01trafficlightVeronika Schubert verbringt drei Wintermonate in Manchester. Dort sammelt sie für back view Geschichten über Sprache, Land und Leute. Auf der Busreise von Köln über London nach Manchester bewegt sie sich zwischen den Kulturen und trifft fette graue Eichhörnchen.

 

 


 

Goodbye Germany!
Die Nacht ist kalt, nass und dunkel. Das typische Brummen von Autos, Bussen und Menschen erfüllt den Busbahnhof und meine Ohren. Mein Gepäck ist schwer, und ich habe endlich den Bus gefunden, der mich nach London bringen wird.

Der Fahrer ist unfreundlich und spricht mich auf Polnisch an. Eine Frau in der ersten Reihe lacht, er muss einen Witz gemacht haben. Ohne eine Miene zu verziehen, zeige ich ihm mein Ticket. Er schickt mich zum Gepäckraum und wirft meinen riesigen Rucksack in den Bauch des Busses. Um 20 kg leichter steige ich in den Bus. Durch das Fenster strahlt mir der Kölner Dom zum Abschied. Vorne im Bus leuchten uns rote Ziffern die Zeit.

18:30 – Zeit, aufzubrechen. Der Motor läuft an, wir fahren. Bäume, Lichter und Straßenschilder wischen vorbei. Das Summen menschlicher Stimmen erfüllt das warme Innere des Busses. Und da bin ich, auf dem Weg nach Manchester, wo ich 3 Monate lang leben werde, in einer Familie, die ich nicht kenne, und für ein Praktikum, über das ich nicht viel weiß. Ein englischer Winter erwartet mich. Dies wird mein persönliches Abenteuer.01colognecathedral

Mit dem Bus nach London
20:40 Aachen, dann die belgische Autobahn, die in kränklichem Orange erstrahlt. Das Sprachgesumm erstirbt langsam, wir gewöhnen uns ans Reisen. Einige lesen, andere schlafen. Zwei Männer im hinteren Ende des Busses unterhalten sich über Immigration, vergleichen ihre Erfahrungen. Ich stricke, esse, lese, schlafe, schaue aus dem Fenster. Diese orangene Nacht scheint ohne Ende.

23:12 Brüssel. Die meisten steigen aus, neue Passagiere steigen ein. „Is there a seat left for a French guy?” Der „French guy” ist groß und langhaarig. Ich winke. „Here!” Er heißt Auguste und ist Koch in Bristol.

01:30 Calais. Habe ich die Niederlande verschlafen? Der Hafen ist riesig und liegt wie verlassen da. Kalte Lichter beleuchten unzählige Container, die sich von Horizont zu Horizont erstrecken. Wir verlassen den Bus, um unsere Pässe vorzuzeigen. Erst den französischen, dann den britischen Grenzbeamten. Diejenigen, die nicht aus einem EU-Land kommen, müssen ein Formular ausfüllen und werden von den Beamten gefragt, warum sie sich wie lange wo aufhalten werden. Ich bin tierisch müde und mir sicher, dass mein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit verknittert sein muss, aber sie winken mich einfach durch. Sie befragen nur Leute, die nicht „weiß” sind, und ich fühle mich komisch damit.

Zurück in den Bus und warten, dass wir auf die Fähre dürfen. Ein älteres Paar direkt hinter mir führt ein seltsames Gespräch. Er ist ganz offensichtlich Engländer und befragt sie in perfektem Standardenglisch über das Buch, das sie gerade liest. Sie ist Deutsche und antwortet auf Englisch mit einem starken deutschen Akzent und hier und da eingestreuten deutschen Wörtern. Einige ihrer Kauderwelschsätze müssen jemandem, der kein Deutsch spricht, vollkommen sinnlos vorkommen. Aber die beiden scheinen einander einwandfrei zu verstehen.

2:06 Wir werden von der gigantischen Fähre verschlungen. Alles steigt aus und sucht sich im Speisesaal einen netten Platz in einem Sessel oder Sofa. Einige scheinen diese nächtlichen Reisen regelmäßig zu unternehmen, denn sie steuern direkt die bequemsten Ruhestätten an. Ein Mann hat sogar seinen Schlafsack mitgebracht. Ich würde mir eigentlich gerne das Meer bei Nacht ansehen, aber ich bin viel zu müde, also tue ich es den anderen gleich und schlummere auf einer Ledercouch ein.

Später stehe ich doch noch auf, um das Nachtmeer zu betrachten. Es ist schwarz und schön, mit Strähnen von weißem Schaum. Gib mir eine frische Brise in Gesicht und Haaren, und ich bin glücklich, wo ich auch bin. So geht es mir immer mit dem Meer.

3:30 Dover. Die Zeitverschiebung hat uns eine Stunde geschenkt. Zurück in den Bus und in den Linksverkehr. Die Straßen sind eng, gewunden und von Büschen gesäumt. Das orangene Licht ist tiefer Dunkelheit gewichen, und aus irgendeinem Grund fahren wir in halsbrecherischem Tempo. Ob der Fahrer Kilometer und Meilen verwechselt? Ich schlafe wieder ein.

