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Das Reisen als Trend

In den vergangenen fünf Monaten war Martin in 40 Ländern. Wir treffen uns in Kenia und es ist eines der ersten Dinge, die ich über ihn weiß. Für ihn eine kleine Zwischenstation, immerhin sechs Wochen wird er in Nairobi sein. In manchen der 40 Ländern war er nur ein paar Stunden.[divide]

LändersammelnEs ist ein Kräftemessen – das „höher, weiter, schneller“ unter Backpackern ist es, möglichst viele Länder in möglichst kurzer Zeit für möglichst wenig Geld abzuhaken. Wer in Hostels nur von 20 Ländern berichten kann, in denen er war, hat quasi nichts gesehen, keine Erfahrung und sowieso. Und wer nicht ins Hostel geht, geht verschwenderisch mit seinem Geld um.

Das Reisen ist ein Trend. Und wie Trends es so an sich haben, ziehen sie auch jene an, die nur mitmachen wollen. Es geht nicht mehr um das Reisen, das Erleben, das Genießen, sondern darum, möglichst viele Fähnchen in die Landkarte zu stecken.

Wer möglichst billig reist, höre ich oft, der reist eben authentisch. „Mit Locals in Kontakt kommen“, „wie die Locals reisen“ und solche Dinge. Dabei ist es bei vielen dieser Ländersammlern genau das nicht. Sie reisen nur günstig, weil sie keine Zeit zum Erleben haben. Weil sie weiterwollen, weil nicht das Erleben einer neuen Kultur, einer anderen Mentalität, dem intensiven Treffen von Menschen im Fokus steht, sondern als möglichst weit gereist zu gelten. Es geht um den Kick am Reisen selbst, nicht um die Erfahrungen drum herum. Die wundervollen Erlebnisse, die prägnanten Begegnungen – das rückt in den Hintergrund.

Ich treibe mich viel in Reiseforen herum, stöbere, schaue mir Bilder an, höre mir Berichte an und entdecke so auch Reiseziele, die ich nicht sofort auf dem Schirm hatte. Aber die Beiträge „Was habt ihr für vier Monate in Südostasien so ausgegeben“ und „Mit wie viel muss ich bei zwei Monaten in Südamerika rechnen, wenn ich zehn Länder sehen möchte?“ nerven mich.

Reisen war noch nie mit Nachhaltigkeit verknüpft, vor allem Flugreisen nicht. Aber im Idealfall bildet Reisen. Es sorgt vielleicht dafür, dass wir bewusster leben, gewisse Dinge meiden. Es unterstützt in Entwicklungsländern vielleicht Einheimische, die klein in den Tourismus eingestiegen sind. Wer Reisen aber nur des Ländersammeln wegen unternimmt, der ruiniert auch viel. Wer möglichst billig Ressourcen nutzt, und nichts zurückgibt, schadet.

Aus dem angedachten Kulturaustausch und der Gastfreundlichkeit bei Courchsurfing wird ein „dort kann ich umsonst wohnen“, aus dem Lebensgefühl Trampen ein „umsonst von A nach B kommen“. Mit Einheimischen wird um jeden Cent gefeilscht, weil Einheimische das ja auch für einen günstigeren Preis haben können. Aber verdienen sie nicht auch viel weniger als wir? Ist es nicht auch ein wenig die Pflicht von Reisenden, dort zu unterstützen, wo sie Ressourcen nutzen? Nutzen wir nicht Infrastruktur, die subventioniert wird? Kurbeln wir die Wirtschaft an, wenn wir umsonst schlafen und reisen?

Erst kürzlich veröffentlichte The Observer einen Artikel über sogenannte „Bag-packers“. Weiße jungen Touristen, die in Hongkong, Thailand und Malaysia betteln, um sich ihre Reise finanzieren zu lassen. Was ist das für ein Blick auf die Welt? Wie naiv und respektlos kann man reisen? Ist das noch reisen?

Reisen ist immer eigennützig. Aber vielleicht wäre es klug, sich hin und wieder selbst die Frage zu stellen: Was haben eigentlich andere von meiner Reise?

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Mehr Texte übers Reisen gibt es auf dem Reiseblog der Autorin: miriam-keilbach.com

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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