Literatur

Alles anderes als ein „Grimmbart”

Der Literaturnobelpreisträger hatte geladen und zahllose Literaten, wahre und solche, die es gerne wären, waren seinem Ruf gefolgt. Anlass der abendlichen Lesung war Grimms neuestes Buch „Grimms Wörter”, in dem er der deutschen Sprache huldigt. Nach „Beim Häuten der Zwiebel” und „Die Box” ist es das dritte autobiographische Werk von Günter Grass.

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Im ausverkauften Theatersaal ging der 83-Jährige ohne Umschweife in medias res. Mit Silben und Lauten jonglierend und Wendungen wie – „Der Dachs als grimmbärtiger Grimmbart” oder „Grimmschnaubend, grimmentbrannt, grimmerfüllt” – war es unschwer zu erkennen, dass Grass mit seinen Sprachspielereien in seinem Element war.
Nicht umsonst trägt „Grimms Wörter” auch den Untertitel „Eine Liebeserklärung”. Während er einzelne Episoden aus seinem Buch las, wurde Grass von Jazzpercussionist Günther „Baby” Sommer mit eindrucksvollen Improvisationen begleitet. Neben der Sprache widmete Grass sich in seinem Buch auch den Brüdern Grimm. Weniger als deren Märchen interessierte Grass jedoch ihr Beitrag zur deutschen Sprache, ihre Arbeit als Sprachforscher und ihre Leistung zum deutschen Wörterbuch.

Mit unverkennbarem Sprachenthusiasmus rezitierend, blieb Grass die ganze Lesung hindurch ohne einen einzigen Versprecher. Auch an Selbstironie mangelte es ihm nicht. Humorig, locker und unverfälscht stand er in seinem ockerfarbenen Jackett auf der Bühne und nahm sein nicht mehr ganz junges Alter auf die Schippe: „Vergleichsweise ebenbürtig ertauben wir. So bleibt uns manches Gerede erspart. Wie von einer Käseglocke behütet hören wir nur noch auf uns, tun aber dennoch so, als seien wir auf dem Laufenden und geben richtige Antworten auf falsch gestellte Fragen.”

artikelEin besonderes Highlight des Abends war schließlich die Podiumsdiskussion, die im Anschluss an die Lesung folgte. Der Inhaber des städtischen Germanistiklehrstuhls hatte noch vor dem Eintrag in das goldene Buch der Stadt zum Interview auf die Bühne geladen. Im persönlichen Gespräch erfuhren die Anwesenden mehr von Grass, als sie alleine den Büchern hätten entnehmen können; gelangten sie doch in den Genuss den mittlerweile 83-Jährigen nicht nur in persona und beim Interview vor den Augen, sondern zugleich auch noch höchst schlagfertig zu erleben.

So musste sich der anwesende Germanistikprofessor der heftigen Kritik erwehren, Professoren unserer Zeit seien nicht mehr kritisch, da verbeamtet. Dem Hochschullehrer gelang es zwar ein Abdriften der Unterhaltung zu verhindern, doch das Publikum hatte Grass längst auf seiner Seite. Besonderen Beifall erhielt der hohe Gast auch auf seine Aussagen zum Buch allgemein. Er war sich sicher, dass das Buch technischen Neuerungen wie E-Book oder Hörbüchern Stand halten werde, wenn es nur anspruchsvoll genug sei. Als Fan der deutschen Sprache war sich Grass zudem sicher: „Unsere Sprache ist stark genug sich immer wieder selbst zu erneuern”, und verneinte den Bedarf einer Académie Francaise als Sprachbewahrer im Stile Frankreichs.

Wer Günter Grass an diesem Abend erlebte, dem war klar, dass Grass noch lange nicht am Ende seiner Worte angelangt ist. Aktuell nannte er sich zwar „ausgeschrieben”, betonte jedoch auch, dass es in seinem Beruf kein Rentenalter gebe. „Was meinen Sie, warum ich weiterschreibe?”, so Grass. In diesem Fall muss es im öffentlichen Interesse sein, das – wenn auch inoffizielle – Rentenalter für Literaten nicht herabzusenken.

Christina S.

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