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Philipp Mattheis: Ganz wohl war mir natürlich nicht bei der Sache. Schließlich wurde ich ja auch von allen Seiten massiv gewarnt. Andererseits habe ich mir vorher bewusst gemacht, was im schlimmsten Fall passieren kann: viel ist mir nicht eingefallen. Denn die Organisation kann es sich nicht leisten, kriminell zu werden – sprich Männer in schwarzen Anzügen vorbeizuschicken, die mir die Finger brechen.
Alles, was passieren kann, ist in meinem Kopf. Ich war damals ja noch auf der Deutschen Journalistenschule in München und bin jeden Tag nach Scientology zurück in meine Klasse. Dort haben mich natürlich immer alle sofort gefragt: Wie war es heute? Ich habe dann erzählt und alle haben gelacht. Dadurch entsteht automatisch viel Distanz zum Erlebten und die Gefahr, sich davon zu sehr einnehmen zu lassen, sinkt rapide.
Wie findet man den Einstieg zu Scientology – wird generell jeder aufgenommen, oder muss man sich vorher Tests unterziehen?
Soweit ich weiß, wird dort jeder aufgenommen. Tests muss man nicht über sich ergehen lassen, man wird aber gefragt, ob man den “Oxford-Persönlichkeitstest” machen möchte. Das ist ein Multiple-Choice-Fragebogen, der eine Art Persönlichkeitsprofil erstellen soll. Dabei kommt natürlich immer nur raus, dass man eklatante Charakterschwächen hat, die man mit einem Kurs bei der Organisation reparieren kann.
Mit welchen Methoden arbeitet Scientology, um etwa neue Mitglieder zu rekrutieren und sie dann aber auch bei der Stange zu halten?
Wie sie Mitglieder bei der “Stange hält” weiß ich nicht, da ich nur zehn Tage dort war. Was neue Mitglieder betrifft, so ist es sicherlich eine gängige Methode, demjenigen ein Problem einzureden und ihm dann die Lösung zu verkaufen. So funktioniert Produktwerbung im Prinzip ja auch: “Staubwischen ist furchtbar anstrengend und sehr ungesund! Wir haben deswegen einen Staubsauger für Sie!” Bei Scientology funktioniert das auf einer psychischen Ebene: “Sie sind schüchtern und haben Probleme, auf Leute zuzugehen? Dann besuch doch unseren Kommunikationskurs!”
Haben die 10 Tage Scientology bereits Einfluss auf Ihre Persönlichkeit genommen?
Nein. Es war nur manchmal etwas nervig, da ich mir sehr viel Schwachsinn anhören musste. Der Gründer, L. Ron Hubbard, war ja Science-Fiction-Autor und das merkt man der gesamten Ideologie an. Vieles davon ist einfach hanebüchener Unsinn.
Konnten Sie nach Ihrem Selbstversuch ohne Probleme wieder aussteigen?
Ich bin einfach nicht mehr hingegangen. Scientology ist ja keine Substanz, die man ein, zweimal probiert und dann süchtig wird. Mir wurde dort fast nur Unsinn erzählt, mir hat nichts von dem gefallen oder in irgendeiner Weise gereizt. Ich war froh, als die zehn Tage, die ich mir anfangs gegeben hatte, rum waren.
Hatte es für Sie persönlich irgendwelche Konsequenzen, dass Sie Scientology quasi ausspioniert haben, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen?
In der ersten Woche wurde ich mehrmals von verschiedenen Scientologen angerufen. Sie wollten mit mir reden, warum ich keine Lust mehr habe zu kommen. Wir könnten doch über alles sprechen. Ich solle es mir doch noch einmal überlegen. Das war nicht weiter schlimm, hat aber genervt. Ansonsten hatte es keine persönlichen Konsequenzen für mich.
Wie haben Sie die Scientologen erlebt? Wie gehen Sie mit Ihren Mitgliedern um?
Im Allgemeinen sind die Leute dort sehr freundlich, aufgeschlossen und zugänglich. Das einzige, was irritiert, ist dieser starre Blickkontakt, den sie die ganze Zeit über halten.
Können Sie kurz erläutern, wie ein sogenanntes Auditing aussieht, durch welches die Neulinge “clear” werden sollen?
Man erzählt mit geschlossenen Augen ein Erlebnis immer wieder und wieder. Sinn dieser Sache soll sein, mit jedem Erzählen mehr negative Assoziationen loszuwerden. Verbindet man mit dem geschilderten Erlebnis irgendwann nur noch Positives, ist man “Clear”. Ich sprach über meine Führerscheinprüfung, das dauerte zwei Stunden und war sehr anstrengend. Ob ich meine Führerscheinprüfung jetzt anders in Erinnerung habe, kann ich nicht sagen. Ich glaube nicht.
Was ist Scientology Ihrer Meinung nach; eine Religion oder doch eine Sekte?
Ich kenne mich zu wenig mit dieser Thematik aus, um entscheiden zu können, ob Scientology eine Religion, eine Sekte oder keines von beiden ist. Dafür wird es sicherlich Kriterien geben und Fachleute, die das entscheiden können. Ich selbst kann so eine Frage nicht beantworten.
Würden Sie Scientology als gefährlich einstufen?
Gefährlich ist Scientology sicherlich in dem Sinne, dass man anfangs sehr schnell in diese Sache reinrutschen kann und dann psychisch immer abhängiger davon wird. Man kennt diese Berichte ja von Aussteigern: Menschen, die sich deswegen massiv verschuldet haben und nur noch Kontakte zu anderen Scientologen hatten.
Glauben Sie, dass es generell Risikogruppen gibt, die anfälliger für derartige Gruppierungen sind?
Pauschalisieren kann man in dem Sinne, dass Menschen, die sich orientierungslos fühlen und Probleme mit sich selbst haben, dafür anfälliger sind. Wie gesagt, Scientology bietet Menschen sozusagen Instant-Lösungen für psychische Probleme an, nach dem Motto: Besuch unseren Kurs und Dir geht es bald viel besser. Wer sich vorher nie mit sich selbst beschäftigt hat, der kann das sehr verlockend und interessant finden – weil es ihm neu und faszinierend erscheint. Jeder halbwegs stabile Mensch wird schnell merken, dass das Müll ist. Auch deswegen hat Scientology nur gerade mal 7.000 Mitglieder in Deutschland. Das sind wirklich nicht viele.
Vielen Dank für das Interview!
(Interview: Konrad Welzel / Foto: privat)