Brennpunkte

“Wohnst du noch, oder lebst du schon?”

Es ist die Symbolfigur Schwedens in Deutschland und lebt von dem kundennahen, sympathischen Image: IKEA. Doch diese Darstellung hat gravierende Risse bekommen; der Konzern ließ jahrelang in der DDR Vorprodukte von Zwangsarbeitern unter unwürdigen Bedingungen herstellen. Bedeutet dieser Skandal, dass IKEA seine Glaubwürdigkeit verloren hat?
[divide] Wer kennt nicht den Werbeslogan des Möbelkonzern IKEA, der sich gerne selbst als lustiges, menschenfreundliches Unternehmen inszeniert. IKEA ist heute die größte Haushaltsmöbelmarke der Welt und der Katalog ist nach eigener Aussage „weltweit das größte Druckerzeugnis nach der Bibel und den Harry-Potter-Büchern”.

Mittlerweile ist Deutschland der wichtigste Markt der Firma. Heutzutage gilt IKEA bei uns fast als Sinnbild für die schwedische Kultur. Sie nutzen das allgemein verbreitete positive Schwedenbild und exotische Bräuche, wie das Knut-Fest, bei dem Weihnachtsbäume aus dem Fenster geworfen werden, um sich möglichst sympathisch darzustellen.

Echt schwedisch oder Zwangsarbeit?
Auch das Unternehmen selbst bezeichnet sich als echt schwedisch und gibt auf seiner Webseite an, „die schwedische Kultur ist geprägt von Einfachheit, Gleichheit und Offenheit für andere Einflüsse. Diese Werte werden auch bei IKEA gelebt”. Ihrer Aussage nach ist die schwedische Grundidee, dass alle Menschen gleich wichtig sind. Doch dieser unschuldige Schein trügt. Wie IKEA selbst zugeben musste, wurden in der Vergangenheit Vorprodukte für die Fertigung von IKEA-Möbeln von politischen Gefangenen in der DDR produziert.

Dieser Vorwurf wurde durch eine von IKEA selbst in Auftrag gegebene Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmens Ernst & Young bestätigt. Das Ergebnis der Untersuchung, dass „in der DDR in den 1970er und 1980er Jahren IKEA-Möbel zum Teil durch politische Häftlinge in Haftzwangsarbeit hergestellt wurden”, ist für IKEA vernichtend. Darüber hinaus hatte der Konzern spätestens ab dem Jahre 1981 Kenntnis über den möglichen Einsatz politischer Gefangener in einzelnen, der für das Unternehmen relevanten Produktionsstandorten und/oder Zulieferbetrieben der DDR”.

Ein moraliches Dilemma
Zwar habe IKEA versucht, diesen Einsatz zu unterbinden, die Maßnahmen seien aber nicht wirkungsvoll genug gewesen. Aus Datenschutzgründen wurde nicht die gesamte Studie veröffentlicht, sondern nur eine Zusammenfassung herausgegeben. Bei den Häftlingen handelte es sich meist um politische Gefangene, also keine Gewaltverbrecher, sondern Bürger der DDR, die lediglich gegen die Politik der Staatsführung protestierten – beispielsweise durch Flugblattaktionen, Demonstrationen oder auch Versuche, in den Westen zu fliehen.

Jeglicher Protest gegen die Führung der DDR hatte drastische Strafen wie lange Haft, Ausbürgerung oder Ähnliches zur Folge. Zu diesen Strafen gehörte  die Zwangsarbeit, welche auch dem eigentlich „freiheitlichen” Westen dienlich waren, um den eigenen Profit zu steigern.

Dieser Skandal passt natürlich schlecht zur sympathischen Außendarstellung IKEAs, die sich durch Gleichheit, Fairness und Freiheit kennzeichnen soll. Doch das ist nicht das einzige Problem des Unternehmens. Gerade ein Konzern wie IKEA, welcher Zwangsarbeiter beschäftigte, gleichzeitig aber von sich selbst behauptet, dass die Menschen ihm an erster Stelle stehen, hat ein massives moralisches Problem.

Noch heute keine idealen Produktionsbedingungen
Natürlich ist dieser Skandal lange her, doch IKEA produziert heute noch 22 Prozent seiner Fertigung in China. Auch in anderen Ländern mit äußerst fragwürdigen Arbeitsbedingungen wie Bangladesch und Thailand arbeiten Zulieferbetriebe des Unternehmens.

Im Kontext der DDR-Zwangsarbeit stellt sich nun die Frage, ob ein Unternehmen das früher skrupellos schlechte und günstige Arbeitsbedingungen ausgenutzt hat, dies heute nicht auch noch in diesen Ländern tun sollte. Aber selbst die Produktion IKEAs in Europa ist in letzter Zeit in die Negativschlagzeilen gekommen.

So demonstrierten im November letzten Jahres Arbeiter eines IKEA-Zulieferers im italienischen Piacenza gegen schlechte Verträge und unbezahlte Überstunden. Dieser erneute Verstoß sorgt nicht gerade dafür, das angekratzte Image IKEAs aufzubessern und entkräftet auch nicht den Verdacht, sie würden schlechte Arbeitbedingungen ausnutzen.

Glaubwürdigkeit gehört zum Image
Die Vorwürfe treffen den Konzern letztlich an ihrer empfindlichsten Stellen, seiner Glaubwürdigkeit. Dies ist gerade für IKEA dramatisch, da ein Großteil des Marketings auf seinem positiven Image basiert. Kann man einem Unternehmen mit einer solch dunklen Vergangenheit heute noch vertrauen und ohne ein schlechtes Gewissen dort einkaufen?

Es sollte daher im Interesse von IKEA selbst sein, den Sachverhalt lückenlos zu klären und auch im Bezug auf die heutige Produktion transparent zu sein. Ob der DDR Skandal unvoreingenommen untersucht wurde, bleibt aber mehr als fraglich, da große Teile der Untersuchung nicht veröffentlicht wurden und diese durch Ernst & Young von einem Unternehmen durchgeführt wurden, das seit Jahren mit IKEA zusammengearbeitet hat.

Die wohl wichtigste Lehre aus dieser Enthüllung ist, dafür Sorge zu tragen, dass ein solcher Skandal nicht noch einmal vorkommen kann. Das bedeutet für IKEA, dass kein Produkt, und sei es die kleinste Schraube, von Zuliefern mit fragwürdigen Arbeitsbedingungen stammen darf, auch wenn dies für das Unternehmen mit deutlichem Kostenmehraufwand verbunden wäre. Außerdem sollte IKEA was seine Vergangenheit, aber auch die heutige Arbeit betrifft, deutlich transparenter auftreten. Fest steht allerdings, dass der Skandal dem Unternehmen faktisch bisher nicht geschadet hat. So stieg im vergangenen Geschäftsjahr der Umsatz um 9,5 Prozent.

(Text: Maximilian Stenger)

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