Sex ist allgegenwärtig – im TV, auf Werbeplakaten oder im Web. Nun gibt es aber Menschen, die kein Bedürfnis nach Sex verspüren – sie sind asexuell. Ist das normal? Ja, sagen die bekennenden Libidolosen.


Wenn sich beim Weiberabend alle irgendwann ihrem Lieblingsthema zuwenden und anfangen über Sex-Stellungen und Orgasmen zu reden, kann Katja nicht viel dazu beitragen. Sie ist asexuell. Das heißt: Sie braucht, will und hat keinen Sex. Schon immer und das wird auch so bleiben. Diese Form der Sexualität ist in Deutschland kaum bekannt. Und falls doch, nur gering akzeptiert. Was hat es mit dieser freiwilligen Enthaltsamkeit auf sich? Warum verspüren manche Menschen einfach kein Verlangen nach Sex?

“Kein Bedürfnis nach sexueller Interaktion”
Eine genaue Definition von Asexualität gibt es nicht. Laut Online-Nachschlagewerk bezeichnet man einen Menschen als asexuell, der “unabhängig von seinem Geschlecht kein Bedürfnis nach sexueller Interaktion mit einer anderen Person hat.” Asexualität ist also mit einer sexuellen Orientierung vergleichbar und keine bewusste Entscheidung, wie zum Beispiel Enthaltsamkeit beim Zölibat.
Bekannt ist Asexualität nicht erst seit Kurzem, anerkannt war sie jedoch nie. Noch heute gilt es unter Medizinern und Psychologen als behandlungsbedürftige Luststörung und nicht als sexuelle Orientierung. Wer sich der Lust entzieht, gilt als anormal – es sei denn, die Person tut dies aus religiösen oder ähnlichen Gründen. Trotz einer immer offeneren und freizügigeren Gesellschaft gelten Asexuelle als ein Fall für den Psychologen. Eine Anerkennung wie bei Homosexuellen dürfte noch eine Weile auf sich warten lassen.

Eine Wissenschaft für sich
Konkrete Studien gibt es zu Asexualität auch nicht. Lediglich in wenigen Ausnahmen, wie in einer englischen Studie von 1994, kommt man am Rande darauf zu sprechen: 18.000 Briten wurden damals nach ihren sexuellen Praktiken befragt und ein Prozent kreuzte an: „Ich habe mich noch nie von jemandem sexuell angezogen gefühlt.” Ein Zeichen für Asexualität? Nicht unbedingt. Denn manche bezeichnen sich nur zeitweise als asexuell, andere hingegen sind zwar von ihrer Asexualität überzeugt, masturbieren aber regelmäßig. Der Definition von sexueller Lustlosigkeit sind also keine Grenzen gesetzt. Asexuell ist einfach jeder, der es selbst so empfindet. Wo finde ich dennoch Hilfe und andere Betroffene?

asexualitt textSelbstbefriedigung trotz Asexualität
Im Internet finden sich Informationen über Asexualität auf der Plattform AVEN (Asexual Visibility and Education Network). Rund 2000 Gleichgesinnte haben sich hier zusammengetan. Die Gemeinschaft kämpft für öffentliche Akzeptanz und die Vergrößerung der asexuellen Gemeinde. Die Mitglieder treffen sich zu Stammtischen oder Diskussions-Runden im Chat.
Ihnen zufolge gibt es etwa vier verschiedene Typen der Asexualität. Manche Personen haben zum Beispiel eine Art biochemisches Bewusstsein von Sex. So befriedigen sie sich selbst, würden es aber nie mit einer anderen Person tun. Andere hingegen verspüren tiefe emotionale Verbindungen zu anderen, haben aber keinen Sexualtrieb. Trotzdem teilen sie körperliche Zärtlichkeiten. Ein weiterer Typ verspürt überhaupt keinen Reiz, weder an Liebe noch an Sex. Er ekelt sich eventuell sogar davor.

“Sexualität ist wie eine Stereoanlage”

In einem Erklärungsversuch vergleicht AVEN Asexualität mit einer Stereoanlage:
“Stell dir Sexualität als eine Stereoanlage vor. Jeder hat einen Lautstärkeregler und einen Knopf zur Senderwahl. Manche hören Musik nur im Hintergrund, manche stehen auf und tanzen (…). Dann gibt es Leute, die ihren Lautstärkeregler so leise stellen, dass sie die Musik kaum hören können und deshalb kaum darauf achten.”
Eine etwas einfacherer Vergleich: “Klar, es würde sich vielleicht auch gut anfühlen, sich zum ersten Mal Heroin zu spritzen, aber im Moment habe ich bessere Sachen zu tun”.

Haben Asexuelle Beziehungen?
Auch Asexuelle leben in Beziehungen, die nicht-sexuell sind. Diese können genauso eng und intim wie sexuelle Beziehungen sein – nur ohne Sex. Dabei kann es sein, dass der Partner sehr wohl sexuelle Bedürfnisse verspürt, diese jedoch mit sich selbst oder anderen Partnern auslebt. Manche lösen das Problem auch auf eine ganz einfach Art: “Ich habe ja zwei gesunde Hände.”, schreibt der Partner eines Betroffenen im AVEN-Forum.
Das Verständnis des Partners ist wohl eine der schwierigsten Hürden. Denn ansonsten empfinden Asexuelle ihre Lustlosigkeit nicht unbedingt als Problem. Eher als Teil ihrer Persönlichkeit, für sie ist das normal. Es sind vielmehr die anderen, die das Verhalten als bemitleidenswert einstufen. Das ruft Schuldgefühle und sozialen Druck hervor.

Verdrängte Sexualität?
Obwohl sich die Gemeinschaft dagegen wehrt, Asexualität als unnatürliche Störung einzuordnen, räumt ein AVEN-Mitglied als Ursache auch die Möglichkeit der Verdrängung ein. Ein “verdrängtes traumatisches Erlebnis” oder die “verinnerlichte Homophobie, die homosexuelle Neigungen unterdrückt”, könnten natürlich in Betracht gezogen werden. “Ich habe aber keine Anzeichen dafür, dass eines von beidem der Fall ist.”

Kinder kriegen ohne Sex

Problematisch wird es höchstens beim Kinderwunsch. Viele Asexuelle möchten eine Familie gründen. Das auf natürlichem Weg zu tun, kommt dabei für manche aber nicht in Frage. Lieber lassen sie sich künstlich befruchten. Hier wird es kritisch – ist ein künstlicher Eingriff gerechtfertigt, nur weil man kein Bedürfnis nach natürlicher Fortpflanzung verspürt? Nein, sagen zumindest die Krankenkassen. Sie übernehmen in diesem Fall keine Kosten. Trotzdem kämpfen Asexuelle weiter für die Anerkennung ihrer sexuellen Orientierung. Denn sie sind glücklich damit. Das ist auch Katja – obwohl sie beim Frauenabend meist als Erste nach Hause geht.

(Text: Julia Jung / Foto: Miriam Sadowski by jugendfotos.de)

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Von JuliaJung

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