„Wenn die Weltbevölkerung weiter so wächst, gibt es bald nur noch Stehplätze“, prognostizierte einmal der Journalist Hans Borgelt. Zwar ließe sich die gesamte Menschheit auf der Fläche der Stadt New York versammeln, doch wird es langsam immer enger. Bereits über 7,5 Milliarden Menschen suchen ihren Platz in den immer dichter gedrängten Städten und Netzwerken der globalen, digitalen Welt. Wo stehen wir heute? Sind wir inzwischen Freunde geworden oder besser gefragt lass uns Freunde bleiben. Eine Freundschaftsanfrage an die Freundschaft.[divide]
Freu(n)de fürs Leben
Es ist drei Sekunden vor zwölf, drei Sekunden zwischen Jäger und Sammlern, Freunden und Followern. Betrachtet man die Weltgeschichte als einen Tag, so erblickt der Mensch zu diesem Zeitpunkt zum ersten mal die Erde, doch hat er diesem Planeten in dieser Zeit wohl ein Gesicht, wie keine andere Spezies zuvor gegeben. 100.000 Jahre Menschheitsgeschichte, voller Ideen und Irrtümer, voller Technologien, Philosophien und leider auch Ideologien auf der Suche nach Antworten. „Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was kann ich hoffen? Was ist der Mensch “, fasst der Philosoph der Aufklärung Immanuel Kant die Menschheitsgeschichte zusammen, anders gefragt: „Was ist der Sinn des Lebens?“
Alle Existenz ist ein Frage zwischen Leben und Tod und der Mensch ist mittendrin, die Lücke zu füllen.„Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft“, wie Humphrey Bogart wusste.
Was kann ich wissen?- Ich und du und die anderen
„Über die Entstehung der Arten“, begründete die Evolutionsforschung mit dem survival of the fittest. Galt anfangs noch das Paradigma des Recht des Stärkeren, hat sich inzwischen der Grundsatz von der Macht der Gemeinschaft durchgesetzt. Erfolgte die Vermehrung des Lebens zunächst als einfache Zellteilung, erwies sich bald die Durchmischung der Gene als resistenter gegen den Selektionsdruck. Gemeinsam war es leichter, die Gene einer Art an die nachfolgenden Generationen weiterzugeben.
Zudem signalisiert Altruismus die Möglichkeit eines Individuums mehr Ressourcen aufzubringen als eigentlich notwendig wären. Das Individuum macht dabei deutlich, dass es überlebensfähig ist, sich um die Nachkommen zu kümmern. Altruismus, von lateinisch alter, der andere, macht deutlich, dass es von Vorteil sein kann an andere zu denken, da sie auch an einen selbst denken. Altruismus baut verlässliche Beziehungen auf, senkt Transaktionskosten, stärkt die Gruppe.
Was soll ich tun? Eine Welt der Welten
Genau dies müssen sich auch die ersten Menschen gefragt haben, also kamen sie zusammen. In diesem Naturzustand ohne Gesetze und Regeln mag der Mensch dem Mensch zwar ein Wolf gewesen sein, doch bereits dieser menschliche Wolf jagte immer im Rudel. „Macht euch die Erde Untertan“, war die Lehre aus dem Garten Eden. Also begannen die Menschen sesshaft zu werden. Auf den ersten Feldern wurde jede Hand gebraucht, die ersten Dörfer entstanden. Die ersten Ernten waren aber nicht nur gegen den Hunger sondern auch Gedankenfutter für Erfindungen, wie den Kalender oder das Rad und den Pflug. War die Welt für viele noch ein Dorf ermöglichte es der technische Fortschritt einzelnen außerhalb der Grenzen ihres Dorfes zu denken, aus Dörfern wurden Städte, aus Verwandten wurden Fremde.
Beruhte der Zusammenhalt auf dem Dorf aus der Verwandtschaft seiner Bewohner, so wuchs die Stadt mit ihren Aufgaben. Kunst und Kultur, das Handwerk und die Religion florierten in den Städten, boten diese den Menschen doch Schutz und Arbeit, fernab der lehensbasierten Landwirtschaft. “Stadtluft macht frei,“ und schuf Raum für Ideen und Innovationen. Dabei ging es längst nicht darum das Rad neu zu erfinden, erfanden sich die Städte doch selbst mit jedem neuen Bürger immer wieder neu, indem sie stets neue Aufgaben für ihre Zuwanderer schuf.
