KulturMenschen

Wo soll ich unterschreiben?

Jeder wurde schon einmal von Mitarbeitern einer Organisation angesprochen worden, die mit einem Informationsstand in der Innenstadt um neue Spender werben. Grundsätzlich ist das ja eine gute Sache. So lange man seine Unterschrift nicht sofort setzen muss, ohne sich über die Seriosität sowie die Art und Weise der Aktion in Ruhe Gedanken machen zu können.


„Hast du kurz Zeit?” Klar, habe ich kurz Zeit. Ich habe als Studentin an diesem Montagmittag zwischen meinen beiden Vorlesungen nichts anderes zu tun, als meinen Kaffee-to-go-Becher vor mir herzutragen. Also bleibe ich stehen, bei diesem hübschen Mädel mit den viel zu großen Ohrringen, aber dem sympathischen Lächeln. Sie trägt ein orangenes Shirt, so, dass sie auch aus hunderten Metern Entfernung aus der Menge heraussticht. Und sie hat diese Schreibunterlage unter ihrem Arm klemmen, auf der ich gleich hilflos meine Unterschrift setzen werde.

Helfen ist ganz einfach

Das Mädel stellt sich vor, sie heißt Marie und sie lebt nicht weit von meinem Heimatort entfernt. Sie erkundigt sich nicht nur nach meinem Namen und meinem Studienfach, sondern auch danach, wo ich diese hübsche Tasche erworben habe. Nach ein paar Minuten Smalltalk mitten auf der Straße in der Bamberger Innenstadt geht dieses Treffen zwischen uns beiden mehr in die Richtung eines netten Kaffeeplausches mit einer alten Freundin als in eine Spendenbitte.

Dann führt sie mich zu dem Stand am Straßenrand, hinter dem weitere viel zu sympathisch lächelnde Menschen stehen. Auch dieser ist auffällig orange. Auf einer auf die wichtigsten Daten heruntergebrochenen Informationsmappe zeigt Marie mir Bilder von hungernden Kindern in Afrika. Ja, was ich sehe, sieht furchtbar aus. Nur zwei Seiten weiter in der Broschüre, die mir in die Hand gedrückt wurde, stehen allerdings drei Stichworte, wie ich diesen armen Kindern helfen kann. Spenden natürlich! Ich kann dafür mitverantwortlich sein, dass Brunnen und Schulen gebaut werden, dass die Kinder Essen erhalten und mit Spielzeug versorgt werden. Das Einzige was ich tun muss, ist genau hier auf dem Zettel, der auf dieser harmlosen Schreibunterlage fest klemmt, meine Unterschrift zu setzen. Klingt nach einem simplen System.

Now or never
Wieder dieses sympathische Lächeln von Marie. Ich blicke ein zweites Mal auf die Bilder von hungernden Kindern mit traurigen Augen und auf die Worte „Spenden Sie jetzt”, die auf der Broschüre in riesigen orangenen Buchstaben gedruckt wurden. „Jeder noch so kleine Betrag kommt an der richtigen Stelle an”, versichert mir Marie und nickt mir dabei vertrauensvoll zu. In meinem Kopf spielen sich schlagartig mehrere Szenarien ab. Soll ich ihr die Mappe einfach zuwerfen und wegrennen, so schnell ich kann? Soll ich ein böses „Nein, danke” in ihr nettes Gesicht brüllen oder soll ich behaupten, ich habe meine Geldbörse verloren, meine Bankdaten natürlich nicht im Kopf und überhaupt wollte ich mein deutsches Konto in den nächsten Tagen auflösen?

Das Tückische an dieser Spendensache auf der Straße ist: Man hat nur circa zwei Minuten Zeit, sich zu überlegen, ob man ein Unmensch ist und den Spendenstand verlässt, bevor man die Telefonnummer und Emailadresse niederschreibt. Oder, ob man einmal pro Monat statt einem Essen beim Italiener eine Tiefkühlpizza in den Ofen schiebt und das gesparte Geld in diese Spendenaktion investiert. Ich frage Marie, ob ich mir nicht eine dieser Broschüre mit nach Hause nehmen kann oder, ob ich einen dieser Unterschriftenzettel in Ruhe durchlesen kann. „Nein.”

Ich bin ein Opfer der Straßenspenden
Marie überzeugt mich, dass es viel sinnvoller ist, nicht lange darüber nachzudenken, ob ich Teil der Spendenaktion sein will. Klar, bis ich heute Abend daheim angekommen bin, habe ich den Unterschriftenzettel irgendwo in den Tiefen meiner Unitasche verloren und die Internetadresse der Organisation sowieso wieder vergessen. Außerdem erklärt mir Marie – diesmal mit einer etwas energischeren, aber immer noch netten Stimme – jede einzelne Zeile, die ich auf dem Bogen ausfüllen muss. Sie klopft dabei leicht auffordernd mit ihrem orangenen Kugelschreiber auf ihre Schreibunterlage.

Okay, okay, ich signiere ja schon. Ich fühle mich nach Maries strategisch sehr ausgeklügelter Belehrung zwar überrumpelt („Es dauert nur zwei Minuten”/ „Wann hast du das letzte Mal etwas Gutes getan?”), aber ich fühle mich gut. Denn ich habe gerade eine Unterschrift dafür gesetzt, dass eine mir unbekannte und wahrscheinlich total unseriöse Organisation monatlich einen kleinen Betrag von meinem Konto abzieht. Sie gibt vor, damit armen Kindern in Afrika zu helfen. Nach erfolgreichen Überzeugungskünsten von Marie malt sie mir eine Sonne auf meine Hand. Die Sonne lächelt – das soll bedeuten, dass ich ein Kind in Afrika glücklich gemacht habe, ich den ganzen Tag strahlen werde und irgendwie auch die Welt verbessert habe.

Überlegt spenden
Ja, ich bin definitiv fürs Spenden. Ich bin dafür, dass wir nicht wegschauen, etwas tun, helfen, uns Gedanken machen. Aber bitte, belagert doch keine Menschen auf der Straße, die im Kopf gerade schon bei ihrem Feierabendbier sind, ihren Arbeitstag Revue passieren lassen oder dabei sind, abzuwägen, ob sie lieber den neuen Frappuccino oder den Cold Vanilla Latte gleich im Café nebenan bestellen werden.

Natürlich sollten Organisationen auf sich aufmerksam, ihre Tätigkeiten soweit wie möglich publik machen und immer wieder darauf hinweisen, wie wichtig Hilfe ist. Aber vielleicht sollte das nicht in dem Rahmen passieren, indem man auf der Straße, vor der Wohnungstür oder mal eben beim Joggen dazu gedrängt wird, sofort seine Bankdaten rauszurücken. Spenden sollte passieren, aber das überlegt. Da kann Marie noch so ein nettes Lächeln haben.

(Text: Christina Hubmann)

Christina H.

Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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