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Am nächsten Morgen zeigt der Blick aus dem Wohnzimmerfenster einen blau-grauen Himmel und eine von Wasser geflutete Bucht. Man kann dem Wasser hier an der Küste beim Kommen und Gehen nahezu zusehen, denn schon nach wenigen Stunden geht das Wasser zurück und gibt einen großen Sandstrand frei, der bis an den Hafen angrenzt. Während sich die Engländer in die Fluten schmeißen, schauen wir aus sicherer Entfernung dem Treiben zu und machen uns auf den Weg an die Spitze des „Newquay Bay”. Dort befindet sich die „Huers Hut”, von der aus zu früheren Zeiten mit einem Horn die Ankunft der Fische angekündigt wurde.Am Montagmorgen zieht es uns dann in die Innenstadt zu Sainsbury‘s. Aufgrund der Tatsache, dass Newquay rund 20.000 Einwohner zählt, aber nur einen Supermarkt, ist Sainsbury‘s von entsprechender Größe und beherbergt alles: Papaya-Bananen-Passionsfrucht-Saft, Smarties-Kekse, preiswerte Surfausrüstung, ein großes Sortiment Ben & Jerry‘s Eis und sogar die typischen Cornish Pastries, die ich noch am Mittwoch in St Ives probieren werde.
St Ives befindet sich circa dreißig Meilen südwestlich von Newquay entfernt und ist allgemeinhin als Künstlerstadt bekannt, da sich viele Zeichner und Schriftsteller von der malerischen Küstenstadt inspirieren ließen. Während wir durch die engen Gassen St Ives‘ schlendern, zeigt sich langsam die Sonne. Der kleine Strand, neben dem sich auch die Tate St Ives befindet, ist bereits von hunderten Engländern und Touristen bevölkert. Das Grün der Landschaft wettet hier mit den zahlreichen Blau-Abstufungen des Wassers um die Wette und erklärt, weshalb sich hier im 20. Jahrhundert zurecht eine Künstlerkolonie bildete. Anstatt uns in das Getümmel am Strand zu stürzen, erklimmen wir einen kleinen Berg, der einen perfekten Überblick über die gesamte Stadt bietet. Als wir abends zurück in unsere Ferienwohnung in Newquay kehren, herrscht wieder Ebbe.
Dass in einer Küstenstadt das Wetter so schnell wechselt, wie das Wasser in der Bucht, wird uns am nächsten Tag bewusst, als sich Sonne am Mittag mit Regen abwechselt und meinen Schwestern erst am Abend die Möglichkeit gibt, Neoprenanzüge und Bodyboard bei plötzlich strahlendem Sonnenschein auszuprobieren. Auch Kitesurfer stellen hier nun ihre Kenntnisse unter Beweis. Um zweiundzwanzig Uhr taucht die Sonne Newquay noch ein letztes Mal in geheimnisvolles Licht, bis sie anschließend hinter den Umrissen der Stadt verschwindet.
Nach einer Woche in Newquay überwinde auch ich mich zum Schwimmen in eiskaltem Wasser. Tapfer stürze ich mich bei Sonnenschein und Ebbe in die Fluten, um den Engländern ein wenig nachzufühlen. Selbstverständlich ohne Neoprenanzug. Es ist kalt und gewagt: Es ist England. Nach meinem Selbsttest verstehe ich nun, dass die Engländer gerne ihre Grenzen austesten, bis zum Extremen gehen.
Nicht anders ist es zu erklären, dass einige hart gesottenen Engländer bei Flut das in England populäre „Cliff-Diving” (Klippenspringen) betreiben. Nicht anders ist es zu erklären, dass einige Jugendliche sich bei Nacht auf eben jenen Klippen dem ebenso populären Alkohol widmen.
Doch solange dies Englands Charme und seinen unvergleichlichen Charakter aufrecht erhält, sei ihnen dies verziehen.
(Text: Ronja Heintzsch / Foto: Laura Horn by Jugendfotos. de)