Die Physiker Geoffrey West und Luis Bettencourt bewiesen mit der „Stadtgleichung“, die positiven Effekte des Zusammenlebens in der Stadt. Während die Kosten für Infrastruktur mit steigender Stadtgröße abnehmen, erhöhen sich im Gegenzug Patente, Investitionen und Löhne. Heute sind daraus Global Cities wie London, New York oder Tokyo mit über 10 Millionen Einwohnern geworden, die strategische Bedeutungen für die Weltwirtschaft haben.
Digitale Technologien machen es möglich, strategische Entscheidungen von überall auf der Welt für überall in der Welt zu treffen. Aber diese schöne neue Welt hat auch eine Schattenseite. In Städten wie New York oder Mumbai, den großen Metropolen der Welt leben die meisten Millionäre aber auch die meisten Obdachlosen. Der Begriff des Jetset heute hier morgen dort ist längst nicht mehr aktuell. Immer nie, überall und nirgendwo beschreibt es wohl besser. In seinem Werk „Netzwerkgesellschaft“ erläutert der Soziologe Manuel Castells einen Strom aus Informationen, Kapital und Menschen, die tagtäglich global unterwegs sind, sich an den Knotenpunkten dieser Welt, den angesagtesten Business Locations treffen. Während eine Gruppe aus mobilen, flexiblen und hochqualifizierten Weltbürgern ständig unter Strom steht, so geht den sesshaften, weniger flexiblen und weniger qualifizierten Bürgern einer Stadt langsam die Stadtluft aus. Die Stadt beginnt zu polarisieren.
Was kann ich hoffen?- Freund oder Feind?
„Eine Stadt aus gleichen kann nicht existieren“; stellte einst der griechische Philosoph Aristoteles fest. Aber gleichzeitig gibt er auch zu bedenken, das eine Freundschaft nur unter gleichen möglich ist, sonst wäre es Hierachie oder Ehrerbietung. „Die Welt zu Gast zu Freunden“ war das Motto der Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland, nur ist diese Welt nicht mehr nur Gast sondern fester Bestandteil unserer Städte. Bewies das „Kleine Welt Phänomen“ des Psychologen Stanley Milgram in 1960er Jahren, dass jeder Mensch über sechs Bezugspersonen mit jedem Menschen verbunden ist, so ist heute jeder Facebook User mit jedem anderen auf der Welt über nur 3,5 Facebookfreunde vernetzt.
Aber fühlen wir uns einander auch verbunden? Zunehmendes Misstrauen, Vorurteile und Egoismen zwischen Nationen, Religionen und Kulturen sowie eine zunehmende Segregation der Städte in angesagte urban lifestyle Quartiere und soziale Brennpunkte, eine zunehmende Polarisierung zwischen arm und reich lassen daran zweifeln. „The urban space is built contradiction“, summiert der franzöische Philosoph Henri Lefvebre. Was ist also zu hoffen, zu erwarten in einer Welt, die immer grenzenloser wird und doch so viele an ihre Grenzen bringt? Jede Stadt mit ihrer Heterogenität bringt Reize aber auch Reserviertheit mit sich, wie einer der Urväter der deutschen Soziologie Georg Simmel schon um 1900 formulierte.
„Willst du dein Land verändern, verändere deine Stadt. Willst du deine Stadt verändern, so verändere deine Straße“, lautet ein arabisches Sprichwort. In „The death of great American Cities“ unterstricht die Aktivistin Jane Jacobs, wie wichtig es ist Leben auf die Straße zu bringen. Eine Lösung liegt also auf der Straße vor und unter unseren Füßen.
Was können wir hoffen? Wir wissen es schlicht nicht, wissen wir doch nicht einmal voneinander, trauen uns aber auch nicht zu fragen. Vorurteile machen das Leben einfach, aber sind auch einfach falsch. Unsicherheiten und Unwissen halten vom Kontakt ab.
Was können wir hoffen?- Gute Frage, gute Freunde!
Was sollen wir also tun? „Gute Freunde kann niemand trennen, gute Freunde sind nie allein, weil sie eines können für einander dazu sein.“ Gute Freunde sind solche, die zu uns stehen, obwohl und gerade weil sie uns kennen. Bereits 1954 formulierte der US Psychologe George Allport die Bedeutung der Kontakthypothese. Hiernach haben Mitglieder verschiedener gesellschaftlicher Gruppen, etwa Deutsche mit und ohne Migrationshintergrund, weniger Vorurteile, pflegen sie interethnische Freundschaften. Ähnlich wie Aristoteles sieht Allport die Anerkennung von Gleichheit als Grundlage für die positive Wirkung der Freundschaft.
Dazu muss es aber Bedingungen geben, sich näher kennen zu lernen. Projekte wie in den Vereinigten Staaten das Project for Public Spaces oder das Internationale Haus Nürnberg geben dazu erste Möglichkeiten. Erste Begegnungen erweisen sich dabei häufig als entscheidend, sie können Brücken bauen oder Gräben vertiefen. Daher ist der Kontext der Begegnung wichtig. Positive Kontakte wirken sich positiv aus, negative Kontakte negativ.