01buckpalaceLondon – fette graue Eichhörnchen und Buckingham Palace
5:00 London. Nieselregen in der kalten Nachtluft. Mit meinem Rucksack streife ich durch die Victoria Station und suche einen Geldautomaten. Schließlich halte ich meine ersten 100 Britischen Pfund in der Hand. Frühstück. Ich lasse den Rucksack in der Gepäckstation. Als Nächstes brauche ich eine SIM-Karte für Großbritannien. Als ich zwei englisch aussehende Damen nach dem nächsten Kiosk frage, stellen sie sich als Norwegerinnen heraus, ausgerechnet aus der Stadt, in der ich vor Jahren ein Erasmus-Jahr verbracht habe. In Bezug auf die SIM-Karte können sie mir nicht helfen, aber wir quatschen eine Weile auf Norwegisch und det er bare så hyggelig å snakke norsk igjen!

Zum Schluss bekomme ich meine SIM-Karte in einem kleinen Laden im Bahnhof. Der Verkäufer sieht indisch aus und ist sehr nett. Mit meiner neuen Karte kann ich in Bangladesh, China und Indien für 1 p/min anrufen. Nach Deutschland kostet es 5 p/min.

8:00 Endlich wird es hell in London, ein grauer Tag bricht an. Ich habe noch 5 Stunden, bis mein Bus fährt, und weil Buckingham Palace in der Nähe ist, beschließe ich eine Besichtigung. Der Verkehr ist irre. Autos kommen regelmäßig aus den unmöglichsten Richtungen. Aber die BritenInnen sind freundlich und umsichtig und haben alle Fußgängerüberwege mit kleinen Schildern ausgestattet, auf denen die Richtung der heranfahrenden Autos angegeben ist. So gelange ich jedes Mal sicher auf die andere Straßenseite.

Auf dem Weg liegt St. James’s Park mit weiten Rasenflächen, wunderschönen alten Bäumen und Massen von fetten grauen Eichhörnchen. Diese fürchten Menschen nicht im Geringsten und bedenken mich mit strengen Blicken, wenn ich vorbeigehe, ohne sie zu füttern. Es gibt auch Massen von Krähen, aber die sind höflicher.

Buckingham Palace ist hübsch, aber die Queen sehe ich nicht. Nur Gruppen von TouristenInnen. Ich bitte eine von ihnen, mich vor dem Buckingham Palace zu fotografieren. Jetzt habe ich ein Foto von mir vor dem Buckingham Palace! Ich spaziere zurück, verlaufe mich, frage jemanden nach dem Weg, gelange wieder zur Victoria Station und ruhe mich aus. Ich bin ziemlich k.o., setze mich zum Mittagessen auf eine Bank. Irgendwie schlage ich die verbleibende Zeit tot und finde mich schließlich auf einem Plastiksitz vor dem Gate wieder.

Mit dem Bus nach Manchester
12:00 Der Warteraum ist ziemlich voll und ich bin beeindruckt von dem multikulturellen Anblick. Es gibt ebenso viele weiße wie schwarze und asiatisch aussehende Menschen, das gefällt mir gut. In so einer gemischten Gruppe, fällt niemand mehr besonders auf.01squirrel

Plötzlich höre ich hinter mir Geschrei. Ein Mann steht vor einer sitzenden Frau und brüllt sie an: „Get out of my house! You have been here for only five minutes! Get out of my house!” Er ist weiß, sie ist schwarz. Alles erstarrt und schaut zu den beiden hinüber. Obwohl ich keine Britin bin und mit dem verrückten Typen nichts zu tun habe, schäme ich mich für ihn. Endlich jagt ein Mann ihn fort, und eine Frau ruft ihm nach: „Get a life!” Dann entschuldigt sie sich bei der schwarzen Frau.

12:30 Unser Bus ist da, das Gate geöffnet. Alle stellen sich brav in eine Schlange und zwei sehr nette Männer kontrollieren unsere Ticket und verstauen unser Gepäck. Völlig erschlagen sinke ich in meinen Sitz und schlafe ein.

17:30 Manchester. Wieder ist es Nacht. Ich schleppe mich aus dem Bus und die Straße hinunter zum Treffpunkt mit meiner Gastmutter. Da steht sie, mit offenen Armen. Wir sind einander noch nie begegnet, aber sie empfängt mich so herzlich, als sei ich eine lang verschollene Tochter. Da bin ich nun, endlich angekommen in Manchester, meinem Zuhause für die kommenden drei Monate.


Veronika schreibt ihre Artikel regelmäßig auch auf Englisch. Die Englische Übersetzung findet ihr hier. Und Teil II hier.

(Text und Fotos: Veronika Schubert)

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