Das braune Erbe
Wunsiedel – Ein Blick auf neonationalistische Tendenzen in Deutschland
AlljĂ€hrlich finden in Wunsiedel GedenkmĂ€rsche fĂŒr den verstorbenen Stellvertreter von Hitler statt. Jetzt wurde sein Grab aufgelöst, doch die Rechtsradikalen bleiben. Ein Ăberblick.
Der 21. Juli 2011 war ein schwarzer Tag fĂŒr das rechtsradikale Lager in Deutschland – aber auch ein schwarzer Tag fĂŒr Wunsiedel.
Die Stadt mit knapp 9500 Einwohnern ist seit Jahren immer wieder Schauplatz von Neonazi-AufmÀrschen gewesen. Am 21. Juli sollte das ein Ende haben. Denn nach rund 24 Jahren wurde das Grab von Rudolf Heà aufgelöst.
Die UrsprĂŒnge gehen auf das Jahr 1933 zurĂŒck – damals ernannte Aldolf Hitler Rudolf HeĂ zu seinem Stellvertreter. HeĂ war öffentlich ein fanatischer Vertreter des FĂŒhrerkultes, was ihn wohl auch zur Symbolfigur der zeitgenössischen neonationalsozialistischen Szene macht. Sein Todestag, der 17. August, war zum Ărger der Anwohner alljĂ€hrlich Anlass fĂŒr Hunderte bis Tausende Rechtsradikale, ihm in Wunsiedel zu gedenken.
In der Presse werden die Beteiligten oft als âRechtsextreme“ bezeichnet. Diese Begrifflichkeit birgt TĂŒcken. Denn Rechtsextremismus ist ein Sammelbegriff, der in verschiedenen LĂ€ndern unterschiedlich gehandhabt wird. In Deutschland befasst sich das Bundesamt fĂŒr Verfassung mit Extremismus. So wird beispielsweise eine aktive Verfassungsfeindschaft strafrechtlich sanktioniert. Als pluralistische Gesellschaft billigt der Staat hingegen in EinschrĂ€nkungen Formen von Radikalismus. Das heiĂt: auch rechte Positionen gelten als legitime Kritik und Abbild einer Facette der Gesellschaft.
Aus diesem Grund konnte der erste âRudolf-HeĂ-Gedenkmarsch“ 1988 nach erstem Verbot dann doch anwaltlich durchgesetzt werden. Der Mitorganisator Michael KĂŒhnen formulierte bei der Veranstaltung mit rund 120 Alt- und Neonazis die PrĂ€misse, Wunsiedel nie zur Ruhe kommen zu lassen.
Zwtl. âMĂ€rtyrer sterben nie“
Die Stadt empfindet die Kundgebungen als Affront. Rudolf HeĂ selbst hat nie in Wunsiedel gelebt. Geboren ist er 1894 in Alexandria in Ăgypten; gestorben 1987 in Spandau. Seine böhmischen Ahnen stammten aus Oberfranken. Vor seinem Tod hatte er den Wunsch geĂ€uĂert, im evangelischen Familiengrab seiner Eltern bestattet zu werden. Die Gemeinde entsprach diesem Wunsch unter der Berufung auf die christliche Werteordnung.
Genau diese evangelische Gemeinde hat nun den Pachtvertrag fĂŒr die Grabstelle nicht verlĂ€ngert. Auch in der rechten Szene gibt es verschiedene Positionen und Splittergruppen. Ein Ereignis oder Gedenktag wirkt hier bedeutungsstiftend. Er bringt verschiedene Lager zusammen. Auch international sorgten die GedenkmĂ€rsche fĂŒr Einheit zwischen zerstrittenen Parteien. Das fĂŒhrte dazu, dass 1990 bereits etwa 1600 Neonazis an den MĂ€rschen teilnahmen.
Auch Antifa und Autonome mobilisierten gegen den âbraunen Mob“. Es kam zu heftigen StraĂenschlachten. Im Folgejahr wurde die Veranstaltung verboten. Trotzdem gab es Protestveranstaltungen in anderen deutschen StĂ€dten. Die Polizei versuchte die AufmĂ€rsche zum Todestag zu unterbinden. Deshalb wich die Szene in den 1990er Jahren in das angrenzende europĂ€ische Ausland aus. Die polizeiliche Repression gegen die HeĂ-MĂ€rsche hatte 1997 zum zehnten Todestag ihren Höhepunkt.
Bis zum Jahr 2000 verloren die MĂ€rsche mehr und mehr an PopularitĂ€t. Einer der ursprĂŒnglichen Veranstalter, JĂŒrgen Rieger, meldete den Gedenkmarsch 2001 bis einschlieĂlich 2010 wieder in Wunsiedel an und in einem Berufungsverfahren in zweiter Instanz vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof wurde er schlieĂlich genehmigt. 2004 gab es einen Besucherrekord: Es standen sich 5000 Neonazis und 1300 Gegendemonstranten gegenĂŒber.
Seit 2005 wurde die Kundgebung wiederum verboten. Durch alle Gerichtsinstanzen wurde in dem Marsch eine Störung des âöffentlichen Friedens in einer die WĂŒrde der Opfer verletzenden Weise“ gesehen, die âdie nationalsozialistische Gewalt- und WillkĂŒrherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt“, so die richterliche BegrĂŒndung.
Das Problem einer extremen Gruppierung ist, dass die als rechtsextrem Eingestuften sich selbst als Teil der Mitte der Gesellschaft wahrnehmen. Sie fĂŒhlen sich als Randgruppe bedrĂ€ngt und versuchen, sich zu wehren. Untereinander und in der Ăffentlichkeit benutzt man andere Begriffe. Man sieht sich als konservativ, rechtskonservativ oder national.
Ein Wording, dem sich gerade die NPD gerne bedient. Auch der Rechtsradikale ist Teil der Gesellschaft. Somit hat er grundsĂ€tzlich auch das Recht, Kundgebungen zu veranstalten. Das bloĂe Gedenken an einen Verstorbenen ist nicht Gleichzusetzen mit Verfassungsfeindlichkeit. So lautet zumindest die Theorie.
Durch eine Stigmatisierung und Verallgemeinerung macht man sich es bei dieser hochkomplexen Thematik also zu einfach. Ganz im Gegensatz zur eigentlichen Intention festigt man durch eher stumpfen Populismus noch den Zusammenhalt und das Selbst- und Weltbild der Rechtsradikalen.
(Text: Lea Kramer)
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