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„Wer bin ich – und wenn ja wie viele?” Die Bibel für Hobby-Philosophen von Richard David Precht steht seit 2007 auf den Bestsellerlisten der Sachbücher. „Fragen zu stellen ist eine Fähigkeit, die man nie verlernen sollte” steht als Zitat im Klappentext. Auf einem unterhaltsamen populärwissenschaftlichen Level gibt Precht seinen Lesern einen Einblick in die großen Fragen des Seins. Die als so kurzatmig verschriene Gesellschaft scheint sich in der Sinnkrise zu befinden – nicht nur Precht sondern auch andere Autoren weiden sich genüsslich in Lebenshilfetipps und „kotzen” sie dann in Bücherregale. Doch wer vermutet, die Suche nach dem Sinn des Lebens sei ein Phänomen der Gegenwart hat sich getäuscht.
Schon in der Antike entstanden kontroverse Behauptungen über die Natur des menschlichen Daseins. Dieses ist unweigerlich mit dem Tod beziehungsweise mit der Vorstellung von Unsterblichkeit verknüpft. In der Antike wurde der Tod überwiegend als eine Lebensetappe betrachtet. Laut Platon ist das Leben des Menschen ein stetiger Erkenntnisprozess. Trotzdem kann die erkennende Seele erst zu echter Weisheit gelangen, wenn sie sich von ihrer Körperlichkeit befreit hat. Das heißt erst mit dem körperlichen Tod und dem Eintritt in die Unsterblichkeit erfolgt die Glückseligkeit – selbst tausende Jahre später glaubt man immer noch an eine unsterbliche Seele. Im Mittelalter ist die Religion, im europäischen Raum vertreten durch das Christentum, vorherrschend. Thomas von Aquin propagiert beispielsweise, dass der Mensch ein Gottesgeschenk ist und es allein Gott obliegt, den Menschen auch wieder abzuberufen. Zusätzlich verbreitet das Christentum den Leitgedanken, dass jeder Einzelne auch Teil eines Ganzen ist. Es geht nicht um individuellen Erkenntnisgewinn wie in der Antike, sondern um die Erhaltung der Gemeinschaft und letztendlich um das Erlangen des ewigen Lebens in der Gemeinschaft mit dem Gottesvater.
Diese Betrachtung setzt einen Gott oder eine übernatürliche Macht voraus. Alle antiken Philosophen begründen ihre Thesen auf dem Glauben an eine Seele, die im Kosmos besteht. Der Mensch schafft sich also von Alters an Gründe für seine Existenz. Das, was den Menschen von anderen Säugetieren unterscheidet, ist sein Bewusstsein für die eigene Sterblichkeit. In diesem Bewusstsein zu leben, ohne, dass etwas bleibt, scheint inakzeptabel.
Obwohl sich die heutige Gesellschaft nur widerwillig mit dem Thema Tod befasst, ist dieser doch der Grund für die Suche nach dem Sinn im Leben. Diese Leben- versus Tod- Problematik wird von etlichen Philosophen als der Ursprung ihrer Disziplin erkannt. Es hat sich also eine wissenschaftliche Disziplin entwickelt, deren alleinige Aufgabe es ist, das Verhältnis von Mensch und Tod zu erörtern.
Immanuel Kant als einer der philosophischen Vertreter der Neuzeit orientiert sich zwar an christlichen Vorstellungen, entwickelt den Unsterblichkeitsgedanken allerdings weiter. Um Zufriedenheit zu erlangen soll sich der Mensch den Gesetzen der Moral unterwerfen – nur so könne er ein autonomes Leben führen. Die Regeln für seinen kategorischen Imperativ führt er in seinem Werk „Grundlegung zur Metaphysik der Sitten” aus. Gerade in der Aufklärung werden Kants Thesen weiterentwickelt. Der Mensch ist den Naturgesetzen unterworfen, die sein Handeln beeinflussen. Somit wird der Sinn des Lebens im Determinismus zur Farce, da Glückseligkeit nicht individuell beeinflussbar ist, sondern von der Natur diktiert. Heute gehen wir sehr wohl davon aus, dass wir unseres Glückes eigener Schmied sind. Obwohl die verschiedenen Kirchen rückläufige Mitgliederzahlen vermelden, zeigen die vielen Selbsthilfebücher, dass diese grundsätzlichen Fragen nach wie vor in der Gesellschaft verankert sind. Vor allem die Angst davor, nicht selbstbestimmt das eigene Leben führen zu können.
Im Existenzialismus der Moderne wird genau diese Selbstbestimmung des Lebens diskutiert. Aus der Erkenntnis dass der Mensch frei wählen und entscheiden kann, was er mit seinem Leben tun will, entwickelt Friedrich Nietzsche seine Theorie des Übermenschen. Dieser Idealtyp Mensch ist lebensbejahend, kräftig und stark und ohne Mitleid für sich selbst und andere. Er steht im Gegensatz zum Nihilismus. Der Übermensch kreiert neue Werte für das Leben der Menschheit. Nietzsches Theorie war gerne genutzte rassenideologische Projektionsfläche für die Nationalsozialisten, von denen er sich selbst stets distanzierte.
Durch die Vergegenwärtigung und Akzeptanz der Grausamkeit des Menschen kommt im 20. Jahrhundert ein neues gesellschaftliches Phänomen zum Tragen: die Skepsis an jeglichem Lebenssinn. Dies führt dazu, dass vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert ein neuer Hedonismus gelebt wird, in dem die sinnliche Lust im Vordergrund steht. Vor allem in der Jugend- und Unternehmerkultur der 1990er Jahre wird dieser exzessiv gelebt.
Mit der Wirtschaftskrise ist die Zeit des Hedonismus wohl erst einmal vorbei. Ein Rückgriff auf Richard David Precht und seine philosophischen Ansätze zeigt deutlich, dass wir uns immer noch auf der Sinnsuche befinden. Abschließend ist die Frage doch eigentlich: Warum können wir uns eigentlich nicht mit einem sinnlosen Dasein abfinden?
(Text: Lea Kramer)