Erst merkt man es gar nicht. Erst denkt man, das passiert nur den anderen. Aber irgendwann kommt jeder einmal an diesen Punkt, an dem er am liebsten vertuschen würde, wie viele Semester er schon auf dem Buckel hat. Nirgends sonst ist eine gesellschaftliche Gruppe so mannigfach, wie im Studentendasein.


Es gibt wohl selten Lebensphasen, in denen eine solch große Gruppe an vollkommen unterschiedlichen Menschen aufeinander treffen. In der Schule war noch alles recht homogen, und in der Arbeitswelt herrscht sowieso eine andere Hierarchie, der man sich mehr oder weniger anpassen muss. Anders aber in der Welt der Studenten: Nicht nur durch G8, der Abschaffung der Wehrpflicht und der Umstellung auf Bachelor- und Masterstudiengänge kommt es zu einer Aggregation heterogener Gruppierungen.
Auch der Trend, ein halbes Jahr als Au-pair in Australien zu verbringen und die unausgesprochene Pflicht, mindestens ein Semester an einer ausländischen Uni zu studieren, tragen dazu bei. Student-Sein ist mehr als ein weiterer Schritt im Lebenslauf. Es ist ein Weg von vielen – und deshalb in fast jedem Alter ausführbar.

Etwa einen Monat vor dem Beginn der Uni ist es soweit: Die älteren Studenten verbringen ihre Semesterferien damit, in der Bibliothek ihres Vertrauens endlich Bücher für ihre Abschlussarbeit auszuleihen – oder dort abzugeben. Die Leihfrist ist dabei gerne mal zu Ende, bevor sie dazu kamen, einen Blick in die Literatur zu werfen.
Nur ein Gebäude weiter raunen und staunen die Muttis der gerade mal 18-Jährigen über die lange Schlange zur Einschreibung bei der Studentenkanzlei. Hier tummeln sich junge Leute, die ihr Abiturzeugnis unter dem Arm halten und ehrgeizige Mütter, die sich mit anderen Frauen über die katastrophale Wohnungssituation in der Universitätsstadt XY unterhalten.

Es ist ein Phänomen, wie es jedes Semester aufs Neue aufflackert. Langzeitstudenten und Fast-schon-Studenten begegnen sich auf den Fluren des Prüfungsamtes und geraten aneinander als koffeeinabhängige Junkies, die ihren Drittversuch auf die leichte Schulter nehmen versus engagierte Frischlinge, die die Welt verbessern wollen. Jogginghose trifft Hemd mit Schal, Elfi trifft Ersti, Abgeklärtheit trifft Aufregung, Kein-Geld-für-Frisör trifft Undercut-Frisur.

Platz machen für die Jüngeren
Es gibt da so eine magische Grenze, an der man bei neuen Bekanntschaften im Club mit der Anzahl seiner Hochschulsemester und bereits abgegebener Hausarbeiten keinen Eindruck mehr hinterlässt, sondern Abschreckung erzeugt. So läuft das im Leben: die jüngere Generation löst die ältere Generation ab.
Die Alteingesessenen profitieren vielleicht noch von der langjährigen Freundschaft zum Barkeeper, der einem das Bier immer fünfzig Cent billiger gibt. Dafür sind es die jungen Erstis, die mit mindestens zwanzig Kumpels in die Bar schlittern, vom Türsteher mit Küsschen empfangen werden und auf dem Weg zur Toilette zehn Hände zur Begrüßung schütteln.

In einer Studentenstadt feiern Leute, die der neuen Flamme ihren Facebook-Namen buchstabieren und Leute, die noch Handynummern austauschen. Menschen, die sich ohne Weiteres einen Kranz Kölsch-Bier bestellen und Menschen, die überschlagen, wie viele Kalorien der neue Cocktail haben könnte, weil das ganze süße Zeug plötzlich so schnell ansetzt.

