Sport

Tour de Fatalité

Was seit Bestehen der „Großen Schleife” alljährlich der Höhepunkt des Radsportkalenders war, wurde dieses Jahr zur Schicksalsfahrt für den Radsport. An seinem bisherigen Aushängeschild droht der Profi-Radsport nun zugrunde zu gehen. Wer nach der letztjährigen Tour glaubte, schlimmer könne es nicht kommen, muss sich nun bitter enttäuscht sehen.

Im Jahre 2006 hatte sich der Gesamtsieger Floyd Landis durch einen wahren Husarenritt an die Spitze der Gesamtwertung und somit ins Gelbe Trikot gehievt. Wie später herauskam, war diese Kraftanstrengung nicht ohne verbotene Mittelchen zustande gekommen. Doch das war ja bekanntlich nicht der einzige Doping-Schandfleck auf der Tour 2006. Nur wenige Stunden vor dem Beginn des Prologs gab die spanische Polizei eine Liste von Fahrern heraus, die nach ihren Ermittlungen mit dem Doping-Arzt Eufemiano Fuentes kooperiert haben sollen. Darunter auch die Favoriten Ivan Basso und Jan Ullrich.

Doch all das wird noch getoppt von der „Tour de Farce”, die die Radsportfans dieses Jahr mit ansehen mussten, zumindest bevor ARD und ZDF ihre Berichterstattung abbrachen und der deutsche Zuschauer dann nicht auf andere Sender umstieg. Vom Anfang bis Ende wird die Tour de France 2007 im Schatten des Dopings stehen. Zum Teil un-, zum Teil selbst verschuldet. Besonders schlimm waren noch nicht einmal die zahlreichen positiven Doping-Tests, sondern die selten so deutliche Tatenlosigkeit der Verantwortlichen im Radsport. Selten hat der Fan so klar einsehen müssen, wieviel, oder besser gesagt wie wenig, all die Anti-Doping-Bekundungen, -Erklärungen etc. wert sind.

Zunächst sind da die Fahrer, die trotz aller gegenteiliger Bekundung beim Dopen erwischt wurden (Sinkewitz, Winokourow, Moreni). Diese hatten im Vorfeld der Rundfahrt Erklärungen unterschreiben müssen, nicht zu dopen. Sie taten es dennoch. Besonders dreist trieb es Christian Moreni vom Cofidis-Team. Zu Beginn der 16. Etappe absolvierte das gesamte Fahrerfeld einen Sitzstreik, mit dem es sich von den Betrügern im Radsport distanzieren wollte. Darunter auch eben jener Moreni, der im Ziel dann von der Polizei wegen eines positiven Doping-Befundes abgeführt wurde. Noch schwerer erträglich war aber das Gebaren der UCI- und Tour-Verantwortlichen und der Rabobank-Teamleitung nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe gegen den zu diesem Zeitpunkt Gesamtführenden Michael Rasmussen. Dieser hatte mehrfach über seinen Aufenthaltsort gelogen, und war so für Doping-Kontrollen nicht auffindbar. Nach drei solcher Vergehen wird ein Sportler gesperrt. Zwei Verwarnungen hatte der Weltverband UCI, der die Sperre aussprechen darf, schon erteilt, um die Dritte wurde dann bizarr gestritten.

Der dänische Verband, der für die Tests der dänischen Fahrer, also eben auch Rasmussen, zuständig ist, hatte eine dritte Verwarnung ausgesprochen, die UCI wollte diese aber nicht anerkennen. Also durfte ein vermeintlicher Doping-Sünder tagelang weiter im Gelben Trikot umherfahren, obwohl er eigentlich gar nicht erst an den Start hätte gehen dürfen. Auch die Tour-Leitung deckte den Dänen zunächst und betonte, es gäbe keinen positiven Test. Ins gleiche Horn blies auch das Rabobank-Team, bei dem Rasmussen unter Vertrag stand. Erst ein Zufall beendete das – für Vertreter des fairen Wettkampfs – unerträgliche Geschehen. Erst die Aussage eines TV-Kommentators ließ das Lügengebäude von Rasmussen einstürzen. Dieser Kommentator berichtete während einer Etappe eher beiläufig, dass er den Bergkönig just zu einem Zeitpunkt in Italien beim Training getroffen habe, an dem Rasmussen angegeben hatte, in Mexiko zu trainieren. Ein dänischer Reporter schnappte diese Aussage auf und konfrontierte Rabobank-Team-Chef Theo de Rooy mit dieser Erkenntnis. Das war dann auch für den niederländischen Arbeitgeber zuviel: Michael Rasmussen wurde gefeuert und von der Tour ausgeschlossen.

