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Zeltlagerstimmung zwischen Wolkenkratzern

In ganz Europa, auf der ganzen Welt, gehen immer mehr Menschen wegen der mangelhaften wirtschaftlichen Situation auf die Straße. In Frankfurt konnte back view feststellen, dass sie unter dem Schlagwort „Occupy” nicht nur gegen die Banker protestieren. Es geht mittlerweile um viel mehr.


eu_krise_textDer Geruch von verkohltem Holz liegt in der Luft. Bei leisem Gitarrensound wird gemeinsam am Lagerfeuer gesungen. Klingt auf den ersten Blick nach dem fröhlichen Zeltlager eines Sportvereins oder einer Schulklasse. Die Stimmung hier ähnelt dem zwar durchaus, aber mitten im Frankfurter Bankenviertel ist doch etwas Grundlegendes anders.

Ausgehend von den „Occupy Wall Street”-Protesten in New York sind seit dem Wochenende weltweit tausende Menschen auf der Straße, um sich der Bewegung anzuschließen. In Frankfurt am Main gab es vergangenen Samstag die erste Demonstration mit über 500 Teilnehmern. Seitdem verharren etwa 200 Frauen und Männer direkt vor der Europäischen Zentralbank auf dem Willy-Brandt-Platz. Mit etwa 60 Zelten in allen Größen und Farben, mit dicken Decken aus unterschiedlichsten Materialien und mit Schildern voller charmanter, aber auch böser Sprüche, haben sie es sich in einer eigenen kleinen Dorfanlage scheinbar gemütlich gemacht.

Gemütlich ist an ihrer Situation aber nicht mehr viel. In der vergangenen Nacht hat es kräftig geregnet. Und unbequem kalt war es sowieso schon. Da kommt der morgendliche Putzdienst gerade recht. Durch die Kehrbewegungen wird es wenigstens wärmer.
Viel wichtiger ist allerdings, dass es immer sauber bleibt auf dem Willy-Brandt-Platz. Nur unter dieser Bedingung haben die „Occupy”-Demonstranten überhaupt die Genehmigung für die Besetzung im Bankenviertel vom örtlichen Ordnungsamt erhalten – und jetzt auch bis Samstag, den 29. Oktober, ausweiten können.

Thomas ist 24 und eigentlich Student. Doch statt im warmen Vorlesungssaal dem Dozenten zu lauschen, sitzt er schon in der ersten Vorlesungswoche des neuen Wintersemesters auf der Straße. Im kalten Nass. „Macht nichts, die Seminare sind gerade sowieso dermaßen überfüllt – da mache ich lieber was Sinnvolles”, erklärt Thomas.
Der 24-Jährige ist bereits seit Samstag Teilnehmer der Demonstrationen in Frankfurt. Für ihn geht es nicht nur darum, sich gegen das Verhalten der Banker zu wehren: „Wir brauchen grundsätzlich ein anderes Werteverständnis.” Es geht ihm um einen sozialen Protest, um ein gesellschaftliches Umdenken und ein ehrlicheres Miteinander in allen Bereichen.

Während Thomas noch die Müllreste am Rande der Lagerstätte einsammelt, spricht ihn eine ältere Dame strahlend an: „Ich habe sie gerade im Fernsehen gesehen. Finde ich gut, was sie da machen.” Der Student bedankt sich und darf sich über eine neue Spende freuen. Denn die Frau will nicht untätig bleiben: „Ich gehe schnell einkaufen und bringe ihnen dann ein wenig Obst und Tee vorbei”. So freundschaftlich und lobend geht es hier öfter zu, berichtet Thomas.

eu_krise_text2Überhaupt zeigen sich die Bewohner der kleinen Frankfurter Zeltstadt begeistert von der Unterstützung aus der Bevölkerung. Das Verpflegungszelt ist prall gefüllt mit frischen Lebensmitteln. Ganz alleine aus Spenden können sie ihr Überleben auf der Straße sichern. Fehlt etwas, kommt es auf die offizielle „Wir brauchen”-Liste, die jeder einsehen und abarbeiten kann. So konnten durch Spenden zum Beispiel eine mobile Toilette und Müllcontainer finanziert werden.

Typische Anzugsträger, Geschäftsmänner, Banker – gegen die der Protest ursprünglich ging – verirren sich allerdings kaum mehr hier auf den Willy-Brandt-Platz direkt an der Europäischen Zentralbank. Sie machen einen weiten Bogen, entgehen Diskussionseinladungen und lehnen jegliche Kommentare zu der Demonstration ab.
Lauscht man aber auf der anderen Straßenseite den vorbeilaufenden Nadelstreifenträgern, so fallen Sätze wie „Naja, so viele sind es ja gar nicht – was soll denn der ganze Hype in den Medien” oder „Für oder gegen was sind die eigentlich? Als ob sich Banker davon beeindrucken lassen würden”.

Sicherlich, die Banken werden sich mit der Gewissheit der sicheren Staatszuschüsse wenig um solche “Zeltlager” kümmern. Zumindest aber in der Politik scheint der Protest anzukommen. „Wir müssen die Demonstranten und Meinungen aus der Bevölkerung ernst nehmen”, heißt es von der Bundesregierung. Ein erstes Zeichen dafür, dass die kalten Nächte unter freiem Himmel nicht ganz ohne Wirkung bleiben werden.

Ein Grund dafür ist auch das momentan enorme Interesse der Medien, sämtliche Fernsehsender, Radiostationen, Online- und Printmedien berichten von der „Occupy Frankfurt”-Bewegung. Noch ist es spannend. Was aber bleibt in ein bis zwei Wochen, wenn das Interesse abfällt und neue Meldungen die Nachrichten beherrschen? Was jedem sicher bleibt, der hier vorbei läuft – ob Banker oder nicht – ist der Geruch von verkohltem Holz, der sich in blauen Jeansjacken genauso einnistet wie in schwarze Bugatti-Mäntel.

(Text und Fotos: Konrad Welzel)

Konrad W.

Konrad hat back view am 06. April 2007 gegründet - damals noch in diesem sozialen Netzwerk StudiVZ. Mittlerweile tobt sich Konrad ganz gerne im Bereich SEO aus.

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