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The Call – Sekte, Mission, gefährlich oder was?

Schlagzeug, Gitarre, Bass. Echter, lauter, guter Rock dröhnt von der Bühne über die jungen Menschen auf dem Platz, sie jubeln, lachen, schreien, manche haben Tränen in den Augen, fast alle folgen wie in Ekstase dem Geschehen auf der Bühne. Dort wird ihnen eine Show geliefert, die einen Vergleich mit Festivals nicht scheuen muss. Gemeinsam skandieren sie immer wieder den Namen ihres Superstars. Aber sie rufen weder „Robbie” noch „Kylie” oder „Klinsi”. Sie rufen „Jesus, Jesus, Jesus”.

Diese Szene beschreibt eine Veranstaltung der noch recht jungen Bewegung „The Call”, deren ausdrückliche Betonung auf „dem Gebet, der Andacht und dem Fasten für die spirituelle Erleuchtung” liegt. Das peppige Gewand der Jugendkultur ist zudem noch ein ganz hervorragendes Mittel, neue Anhänger für ihre Bewegung und ihren Glauben zu missionieren. Kritische Stimmen benutzen in diesem Zusammenhang gerne das Wort „rekrutieren”, um ihre Missbilligung gegenüber der recht offensiven Mission zum Ausdruck zu bringen. Die Bewegung ist in Deutschland zwar weitgehend unbekannt, ihr Bild in Deutschland wird jedoch wesentlich von diesen kritischen Stimmen geprägt. Ausschlaggebend ist da nicht zuletzt eine 3sat-Reportage, in der ein sehr beängstigendes Bild von „The Call” gezeichnet wurde.

„The Call” ist keine Religionsgemeinschaft
Wie auch auf Wikipedia nachzulesen ist, wurde in dem Film der Eindruck vermittelt, „The Call” sei eine Religionsgemeinschaft, was so jedoch nicht zutrifft. Es ist eher eine große, laute und bunte Werbetrommel für die so genannten Evangelikalen. Deren stärkste Basis findet sich in den USA, wo knapp ein Viertel der Menschen dieser Kirche angehören. Sie werden auch als „christliche Rechte” bezeichnet, sind eng mit den amerikanischen Republikanern verbunden, und einer ihrer berühmtesten Vertreter ist der amtierende Präsident der USA: George W. Bush. Das deutsche Äquivalent zur „christlichen Rechten” findet man am ehesten in der recht diffusen Kirchenlandschaft der evangelischen freikirchlichen Gemeinden. Diese sind in Deutschland jedoch nicht besonders straff und gemeinsam organisiert, sodass es nicht so einfach ist, einen direkten Vergleich zu ziehen.

Werbetrommel Internet
Auch im Internet wird offensichtlich, dass die Organisation und Struktur des amerikanischen Teils der Bewegung deutlich straffer und marketingbewusster angelegt ist, als ihr langer Arm in Deutschland. Während die Internet-Vertretung des deutschen Teils derzeit offline ist, präsentiert sich die Mutterorganisation mit einer sehr modernen und technisch hochwertigen Internet-Seite, selbst bei Facebook -einem Internet-Netzwerk wie StudiVz- ist sie werbend vertreten. Dem Besucher ihrer Internet-Seite bietet sich eine Ansicht des Kapitols, die so eher an eine Tempelanlage als an den amerikanischen Kongress erinnert.  In großen Buchstaben werden die Besucher aufgefordert, zu spenden, zu fasten und „mobil zu machen”. An diesem Punkt kann man die Kritiker der Bewegung vielleicht am ehesten verstehen, denn die Art, aktiv für ihre Sache zu werben, auf der Straße Menschen anzusprechen und die glaubenden Jugendlichen im Vorfeld für diese Missionsarbeit auszubilden mag so manchem Betrachter beängstigend erscheinen.

Konservative Werte, Beziehung zu Jesus
Dem evangelikalen Glauben entsprechend vertreten diese schlanken, modisch und „cool” auftretenden Jugendlichen sehr konservative Werte. So glauben sie an die Unfehlbarkeit der Bibel, die Schöpfungsgeschichte und lehnen Geschlechtsverkehr vor der Ehe entschieden ab. Sie bekennen sich eindeutig zu Jesus Christus und möchten individuell eine Beziehung zu ihm aufbauen. Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, wo die Evangelikalen eine Institution darstellen, erleben sie im Alltag oft befremdliche Reaktionen, wenn sie sich zu ihrem Glauben bekennen.

Eine Sekte?
In einem Deutschland, in dem die Religion fast vollständig aus dem Alltag verschwunden ist, ist es vielleicht ganz normal, dass Menschen, die ihren Glauben intensiv ausleben, befremdlich wirken. Und alles was befremdlich wirkt, mag Ängste auslösen, die Islam-Debatten zeigen dies jeden Tag. „The Call”, also die Evangelikalen, als Sekte zu bezeichnen, würde jedoch deutlich zu weit führen. Der Begriff „Sekte” ist zwar nicht eindeutig formuliert, da die verschiedenen Wissenschaften ihn unterschiedlich betrachten.
Im umgangssprachlichen Gebrauch bezeichnet „Sekte” jedoch eine Religionsgemeinschaft, von der eine Gefahr ausgeht. In Deutschland kann dies im Bezug auf die Evangelikalen nicht der Fall sein, weil die evangelikale Glaubensgemeinschaft viel zu diffus ist und zudem keine verfassungsfeindlichen Ziele vertritt. Ob man die Bewegung jetzt gut findet oder nicht, ihr anhängen möchte oder nicht, wenn man ungewohnten Rituale und Meinungen objektiv betrachtet, stellt „The Call” keine Bedrohung für die Menschen oder ihre Anhänger dar.

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