Doch wer glaubte, das „Mauillot Jaune” würde daraufhin endlich einen Träger erhalten, dem man ohne Vorbehalte zujubeln könne, irrte. Zu tief steckt der Radsport im Doping-Sumpf, als dass im Fahrerfeld der Nächste bereit steht, um für negative Schlagzeilen zu sorgen. Neuer Spitzenreiter wurde der bis dahin zweitplatzierte Alberto Contador, der ebenfalls ein Kunde bei Fuentes gewesen sein soll. Das scheinen jedenfalls Akten der spanischen Ermittler nahe zu legen. Also weiter Magenschmerzen beim Tour-Gucken.

Der Spaß am Radsport ist für mich momentan völlig dahin. Kein Sieg, kein Ausreißversuch, keine außerordentliche Leistung, die nicht einen Gedanken sich aufdrängen lässt: „Ist da etwa auch Doping im Spiel?” So macht das Zusehen keinen Spaß. Doch es gab auch Ansätze, die einen durchaus positiv stimmen. Ansätze, die andeuten, dass der Radsport vielleicht doch nicht am Ende ist, sondern sich noch aus dem Doping-Sumpf ziehen kann.

Da ist z.B. die Tatsache, dass letztlich der saubere Sport wichtiger war, als der Erfolg um jeden Preis. Dass das Rabobank-Team den schier uneinholbar führenden Rasmussen aus der Tour genommen hat. Dass die Teams, deren Fahrer beim Betrügen erwischt wurden, ein klares Signal gesetzt haben und sich geschlossen von der Tour verabschiedet haben. Und dass vor allem die jungen Fahrer Druck machen auf ihre älteren Kollegen, die den Doping-Praktiken weit mehr verhaftet scheinen als ihre möglichen Nachfolger. Und natürlich darf man nicht vergessen, dass die zahlreichen positiven Test auch ein gutes Zeichen sind. Denn sie zeigen, dass die Kontrollen besser greifen und die verbesserten Testmethoden das Netz um die Dopingsünder enger ziehen.

Es wird sich zeigen, was das alles wert ist. Der Radsport steht an einer Weggabelung und es bleibt abzuwarten, für welche Richtung er sich entscheidet: Für den „Weiter-so-Weg”, der den Radsport ins Abseits führen wird, oder für den womöglich härteren „Weg der Erneuerung”, der den Radsport weiter säubert.

Was allerdings noch mehr nachdenklich stimmt, als alle zögernden Teamchefs oder dopenden Fahrer zusammen, ist das Verhalten der Medien und der Fans. Denn auch dort scheint es am Umdenken zu mangeln. Da sind zum einen die privaten Sender, die auf der Jagd nach Quote just dann in die Bresche springen und die Tour live übertragen, während andere Sender ihre Berichterstattung als Protest gegen die anhaltenden Doping-Exzesse einstellen. Da sind zum anderen aber auch die ausländischen, allen voran die spanischen Medien, die, da nun ein Landsmann (nämlich Alberto Contador) in Gelb fährt, voller Entzückung von der Tour erzählen, als gäbe es das Wort Doping in ihrer Sprache gar nicht. Und dass obwohl nur wenige Tage zuvor, als noch ein Däne sich anschickte die Tour zu gewinnen, diese Medien noch den Abgesang auf den Radsport hielten. Und die Fans springen bereitwillig auf diesen Zug auf. Fröhlich gefeiert wird der Tour-Sieger aus dem eigenen Lande, sein zweifelhafter Ruf und all die anderen Skandale rund um die Tour hin oder her. Erfolg scheint eben die unangenehmen Fragen in den Hintergrund zu drängen.

Bleibt nur zu hoffen, dass sich die Vertreter des sauberen Sports und die Fans, die einem ehrlichen Sieger zujubeln wollen, letztlich doch das nötige Gehör verschaffen und diese faszinierende Sportart retten. Damit wieder die packende Duelle auf der Straße und nicht mehr die neuesten Methoden aus dem Labor die Tour de France bestimmen.

(Text: Oliver Schmitz)

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