Menschen

Ein Tag ohne ein Wort zu Reden

24 Stunden in vollkommener Stille. Was in buddhistischen Klöstern Gang und Gebe ist, kann man sich in der heutigen Zeit nur noch schwer vorstellen. Aber irgendwie hat das Schweigen auch einen gewissen Reiz. Ob es einen wirklich näher zu sich selbst bringt und wie man einen Tag ohne Worte übersteht, hat Carolin Schmitt im Selbstversuch getestet.

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Mein Alltag ist laut. Schon morgens weckt mich mein Handy mit Gloria Gaynor’s “I will survive”. Um dann richtig in Fahrt zu kommen, hilft meist nur das Radio. Kaum ins Auto eingestiegen, geht die Schallberieselung fröhlich weiter und an der Uni herrscht sowieso immer ein ständiges Stimmengewirr.

Doch heute wird alles anders. Es ist Sonntag, der Wecker ist aus und ich wache ganz ohne Musik auf. Da ich als armer Student wieder im „Hotel Mama” untergekommen bin, ist das Frühstück bereits gerichtet. Um mein Experiment nicht schon vor zehn Uhr beenden zu müssen, habe ich meine Eltern natürlich eingeweiht. Meine gewöhnliche morgendliche Begrüßung fällt heute flach. Ein freundliches, wenn auch noch müdes Lächeln muss reichen. Auch ohne Worte verstehe ich den Blick meiner Mutter, der mich anspornt durchzuhalten. Ihre Augen lachen und fordern mich heraus. Einen ganzen Tag schweigen – ob ich das durchhalte?

Frühstücken klappt gewöhnlicher Weise auch ohne Worte ganz gut. Auf die Butter kann man zeigen, wenn man sie braucht und der Kaffee steht in Reichweite. Da heute Sonntag ist, gibt es glücklicherweise auch nicht allzu viel zu besprechen – ein kurzes Nicken oder Kopfschütteln muss heute genügen. Mein Experiment befindet sich immer noch in den Kinderschuhen und doch merke ich schon einen Unterschied: Da ich sowieso nichts antworten werde, kann ich mich voll und ganz auf das Gesagte konzentrieren. Und da ich niemandem meine Meinung mitteilen werde, bin ich mehr amüsiert als gestresst von den Tischgesprächen. Der Morgen beginnt also ganz entspannt.

Mimik sagt mehr als tausend Wort
Ich erlaube mir, auf essentielle Fragen („Gehst du heute mit essen?”) mit Kopfbewegungen oder Schulterzucken zu antworten und reagiere auf die meisten Erzählungen vom Handballspiel des vorherigen Abends mit einem Schmunzeln. Da wird mir erst bewusst, wie viel man doch tatsächlich nur durch Mimik aussagen kann. Ich werde mir meiner Gesichtszüge plötzlich sehr bewusst.

Den Rest des Vormittages verbringe ich mit meinen Büchern auf der Couch – ohne Radio, ohne Fernseher. Ich wage zu bezweifeln, dass die Stille meiner Konzentration hilft, aber ich genieße es, einfach mal nichts zu hören. Mir wird klar, wie sehr Hintergrundgeräusche auch eine innere Unruhe hervorrufen. Es war mir vorher noch nie aufgefallen – ich gehöre zu den Personen, die immer Musik anhaben müssen – aber die totale Stille hat auch etwas für sich.

Während meine Eltern am Nachmittag mit der Familie zusammensitzen, bleibe ich allerdings alleine. Nur sehr kurz begebe ich mich in die gemütliche Runde. Lange genug für meine Mutter, um allen von meinem Experiment zu erzählen. Ich selbst grinse nur und nicke. In der großen Runde stellt sich die nonverbale Kommunikation doch etwas schwieriger dar, daher ziehe ich mich schnell wieder zurück.

Am Ende des Tages fühle ich mich völlig ruhig und vollkommen entspannt. Ich kann nicht sagen, dass es eine transzendentale Erfahrung war, aber einen Tag schweigend zu verbringen, hat mir tatsächlich ein wenig mehr Ruhe gebracht. Meine Freunde würden jedem bestätigen, dass ich eine Quasselstrippe bin, aber das Reden hat mir trotzdem nicht gefehlt. Zuhören ist eben manchmal auch ganz gut.

Mein Fazit: Einen Tag mal ohne Worte zu verbringen, kann manchmal sehr beruhigend sein. Und, wenn man die Sprache mal weg lässt, fallen einem auf einmal ganz viele andere Kleinigkeiten auf, für die zwischen all den vielen Wortfetzen oft keine Zeit bleibt. Ich werde so einen Tag auf jeden Fall wiederholen. Aber nur an einem Sonntag – Uni und Büro lassen sich so komplett ohne Worte dann doch eher schwer meistern.

back view stellt sich 24 Stunden lang besonderen Herausforderungen
Einen ganzen Tag ohne Internet
Einen ganzen Tag ohne Nachrichten
Einen ganzen Tag vor dem Fernseher
Einen ganzen Tag im selben Vorlesungssaal
Einen ganzen Tag mit einem Videospiel
Einen ganzen Tag Sport

(Text: Carolin Schmitt)

Carolin S.

Ich habe 2009 angefangen für back view zu schreiben, damals vor allem im Bereich *Sport*. Mittlerweile schreibe ich auch über andere Themen und versuche mein Studium der Anglistik und Amerikanistik auch ab und zu mit meinen Artikeln zu verknüpfen.

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