Sport

Große Bühne für das kleine Geschwisterchen

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Die Olympischen Spiele wurden vor einigen Wochen mit viel Pomp eröffnet und 302 Goldmedaillen später schlossen sich die Tore Londons wieder. Doch wer nach EM und Olympia den Fernseher ausschaltete, ist selber schuld. Denn ARD und ZDF begleiten, flankiert von Bundesligastart und US Open, zwei Wochen durch die XIV. Paralympics.

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Am gestrigen Montag war er dann auch endlich da – der erste wahre deutsche Goldregen. Die Speerwerferinnen Birgit Kober und Marie Brämer-Skowronek holten Gold, bzw. Silber und feierten damit einen schwarz-rot-goldenen Doppelsieg. Auch Diskuswerfer Sebastian Dietz und Tischtennisspieler Holger Nikelis hatten zuvor den paralympischen Sieg errungen.

Insgesamt liegt die deutsche Auswahl auf dem siebten Rang des Medaillenspiegels. Acht Goldmedaillen von insgesamt 503 gingen  bisher in die Bundesrepublik, Tendenz steigend. Dominiert wird das Tableau wie auch bei Olympia von China. Ebenfalls mit dem Londoner Heimvorteil ausgestattete Briten liegen hier sogar noch einen Platz besser als bei Olympia. Team GB ist zweiter im Medaillenspiegel bis dato.

Raus aus dem Schattendasein
Doch können die Paralympics aus dem Schatten des übermächtigen Bruders Olympia treten? Wie ist die Resonanz für die Spiele nach den Spielen in London? Die Eröffnungsfeier sahen in der ARD durchschnittlich 1,8 Millionen Menschen, das sind immerhin 600.000 mehr Zuschauer als noch 2008 bei den Paralympics in Peking. Der Marktanteil stieg damit um 1,1 Prozent auf 12,6.

Es sind insgesamt 65,5 Stunden Sportunterhaltung, die ARD und ZDF da dem Zuschauer entgegenschleudern, als gäbe es kein Morgen mehr. Wer nach Olympia immer noch nach Sport dürstet, der kann sich bei den Paralympics mit mehreren Stunden (Live-)Berichterstattung sattsehen.

Die Paralympics schälen sich also sukzessive aus dem Schattendasein. London gibt eine große Bühne ab für das einstige kleine Geschwisterchen. Die Medien und die Gesellschaft verfolgen das Spektakel gebannt. Wer einen Blick ins Londoner Olympiastadion wirft, der wird sich wundern, wie wenig freie Plätze dort zu sehen sind. Es ist eine gebührende Anerkennung für die großartigen Leistungen der Sportler.

Die Geschichte der Spiele
1948 fanden die ersten Spiele für Rollstuhlfahrer statt, seit 1960 sind die Spiele fester Bestandteil des Sportkalenders. 1992 erfolgte die Kopplung an die Olympischen Spiele, denn jeweils drei Wochen nach diesen folgt das paralympische Pendant.

Der Begriff Paralympics setzte sich zunächst zusammen aus Paraplegic (englisches Wort für gelähmt) und Olympic. Da jedoch nicht nur gelähmte Sportler antreten, wurde die Definition des Begriffs neu geschrieben. Para steht nun für neben (griechisch), was das Nebeneinander von Olympia und Paralympics ausdrücken soll.

Es sind sechs Behinderungsklassen, in die die Sportler und Sportarten unterteilt werden. Es treten an Amputierte, Sehbehinderte, Sportler mit Zerebralparese (Menschen mit einer Beeinträchtigung des Bewegungsablaufes durch eine Schädigung in einem Steuerzentrum des Gehirns), Rollstuhlfahrer, Kleinwüchsige und alle anderen mit Behinderungen, die nicht in die fünf vorherigen Klassen eingeordnet werden können.

Pistorius und die endlose Diskussion
Bei der aufkeimenden Debatte um den Sprinter Pistorius scheint es derzeit, als müsste eine siebte Klasse, nämlich die technische geschaffen werden. Zunächst war der Südafrikaner mit den Karbonbeinen bei Olympia angetreten und hatte so große Diskussionen ausgelöst. Die Frage schwebte durch London, ob Pistorius sich durch die Prothesen einen Vorteil verschaffe. Eine Olympische Medaille verpasste er letztendlich klar.

Doch Pistorius tritt nun drei Wochen später auch bei den Paralympics an und setzt eine ähnliche Diskussion in Gang. Diesmal ist nicht er der vermeintliche Bösewicht, vielmehr hat sich Pistorius auf den Brasilianer Olivera eingeschossen, der ihn über 200 Meter besiegte. Sein Kontrahent habe zu hohe Stelzen gehabt, daher sprach Pistorius Sekunden nach der Niederlage von einem unfairen Rennen.

Zwar ruderte der einstige Weltrekordhalter einen Tag später zurück: „Ich wollte niemals den Moment des Triumphes eines anderen Athleten schmälern”, dennoch bleibt ein fader Beigeschmack. Schade, dass eine derartige Diskussion überhaupt erst die sportlichen Höchstleistungen überschattet.

Bei allen wettbewerbsimmanenten Querelen und Diskussionen bleibt für die Londoner Paralympics die Erkenntnis, dass sich die vermeintlich kleine Schwester nicht mehr verstecken muss. Sicherlich haben die Paralympics noch nicht die durchdringende Strahlkraft wie Olympia, doch wer sich nur ein paar Minuten den Livebildern hingibt, der kommt so schnell nicht mehr los.

 

(Text: Jerome Kirschbaum / Bild: joanamary, flickr.com)

 

Jerome K.

Jerome schreibt am liebsten über Sport, wenn er denn nicht selbst auf einem Platz steht. Seit Oktober 2010 verdingt sich Jerome als Schreiberling für back view, neben den Leibesübungen widmet er sich sich auch politischen Themen. Im wahren Leben musste Jerome zahlreiche Semester auf Lehramt studieren, um dann schlussendlich doch etwas ganz anderes zu werden.

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