Der Bundestag hat die Verschärfung des Asylrecht mit deutlicher Mehrheit beschlossen. Dieses Maßnahmenpaket soll einerseits eine effiziente Bewältigung der Krise ermöglichen, andererseits sollen Menschen ohne Bleibeperspektive die Anreize zur Flucht nach Deutschland genommen werden. Damit suggeriert die Bundesregierung einen wichtigen Schritt nach vorne, bedient sich aber altbekannter Methoden aus der Geschichte der deutschen Flüchtlingspolitik.
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Der Zeitgeist im Herbst 2015 erinnert in vielerlei Hinsicht an die Anfänge der 1990er Jahre. Der gesellschaftliche Diskurs ist immer stärker geprägt von Rassismus. Doch während die Eliten noch diskutieren, hat blinder Aktionismus bereits den Weg auf die Straße gefunden. Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte sind wieder an der Tagesordnung.
Die deutsche Politik ist zu einer schnellen Reaktion gezwungen und handelt ebenso blind traditionell wie die gewalttätigen Rassisten der Nation. Denn nicht nur Pogrome gegen Ausländer stellen ein wiederkehrendes Phänomen der deutschen Geschichte dar, auch die nun beschlossene Asylrechtsverschärfung hat ihre historischen Wurzeln im Jahr 1993.
Fortschritt durch Abschottungspolitik?
In der Tradition der Regierung Kohl sucht auch die Regierung Merkel das Heil in der Abschottung der Bundesrepublik. Bestimmungen zu sicheren Herkunftsländern und die Drittstaatenregelung bedeuteten damals ebenso eine Zäsur in der deutschen Asylpolitik wie das gesonderte Leistungsgesetz für Asylbewerber. Wenn nur ein geringer Teil bleiben dürfe, würden weniger Menschen sich zu einer Flucht nach Deutschland entscheiden. Und die wenigen, die noch kämen, würden nicht den Eindruck paradiesischer Lebensumstände in Deutschland bekommen, wenn sie so nah es ginge am Existenzminimum lebten. Der drastische Rückgang der Flüchtlingszahlen nach 1993 gab dem Maßnahmenpaket Recht. Bis heute, bis zu einer Rekordzahl von mindestens 800.000 Flüchtlingen im Jahr 2015.
Bereits 1993 warnten viele vor den Konsequenzen der Abschottungspolitik. Die Warner werden spätestens in der aktuellen Epoche der deutschen Geschichte bestätigt, denn einen dauerhaften Schutz vor Migration und Flucht konnte der Asylkompromiss nicht herbeiführen, dafür aber bereitete er die Bedingungen für die unmenschlichen Verhältnisse, unter denen Flüchtlinge nun in unserem Land zu leiden haben.
Die damaligen Beschlüsse der Bundesregierung dienten einer schnellen Linderung der innenpolitischen Symptome, doch von einer wirklichen Problemlösung waren sie weit entfernt. Trotzdem findet das Mittel der Abschottung jetzt, 22 Jahre nach seiner Einführung, wieder Nachahmer auf höchster politischer Ebene.
Düstere Prognosen der Wissenschaft
Wohin die Asylrechtsverschärfung führen wird, ist momentan noch nicht absehbar. „Die Bewertung dieses Maßnahmenpakets wird in einigen Jahren Aufgabe der Historiker sein“, gibt Dr. Christoph Raß vom Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien der Universität Osnabrück zu bedenken. Doch anhand der Erfahrungen der Vergangenheit kann man schon jetzt Prognosen zu den zu erwartenden Konsequenzen abgeben.
In erster Linie werde das neue Asylpaket die Stigmatisierung der Flüchtlinge vorantreiben, ist sich Dr. Raß sicher. Dies lässt sich anhand der Parallelen zwischen Asylkompromiss und Asylrechtsverschärfung belegen. Bereits vor zwei Wochen mahnte der Rat für Migration in der Bundespressekonferenz, dass der Gesetzesentwurf des Innenministeriums eher für eine Verschlimmerung als für eine Verbesserung der Lage Sorgen werde.
Angesichts dieser Prognosen der Wissenschaft erhärtet sich der Verdacht, dass die Bundesregierung mit dem neuen Asylgesetz eine rein öffentlichkeitswirksame Reaktion auf die wachsenden Ressentiments der Zivilbevölkerung zeigte. Die beschlossenen Maßnahmen werden weder den Flüchtlingen in Deutschland helfen, noch werden sie einen Beitrag zur Bewältigung der Krise insgesamt leisten können. Auf den Rechtspopulismus der Straße antwortet man aus Berlin also mit einem in der Vergangenheit bereits gescheiterten Handlungsmodell. Und lässt damit eine historische Chance aus.
Wichtige Chance für das Asylrecht erneut vertan
Flucht und Migration haben seit jeher sehr komplexe Ursachen. Diese Ursachen sind vor allem Kriege, Armut und Hunger und lassen sich nicht mit den Maßnahmen der Verschärfung des Asylrecht bekämpfen. Zum wiederholten Male ignoriert eine deutsche Bundesregierung diese Komplexität und fokussiert den Großteil ihrer Mühen auf innenpolitische Konsequenzen.
Die Maßnahmen in der Außenpolitik dienen zudem nur unterstützend der Abschottung, nicht aber der Lösung der Fluchtursachen. Zwar propagiert die Bundesregierung, man wolle sich der Fluchtursachen annehmen und diese Probleme lösen. Doch bei stetig wachsenden Rüstungsexporten und Milliardenhilfen für die Türkei anstatt für die Krisengebiete, in denen diese Hilfen vor allem den Hunger der Menschen stillen könnten, verkommt diese Leitlinie zu einer Farce.
1993 führte der Asylkompromiss zumindest dazu, dass der Rassismus langsam wieder aus der Öffentlichkeit verschwand und auch die Zahlen rechter Gewalttaten zurückging. Dass es sich dabei mehr um eine Pause als ein Umdenken der Bevölkerung handelte, wird in diesem Jahr mehr als deutlich. Die Abschottungspolitik beruhigte zwar das innenpolitische Klima, effektiv gegen neue Zuwanderungswellen konnte es aber nicht schützen.
Und so wiederholt sich Geschichte. 22 Jahre später muss die Bundesregierung wieder eine Flüchtlingskrise bewältigen und gegen das Aufflammen rassistischer Bewegungen im Inland vorgehen. Es sind zum Teil Erbschulden der Regierung Kohl, zum Teil ist man wegen jahrelanger Untätigkeit auch selbst Schuld an der aktuellen Situation. Doch anstatt einen mutigen Schritt nach vorne zu gehen, geht die Regierung Merkel wieder einen Schritt in die Vergangenheit. Und löscht damit maximal eine Flamme, aber erneut nicht den Brand.
(Text: Florian Braksiek / Foto: Elisabeth Woldt by jugendfotos.de)