht ziehe, erkenne ich in vielen Gesichtern diese gewisse Aggressivität. Sie wollen um jeden Preis den Gegner besiegen, für ihr Vaterland kämpfen. Bis zur Abenddämmerung.
Die Sinnlosigkeit miterleben
Ob 1918 oder 1945, die Ideologie der Streitmächte und die Technik mögen zwar unterschiedlich gewesen sein, doch die Prinzipien waren dieselben: Macht, Verteidigung des Vaterlandes, Überlegenheit. Und nur die wenigsten fragten sich: Warum bin ich überhaupt hier?
Spätestens beim Leichenaufsammeln und den Vorbereitungen der Massengräber hätte man sich eigentlich fragen sollen: Wozu diese ganze Sinnlosigkeit? Für was töte ich überhaupt? Ist das Vaterland das Sterben wirklich wert? Doch selbst, wenn man darüber nachdenkt, am nächsten Tag geht es wieder so weiter und alle Hoffnung auf ein Ende wird zerrissen. Was würde ich tun?
Fragen, auf die es keine Antworten gibt
Wie wären meine Gedanken an einem solchen Tag? Hätte ich Angst? Wenn ja, wie groß wäre sie? Oder empfände ich einfach nur Hass für den Gegner und möchte ihn so schnell wie möglich ausschalten? Würde ich fliehen oder als Verräter zum Gegner wechseln? Dies kann ich alles nicht sagen. Die Antworten darauf sind allerdings auch nicht wichtig.
Es geht nur um 24 Stunden in einem Weltkrieg. Mehr wäre zu viel. Ich möchte nur ein einziges Mal bewusst mitfühlen und mitsprechen können, wenn ich Kriegsbilder in den Geschichtsbüchern sehe. Ich möchte einmal die wahre Geschichte kennen, die das „Grabmal des unbekannten Soldaten“ verbirgt.
(Text: Tom Pascheka, Foto: Patrick Janke und Lili Seidl by jugendfotos.de)