Der Linzer Theologie Franz Kaineder meint gar, Facebook habe den Begriff Freunde verzerrt, viel eher handle es sich oft eher um Bekannte, die jeder und jede im Laufe des Lebens ansammle. Jedoch kommt es auch hier auf den Kontext an. Die sozialen Medien ermöglichen es uns alte und neue Freunde zu finden, aber bergen auch das Risiko sich im Netz zu verlieren.
Es kommt digital und analog darauf an, wie wir uns vernetzen und dabei begegnen.
Beweise von Allports finden sich zahlreich in der Geschichte. So sandte der islamische Eroberer Saladin seinem Gegenspieler dem Kreuzfahrer König Richard seinen Leibarzt, als dieser bei der Belagerung von Akkon schwer erkrankt war. Ebenso verhalf die Hollywood Ikone Marilyn Monroe der farbigen Jazzsängerin Ella Fitzgerald zu einer großen Karriere. Der Wehrmachtspilot Franz Stigl sorgte während des Zweiten Weltkrieges dafür, dass der US-Pilot Charles Brown mit seinem beschädigten Flugzeug, nach einem Angriff auf Bremen sicher zu seinem Stützpunkt nach England zurückkehren konnte. Beide Piloten verband nach dem Krieg eine lebenslange Freundschaft. Eindrucksvoll ist vor allem das Weihnachtswunder von 1914 als verfeindete Heere für einige Zeit die Waffen niederlegten und gemeinsam in Frieden Weihnachten feiern konnten, sich gegen den Wahnsinn des Krieges stellten.
Globalisierung, Digitalisierung, Migration, Integration, Klimawandel, demographischer Wandel, die Herausforderungen unserer Zeit werden immer komplexer, die Suche nach Lösungen wird immer dringender. „Die Botschaft hör ich wohl allein mir fehlt der Glaube.“ „Vielleicht vergisst man zu schnell, dass Globalisierung nicht nur bedeutet, Märkte zu teilen sondern auch Probleme,“ ergänzt der Fußballtrainer Winfried Schäfer.
Wie sollen wir die Welt verstehen, wenn wir einander schon nicht verstehen?
„Make Friends, Freunde sollt ihr sein“, dazu rufen die Religionsoberhäupter auf.
Was ist der Mensch?- Freund statt Fremd
Es ist kurz nach Mitternacht, die Stunde für ein neues Zeitalter hat geschlagen. Die Menschheit hat sich nicht nur die Erde Untertan gemacht, ist in die Weiten des Weltalls vorgedrungen, sondern hat sich auch einen eigenen virtuellen Raum geschaffen.
Was ist der Mensch? Welchen Platz hat dieser in einer globalen, digitalen Welt noch?
„Γνῶθι σαυτόν“ Erkenne dich selbst“, stand einst über dem Orakel vom Delphi. „Wir brauchen andere menschliche Wesen um selber menschlich zu sein“, erläuterte der südafrikanische Bischoff Desmond Tutu. Der Mensch ist ein Zoon Politikon, ein auf die Gemeinschaft ausgerichtetes Wessen, wie Aristoteles zu dem Schluss kommt. Freundschaft ist eine freiwillige, persönliche Beziehung, die auf gegenseitiger Sympathie, Vertrauen und Unterstützung beruht, nicht aber auf Verwandtschaft. Vielmehr sind Freunde, die Familie, die man sich ausgesucht hat.
Die letzte Bedingung der Kontakthypothese betont die Bedeutung eines gemeinsamen Zieles. Dabei ist der Weg bereits das Ziel. Besonders deutlich wird dies am türkischen Wort für Freund, Arkadaş, übersetzt, der hinter einem steht. друг, russisch für Freund, heißt auch der andere, steht aber auch für miteinander. Der Weg führt in die Zukunft, so vieles wird geschehen. Doch wie es die Fans des FC Liverpool immer wieder betonen: „You never walk alone“.
Was die Zukunft auch bringen mag, darüber sind die Meinungen gespalten. Manches scheint unvereinbar, gar unvorstellbar, doch es muss es ja keine Liebe sein. Lass uns einfach Freunde bleiben. Egal was die Zukunft für Hoffnungen, Möglichkeiten, Ängste und Gefahren auch bringen mag, wie sehr sie auch zweifeln lässt, für all dies gilt: Ein Freund, ein guter Freund ist das beste was es gibt auf der Welt, oder anders gesagt: