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Der Baron stolpert

Es ist eine seiner schwierigsten Wochen. Erst der Tod von vier deutschen Soldaten in Afghanistan. Dann wurde bekannt, dass Karl-Theodor zu Guttenberg gezwungen werden musste, seinen Osterurlaub in Südafrika abzubrechen, als Karfreitag bereits drei Soldaten gefallen waren. Und Donnerstag musste sich der CSU-Politiker vor dem Kundus-Untersuchungsausschuss rechtfertigen – die Widersprüche konnte er nicht ausräumen. Im Gegenteil: Er verliert die Glaubwürdigkeit.

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Es war gestern wieder einer jener Tage, an denen sich Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg in einer Kirche vorne hinstellt und erklären muss, warum am Hindukusch die Freiheit und Sicherheit Deutschlands verteidigt wird. Es ist die zweite Trauerfeier innerhalb von 15 Tagen, sieben deutsche Soldaten ließen bei den letzten beiden Anschlägen ihr Leben, zahlreiche wurden verletzt. Er hat zu den Soldaten gesprochen, ihnen Unterstützung angeboten und die Hinterbliebenen um Verzeihung gebeten.

Dabei sind sich viele nicht mehr sicher, ob „Volkes Liebling”, wie die Opposition ihn nennt, tatsächlich mit dem Herzen und den Gedanken bei den Soldaten ist. Thomas Oppermann, SPD-Fraktionsgeschäftsführer, machte am Mittwoch öffentlich, dass der Verteidigungsminister nur unter Androhung des Entzugs der Urlaubsgenehmigung, „mit Gebrüll am Telefon”, aus seinem Osterurlaub in Kapstadt geholt werden konnte. Guttenberg hätte gesagt, dass er sich auch vor den Kameras von ARD und ZDF, die Studios in Südafrika unterhalten, zu den Anschlägen äußern könne.

Mutti Merkel ist nicht mehr zufrieden mit der Leistung des einstigen Vorzeige-Politikers. Er steht im Mittelpunkt, eckt in der Koalition an und missachtet Anweisungen. Er ist zwar noch immer der beliebteste Politiker, doch in dieser Woche litten sein Ansehen und seine Glaubwürdigkeit. Kommt nicht bald eine Kehrtwende, lernt Guttenberg nicht bald das Fair-Play, ist seine Karriere vielleicht schneller beendet, als ihm lieb ist.

text_guttenbergIm Kundus-Ausschuss verging Guttenberg das Lachen
Die Opposition behält sich nämlich vor, die Entlassung des Ministers zu fordern. Im Kundus-Ausschuss wirkte er unsicher, verstrickte sich in Widersprüche und konnte seine Position nicht glaubhaft darstellen. Nur einmal lachte er in den vielen Stunden des Verhörs. Gleich zu Beginn der Zeugenvernehmung – als die Ausschussvorsitzende Susanne Kastner ihn bat, seinen vollen Namen zu nennen.

Das Lachen dürfte ihm derweil längst vergangen sein. Denn der Kundus-Ausschuss ist noch längst nicht fertig. Seine Aufgabe ist es, die Vorfälle von der Nacht vom 3. auf den 4. September des vergangenen Jahres zu untersuchen, als Oberst Georg Klein ein Bombardement auf zwei zuvor von Taliban entführte Tanklaster anordnete. Bei dem Anschlag kamen 142 Menschen ums Leben – darunter auch viele zivile Opfer.

In der Guttenberg-Vernehmung soll der Ausschuss herausfinden, warum er seine Meinung zu der Bombardierung änderte und warum er seine engsten Ministeriumsmitarbeiter, Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und  Staatssekretär Peter Wichert, im Zuge der Meinungsänderung entließ.

Als Guttenberg, damals noch Bundeswirtschaftsminister, kurze Zeit später Verteidigungsminister wurde, ließ er sich nach eigenen Angaben von Schneiderhan und Wichert beraten. Sie legten ihm den NATO-Bericht vor und die Auswertung des Berichtes, die vom Verteidigungsministeriums erstellt wurde. Mehr Berichte gäbe es nicht, hätten die beiden gesagt.

Obwohl auch Guttenberg auffiel, dass es kritische Punkte im NATO-Bericht gab, wäre die Einschätzung seines Hauses eindeutig gewesen. Und er, der erst so kurz im Amt war, wäre auf die Einschätzung seiner Fachmänner angewiesen gewesen. Er hätte keinen Grund zum zweifeln gehabt, der Tenor war „eindeutig”: Der Anschlag wäre „militärisch angemessen” gewesen, verkündete der Minister auf einer Pressekonferenz am 6. November 2009.

Am 25. November dann erfuhr Guttenberg von einem geplanten Artikel der Bild-Zeitung, deren Wertschätzung er bisher sicher hatte. Der Bild läge ein nationaler Bericht vor, der Feldjägerbericht, der „ein neues Licht auf den Anschlag werfe”.  Guttenberg zitierte Schneiderhan und Wichert in sein Büro und fragte angeblich mehrmals nach einem solchen nationalen Bericht. Schneiderhan und Wichert verneinten – Zeuge seien zwei Mitarbeiter von Guttenberg, die bei dem Gespräch anwesend gewesen wären.

Erst nach mehrmaligem Auffordern hätte Wichert den Feldjägerbericht erwähnt, den Guttenberg noch am selben Tag zusammen mit anderen Berichten, wie dem von Oberst Klein, vorgelegt bekäme. Er entließ die beiden langjährigen Mitarbeiter, nachdem er Angela Merkel und Horst Köhler informiert hatte. „Entscheidend ist dabei nicht der Inhalt der Berichte, sondern die Erkenntnis, dass mir in einer so sensitiven Angelegenheit zentrale Dokumente nicht zugänglich gemacht worden sind. Mein Anspruch ist immer gewesen, ich treffe meine Entscheidungen auf der Grundlage möglichst vollständiger Informationen”, sagte der Minister vor dem Ausschuss.

Welche Rolle spielte der Planungsstab wirklich?
Die Versionen von Schneiderhan und Wichert, die im März vor dem Ausschuss aussagten, klingen anders. Sie hätten Guttenberg alle Akten sofort zur Verfügung gestellt und ihn auch vor der ersten Pressekonferenz darauf hingewiesen, „dass die Dinge nicht so einfach wären, wie sie geklungen hätten”, so Schneiderhan. „Es wäre dumm gewesen, sie vorzuenthalten, denn im Ministerium liegen auch im Planungsstab Kopien des Feldjägerberichtes”, sagte Wichert. Guttenberg sagte, der Planungsstab hätte ihm gegenüber versichert, keine Ausfertigung der Berichte gehabt zu haben.

Auch über die Anzahl der Personen, die beim Gespräch am 25. November anwesend waren, gibt es widersprüchliche Angaben. Schneiderhan und Wichert hatten ausgesagt, vier Leute seien anwesend gewesen. Guttenberg sagt, es waren fünf. Der Minister gab zu, dass es Aufzeichnungen des Gesprächs gäbe. Der Ausschuss hatte diese längst eingefordert, aber der Minister hat sie noch nicht ausgehändigt. „Das waren die Aufzeichnungen meiner Büroleiterin, da müssen sie diese fragen”, sagte er. Worauf die SPD entgegnete, dass sicher keine Büroleiterin ohne Segen des Chefs Akten herausgeben würde oder nicht.

Die Opposition vermutet, Guttenberg hätte die Kehrtwende nur aufgrund der zu erwarteten Imageschädigung des „Saubermanns” gemacht – wäre die Bildzeitung mit pikanten Details aus dem eigentlich geheimen Feldjägerbericht an die Öffentlichkeit gegangen. Guttenberg hätte einen Anschlag für „angemessen” gehalten, bei dem viele unschuldige Menschen ihr Leben ließen, darunter viele Kinder und Teenager. Den Vorwurf, dass Guttenberg Schneiderhan und Wichert zu „Bauernopfern” mache, wies er zurück.

Die Fehleinschätzung Guttenbergs
Guttenberg wiederum gibt an, dass seine Meinungsänderung mit den neuen Berichten kam. Was genau ihn dazu bewegte, eine Neubewertung vorzunehmen, blieb mehr oder weniger offen. „Ein Minister kann einen Anschlag nicht nur militärisch bewerten, er muss ihn auch politisch bewerten”, sagte Guttenberg. Er hätte seine erste Bewertung abgegeben und sich in die Situation von Oberst Klein hinein versetzt, der nur an seine Soldaten dachte und an eine Gefahr.

Aus heutiger Sicht aber sei er unverhältnismäßig gewesen – auch wenn das kein Vorwurf an Oberst Klein sei, denn damals hätte er nicht anders handeln können. Jetzt wisse Guttenberg, dass die erste Bewertung eine „Fehleinschätzung” gewesen sei. „Es steht außer Frage, dass der Angriff nicht hätte erfolgen müssen, er hätte nicht erfolgen dürfen.”

Laut seinen ehemaligen Mitarbeitern und Experten enthält der Feldjägerbericht jedoch keine neuen Erkenntnisse zu dem Angriff, die eine Meinungsänderung begründen würde. Nachdem die beiden, denen er keine Böswilligkeit vorwirft, Unterlagen vorenthalten hätten, wäre sein Vertrauen „erschüttert” gewesen. Er benutzte mehrmals das Wort vorenthalten, denn einmal habe er unterschlagen gesagt, und das wäre ja strafrechtlich nicht okay. „Jeder hat so seinen Sprachgebrauch”, argumentierte er.

Da die Opposition enttäuscht von der Vernehmung war, behält sie sich eine Gegenüberstellung vom Verteidigungsminister und seinen beiden ehemaligen Mitarbeitern vor. Guttenberg antwortete nicht konkret und korrekt auf Fragen, vielmehr las er immer wieder aus seiner Eingangsrede vor – damit er auch alles wirklich korrekt wiedergibt und nicht aus seiner Erinnerung heraus vermutet – und betonte auch öfter, dass er seine „Wahrnehmungen” doch schon geschildert hätte. Der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold war sichtlich genervt vom Auftreten des Barons und ist entsetzt über sein Verhalten: „Es sieht so aus, als hätten zwei langjährige, verdiente Mitarbeiter nur aufgrund eines Zeitungsartikels in einem Boulevardblatt gehen müssen.”

(Text: Miriam Keilbach / Foto: Khalid Aziz by jugendfotos.de)

Miriam K.

Miriam war 2007 im Gründungsteam von backview.eu. Sie volontierte beim Weser-Kurier in Bremen und arbeitet seit 2012 als Redakteurin bei der Frankfurter Rundschau. Ihre Themen: Menschen, Gesellschaft, Soziales, Skandinavien und Sport.

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