Die langweilige Horde nimmt den jungen Wilden den Platz zum Tanzen weg. Sollten es sich die Alten nicht lieber daheim auf dem Sofa gemütlich machen und ein Gläschen Rotwein schlürfen – während sich die Jungen über den harten Alkohol freuen, den sie sich ohne Zücken ihres Personalausweises kaufen konnten? Sollte nicht eine Trennung geschehen zwischen denjenigen, die drei Mal pro Woche zehn verschiedene Schnapssorten trinken und am nächsten Morgen trotzdem in die Einführungsvorlesung schlurfen können – und denjenigen, die nur noch gefühlte drei Mal schlafen müssen, um zu Ü30-Partys eingeladen zu werden?

Beziehungsstatus: Es ist kompliziert versus Verheiratet

Studenten. Das sind die Leute, die im Seminar nebeneinander sitzen und den gleichen Kopierer in der Bibliothek benutzen, aber verschiedener nicht sein können. In den Uni-Gebäuden wimmelt es voller Kerle, deren Bartwuchs gerade erst ansetzt und Männern, deren Haarwuchs am Kopf bereits wieder aussetzt.
In der Mensa versammeln sich Burschen, die sich über ihre bestandene Führerscheinprüfung unterhalten und Mannsbilder, die über ihre Diplomarbeit diskutieren, für die sie schon seit drei Semestern eine Verlängerung beantragen.

Es geht um Leute, die sich noch alles offen halten und Leute, die es schon gewagt haben, eine Entscheidung zu treffen. Es ist ein Zusammenkommen von Menschen, die ihr Saufgelage noch unter Jugendsünde abhaken können und Menschen, die kein Kindergeld mehr bekommen.
Mütter, die den exklusiven „Eltern-Baby-Schrank” in der Garderobe benutzen dürfen, heimlich das Bio-Banane-Hipp-Gläschen in die Bibliothek einschleusen und ihren Kleinkindern weismachen wollen, dass sie hier still sein müssen. Erstis, die ihre Ausbildungsinfo auf dem Studi-VZ-Profil um den Namen ihrer Universität erweitern, sich für unbezahlte Praktika bewerben und die Kollegen vom Kneipenabend des Einführungstages auf Facebook suchen.

Die vielfältige Rolle des Studenten
Unter den Studenten tummelt sich die Sorte von Leuten, die die Witzchen des Professors auf Folie 45 schon auswendig mitsprechen können und es vereinigen sich solche Kandidaten, die ihre Vorlesung im warmen Bettchen anhören, weil sie neuerdings auf dem Studentenportal kostenlos downloadbar ist. Es geht um Studenten, die ihre kaffeebeschmierten Papierscheine in irgendeiner alten Kiste horten und Studenten, die per E-Mail benachrichtigt werden, sobald sie als einer von 2000 die Einführungsvorlesung bestanden haben.

Sie wohnen nebeneinander im Studentenwohnheim, sie verschlafen Vorlesungen, sie nutzen ihren Ausweis zum kostenlosen Busfahren, sie kratzen am Ende jedes Semesters die Studiengebühren zur Rückmeldung zusammen. Sie drucken sich Skripte aus und lernen dann doch nur die Zusammenfassung von der Sitznachbarin auswendig, und sie googeln alle, wie das ist, wenn man mal bei einer Klausur krank machen muss.
Sie sind so verschieden und sich doch so ähnlich. Erst merkt man es gar nicht. Erst denkt man, das passiert nur den anderen. Aber irgendwann kommt jeder einmal an den Punkt, an dem er zu schätzen weiß, wie wunderbar bunt die Studentenwelt wirklich ist.

(Text: Christina Hubmann)

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  • Christina Hubmann

    Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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Von Christina Hubmann

Christina wollte eigentlich mal Busfahrer werden, ehe sie sich entschloss, doch "irgendwas mit Medien" zu machen. Schreiben tut sie nämlich schon immer gern. Und wie das Leben ohne dieses Internet funktioniert hat, fragt sie sich schon seit Längerem - erfolglos.

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